Kolumne
Die heilsame Kraft des Aufräumens: Wie Ordnung im Außen das Innen belebt
Die äußere Unordnung entsteht von selbst. Wenn wir aufräumen, sortieren wir das Innenleben gleich mit. So wurde das Aufräumen für Frank Berzbach zu einer unerwartet erfüllenden Tätigkeit.
Die „stillen Tage“ zwischen Weihnachten bis zum Dreikönigstag haben mir Urlaub beschert. Schlaf nachholen, mehr lesen, Spaziergänge, Sport und Zeit haben – am Morgen mit der Einsicht erwachen: Heute habe ich keine Termine. Nach dem späten Frühstück fällt mir dann die Unordnung auf: Die Schublade in der Küche, die für die Gewürze gedacht war, enthält auf abenteuerliche Weise auch vieles andere; die Speisekammer ist zur Abstellkammer geworden, und mein Kleiderschrank ähnelt einer Altkleidersammlung. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich Bücher und Zeitungsausschnitte, von denen ich längst vergessen habe, für welchen Text ich sie verwenden wollte.
Zeit, die ich mir nicht nehme
Ich finde es gar nicht schlimm aufzuräumen; nur unter Zeitdruck ist es eine unangenehme Sache. Wenn viel zu tun ist, bin ich froh, wenn der Tag geschafft ist – die zehn Minuten, um alles aufzuräumen, nehme ich mir selten. Ich nehme mir nur fünf Minuten, die meinen Schreibtisch zumindest oberflächlich ordentlich aussehen lassen. Das betreibe ich das ganze Jahr, und so sieht es im Januar in der Wohnung dann auch aus: Es fehlen fünfzig mal fünf Minuten Ordnung schaffen! Daher löst sich die Ordnung langsam auf, wie von Geisterhand.
Zunehmend muss ich Zeit damit verbringen, die Dinge zu suchen, die ich brauche. Sie sind nicht mehr da, wohin sie gehören. Manches verschwindet einfach. Letztes Jahr habe ich mir drei Bücher gekauft, obwohl ich sie bereits im Regal stehen hatte, allerdings im falschen. Und da ich sie zuerst nicht fand, musste ich sie erneut im Buchladen bestellen.
Zeit, die ich nachhole
Mit diesen Gedanken sitze ich beim späten Frühstück und weiß: Nun habe ich Zeit! Die ehemals sogenannte Gewürzschublade ist recht klein und vollgestopft. Damit beginne ich, ohne Zeitdruck ist das gar keine schlechte Beschäftigung: aufräumen. Die Psychologen meinen, die aktive Entspannung tritt erst ein, wenn man sich auf etwas anderes einlässt und keineswegs, wenn man nur auf dem Sofa liegt und sich berieseln lässt. Ich mag diese Tätigkeiten, die mich nicht grübeln lassen.
Nach nur einer halben Stunde ist die Schublade in der Küche wieder übersichtlich, und nun dient sie auch wieder dem Kochen. Ein Teil der Gewürze war abgelaufen, ein anderer leer, die angefangenen Schokoladentafeln, die halb leere Packung Bonbons und der Rest Kekse sind jetzt woanders. In der Schublade ist nun Platz und ich muss keine neuen Pfefferkörner kaufen, wenn noch zwei volle Packungen vorhanden sind – nun sehe ich, was ich noch habe. Das Ergebnis ist eine so befriedigende Belohnung, dass ich gleich weitermache.
Drei Tage später hängen meine Hemden akkurat auf Bügeln, und sie passen alle auf die Kleiderstange, weil ich eine ganze Reihe aussortiert habe: zu klein, zu alt, fleckig oder ganz einfach Fehlkäufe. Das Regal am Schreibtisch enthält nur noch die Bücher, die ich für das Buch benötige, an dem ich zurzeit schreibe. Die Speisekammer hat gleich drei ganz leere Regale, ein erfreulicher Anblick. Ich bin froh, dass ich in den Ecken versteckte offene Packungen entsorgt habe, bevor die Motten sie entdecken konnten.
Heilsame Wirkungen
Die neue Ordnung, die sich lichtenden Reihen und die Übersichtlichkeit meines Besitzes entfalten inzwischen eine heilsame Wirkung über die aufgeräumten Ecken hinaus. Ich koche lieber, wenn ich finde, was ich dafür brauche. Die wichtigste Zutat für ein gutes Mahl ist die vorher akkurat aufgeräumte Küche, die gereinigten bereitliegenden Kochutensilien und die Gewürze, die ich finde. Die Franzosen haben dafür sogar eine kluge Formulierung: „Mise en Place“, so wird die Vorbereitung der Küche für das Kochen genannt.
An einem Text schreibt sich leichter, wenn ich das dafür nötige Material im Blick habe. Ich kleide mich sogar besser gelaunt an, wenn ich auf eine kleinere Auswahl im Schrank blicke, von der aber viel mehr in Frage kommt. Wenige, gut ausgewählte und gepflegte Stücke werden nicht mehr begraben unter einem Berg alter Klamotten. Nichts lohnt sich so sehr wie das Aufräumen – ich beginne außen und ordne meine Innenwelt gleich mit. Denn die wiederhergestellte äußere Ordnung hat Einfluss auf die Art, wie ich Handlungen ausführe. Es geht, wenn man wieder die Übersicht hat, geordneter und ruhiger zu.
Wenn ich für jedes Objekt, das ich besitze, entscheide, ob ich es behalte oder nicht, und dann dafür einen festen Platz suche, dann vollzieht sich ein Prozess der Reinigung. Es geht um das bewusste Kuratieren der Dinge, mit denen ich lebe. Es geht also im weitesten Sinne auch darum, wie ich lebe. Vielleicht nehme ich mir vor, zukünftig nicht nur fünf von zehn nötigen Minuten täglich aufzuräumen, sondern acht.