Zukunft
29.10.2025


Papst Franziskus

Enzyklika Laudato si': Was bleibt?

Vor zehn Jahren erschien die Umwelt- und Sozial-Enzyklika Laudato si’. Papst Franziskus äußerte darin seine Sorge um das „gemeinsame Haus“ und fand weltweit Gehör. Auch wenn der Geist von 2015 verflogen zu sein scheint – die Enzyklika ist aktueller denn je. 
    

Papst Franziskus hatte nicht nur die Natur, sondern immer auch die Menschen im Blick, vor allem arme, benachteiligte, indigene. Mehrere Kapitel seiner Enzyklika widmen sich Fragen der Lebensqualität und der Gerechtigkeit. Papst Franziskus hatte nicht nur die Natur, sondern immer auch die Menschen im Blick, vor allem arme, benachteiligte, indigene. Mehrere Kapitel seiner Enzyklika widmen sich Fragen der Lebensqualität und der Gerechtigkeit. Foto: © imago/ZUMAPressWire

Aus sozialethischer Sicht ist die Enzyklika Laudato si’ (LS) das zentrale Vermächtnis von Papst Franziskus. Er hat darin seine Hoffnung auf eine gerechte und zukunftsfähige Welt zusammengefasst und die Katholische Soziallehre um die ökologische Dimension erweitert. Sie ist ein Manifest, ein ethischer Kompass und eine theologische Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Durch die Enzyklika hat sich Franziskus als eine weltweit führende Stimme für die Einheit von Klimaschutz und Armutsbekämpfung etabliert.

Einfluss auf Kirche, Politik und Gesellschaft

In der langjährigen Geschichte der Katholischen Soziallehre wurde keine Enzyklika so intensiv von den Medien aufgegriffen, wissenschaftlich diskutiert, interreligiös akzeptiert und politisch mit Entscheidungsprozessen der UNO verknüpft. Innerkirchlich kommt kaum noch eine Stellungnahme zu ökologischen Themen ohne einen Bezug zu Laudato si’ aus.  

Dennoch konnte die Enzyklika bisher keinen grundsätzlichen Wandel anstoßen. Politisch ist der hoffnungsvolle Pioniergeist des Jahres 2015 verflogen: Wir erleben eine Rückkehr fossiler und nationalistischer Denkmuster. Zivilgesellschaftlich macht sich eine verzagte Transformationsmüdigkeit breit. Kirchlich gab es kaum institutionelle Konsequenzen, die dem revolutionären Anspruch des Textes entsprechen.

Ein uneingelöstes Versprechen der Hoffnung

Aber vielleicht ist die Botschaft der Enzyklika gerade deshalb heute neu aktuell: Jedenfalls ist sie keinesfalls abgegolten und abzuhaken. Sie ist ein uneingelöstes Versprechen. Der Text ist ja keineswegs naiv, er rechnet mit Verzögerungen und Handlungsblockaden durch Macht- und Interessenkonflikte sowie Mentalitäten der Verdrängung und sozialen Abschottung. Erstmals wird in einer Enzyklika das Thema Macht ausführlich reflektiert (gleich mit 67 Belegen).  

Dabei bleibt der Text jedoch nicht bei der Machtkritik stehen, sondern ist zugleich von einem „Mikro-Optimismus“ der Freude an der Schönheit der Schöpfung und einer ermutigenden Wertschätzung von all dem, was schon heute gelingt und was jeder Einzelne tun kann, durchdrungen. Laudato si’ ist im Kern keine moralische Drohbotschaft, sondern eine Frohbotschaft, ein Evangelium der Schöpfung, eine Botschaft der Hoffnung in Krisenzeiten. Was brauchen wir heute, angesichts der stillen Resignation so vieler, dringender?

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Spiritualität und Schöpfung als Leitmotiv

Die Spiritualität der Verbundenheit mit der Schöpfung prägt das Denken von Papst Franziskus – ähnlich wie bei seinem Namenspatron Franz von Assisi, dessen Sonnengesang nicht nur den Titel Laudato si’, sondern den Grundduktus der ganzen Enzyklika inspiriert hat: Lob und Dank für die Schönheit der Schöpfung stehen im Mittelpunkt, ohne deshalb die dunklen Seiten zu verdrängen (der Heilige aus Assisi nennt besonders Krankheit und Tod, der Papst die ökologischen Katastrophen).  

Gott selbst im Schrei der Schöpfung und damit verbunden im Schrei der Armen zu hören, ist der theologische Ausgangspunkt der Enzyklika. Ökosoziale Anwaltschaft ist deshalb für den Papst unmittelbare Glaubenspraxis, ein Ort der Gottesrede und unausweichliche Aufgabe der Kirche heute.

Die „Franziskusformel“ und ihre Bedeutung

Die Spiritualität von Papst Franziskus ist aber nicht nur franziskanisch geprägt, sondern ebenso durch Referenzen auf Ignatius von Loyola und Romano Guardini. Der Jesuitenpapst leitet aus dieser Verknüpfung vier Maximen ab, die als eine Art Matrix seines Denkens, als regelrechte „Franziskusformel“ (Erny Gillen), in nahezu allen Lehrschreiben vorkommen und auch den Argumentationsgang von Laudato si’ prägen: Das Ganze ist wichtiger als der Teil, die Einheit wichtiger als der Konflikt, die Zeit wichtiger als der Raum und die Wirklichkeit wichtiger als die Idee. Dementsprechend tritt die Enzyklika ein für: 1. ganzheitlich-systemisches Denken im Sinne integraler Ökologie, 2. Dialog als produktiven und einheitswahrenden Umgang mit Konflikten, 3. synodale Prozesse statt der machtzentrierten Ordnung räumlicher Strukturen, 4. eine sensible Wahrnehmung widersprüchlicher Realitäten statt des Vorrangs verallgemeinerbarer Theorien.  

Wie in einem Brennglas kann man in diesen Maximen die Stärken und Schwächen des Pontifikates von Papst Franziskus sehen. Sprachlich unterscheidet sich die Enzyklika erheblich von allen vorherigen päpstlichen Rundschreiben: Ihr Stil ist der einer prophetischen Zuspitzung radikaler Kritik, nicht primär das Bemühen um eine ausgewogen-objektivierende Darstellung. Die Rolle von Märkten und technischen Innovationen wird kaum gewürdigt. Aber der Text legt den Finger in die Wunden und vermag es, aufzurütteln. Umso wichtiger ist es, dass er aus wissenschaftlicher Sicht flankiert, differenziert und weitergedacht wird, wie es Aufgabe der christlichen Sozialethik ist.

Dialog zwischen Theologie und Wissenschaft

Die Enzyklika lebt von der besonderen Begabung des Papstes, den Kern der christlichen Botschaft auch für Nicht- und Anders-Glaubende verständlich zu machen, indem er sie mit existenziellen Kategorien wie Hoffnung, Demut, Würde und Gerechtigkeit sowie einem Ernstnehmen aktueller Forschungsergebnisse verknüpft. Auf der Grundlage dieser Dialogoffenheit hat sie auch in den Wissenschaften ein neues Bewusstsein der Relevanz religiöser und ethischer Perspektiven geweckt.  

Dennoch ist die Wirkung der Religionen in den Arenen der Politik hinsichtlich ökologischer Verantwortung derzeit zutiefst ambivalent: In der Gesamtbilanz werden all die Bemühungen der Gutwilligen zunichtegemacht durch die starke Unterstützung, die rechtspopulistische Klimaleugner in den USA, aber auch in Deutschland und anderen Ländern Europas vonseiten evangelikaler und vermeintlich frommer Christen haben. Es fehlt am Willen zu Vernunft und Kooperation. Ein Hoffnungsanker ist immerhin, dass mit Papst Leo XIV. ein Nachfolger gewählt wurde, der bereit ist, das Erbe von Papst Franziskus fortzuführen – hartnäckig, klug abwägend und vorsichtig, aber mit einem Sinn für institutionelle Weichenstellungen.

[inne]halten - das Magazin 23/2025

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Kirche zwischen Tradition und Erneuerung

Es ist relativ wenig bekannt, dass die Kirchen historisch beachtliche Pionierleistungen im ökologischen Bereich erbracht haben, sei es die tiefe Schöpfungsspiritualität bei Benedikt von Nursia, Franz von Assisi, Hildegard von Bingen und vielen anderen, die schöpfungstheologisch begründete Gemeinwohltheorie des Thomas von Aquin, die heute als Orientierung für den Umgang mit ökologischen Kollektivgütern wie Klima und Biodiversität neu entdeckt wird, oder das erste globale Programm für Sustainability durch den Weltrat der Kirchen (1974–1976) und die Mitprägung des UN-Konzeptes von Nachhaltigkeit durch den Begriff der ganzheitlichen Entwicklung in der Enzyklika Populorum progressio (1967).

Auch neue Initiativen sind beachtenswert, zum Beispiel das 2021 gegründete „Laudato Si’ Movement“ als globales Netzwerk von über 900 katholischen Organisationen; das wesentlich von den Jesuiten getragene „Laudato Si’ Research Institute“ an der Universität Oxford; die Zentren für Nachhaltigkeitsforschung an den Universitäten Münster, München und Notre Dame, die jeweils von der Theologie mitgetragen werden.

Problematische Rolle der Kirche

Aufs Ganze gesehen ist die katholische Kirche jedoch kein Pionier für Nachhaltigkeit, obwohl sie dazu als eine auf Langfristigkeit und globale Solidarität ausgerichtete Gemeinschaft große Potenziale hätte. Durch „despotische Anthropozentrik“, wie es Franziskus in Laudato si’ nennt, wurde sie jedoch Impulsgeberin für die naturvergessene Zivilisation der westlichen Moderne. Damit hat sie die Grundlagen der biblischen Anthropologie, die den Menschen nicht nur als Ebenbild Gottes, sondern auch als Adam, also „Erdling“, sieht, verraten.  

Ökologisch gesehen ist die Kirche Teil des Problems. Gerade deshalb muss sie auch Teil der Lösung werden. Dazu gehört Demut. Die Enzyklika formuliert dazu programmatisch: „Wir vergessen, dass wir selber Erde sind.“ (LS 2) Eine Anthropologie, die die einzigartige Würde des Menschen nicht einebnet, aber ökologisch einbettet, ist der Schlüssel einer christlichen Umweltethik. Ich nenne dies ökologischen Humanismus.

Ein neuer Blick auf Mensch und Natur

Es fehlt derzeit nicht an ökologischem Wissen, technischen Möglichkeiten oder moralischen Appellen für eine Große Transformation, sondern an einem Mentalitätswandel hinsichtlich unserer Einstellung zur Natur. Es gilt, diese als integralen Teil unserer Vorstellungen von Glück, Freiheit, Wohlstand, Gerechtigkeit, Identität sowie Gottes- und Selbsterfahrung zu denken. Die christliche Hoffnung auf Erlösung ist keine Garantie und kein Mittel zur Rettung der Welt. Sie ist jedoch auch keine bloß jenseitsbezogene Vertröstung und Theorie. Sie ist eine Tat-Sache, ein Handlungsauftrag, zum Schutz der Bewohnbarkeit der Erde beizutragen. Die bevorstehende Klimakonferenz in Brasilien ab 10. November (COP 30) ist ein Bewährungsort, die Motivationskraft der Enzyklika Laudato si’ noch einmal neu aufleben zu lassen und so Franziskus’ Erbe für die Schöpfung zu würdigen.

Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München 

Unsere Atmosphäre und das 1,5-Grad-Ziel

Die Atmosphäre ist ein sogenanntes Allmendegut, ein Gemeinschaftsgut der Menschheit, auf dessen Nutzung alle Menschen den gleichen Anspruch haben. Doch gerade darin besteht ein Risiko: Ohne klar definierte Nutzungsrechte droht die Atmosphäre übernutzt zu werden. Denn jeder, der Kohle, Öl oder Gas verbrennt, entlässt Treibhausgase in die Atmosphäre. Abhängig von der spezifischen Lebensdauer dieser Gase verbleiben sie über einen langen Zeitraum in der Atmosphäre – im Falle von Kohlenstoffdioxid (CO2) sind das mehrere tausend Jahre – und erhöhen dadurch die globale Mitteltemperatur. Die Folgen sind u. a. Extremwetterereignisse, Artensterben, der Verlust der Wälder, die Versauerung der Ozeane und drastische Produktivitätseinbrüche bis hin zur Bedrohung von Menschenleben. Die Nutzung der globalen Gemeinschaftsgüter muss also begrenzt werden. (…)

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 hat versucht, die Tragik der Allmende durch die Festlegung globaler Nutzungsgrenzen abzuwenden. Denn die Ziele des Abkommens lassen sich in ein Kohlenstoffbudget übersetzen: Um die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen, dürfen noch maximal 1.050 Gigatonnen (Gt) CO2 in die Atmosphäre entlassen werden. Soll die 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden, können nur noch 130 Gt CO2 emittiert werden – das entspricht den globalen Emissionen von etwas mehr als drei Jahren. Gemessen an der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre gibt es ein Überangebot an fossilen Ressourcen: Zwischen 10.600 und 49.200 Gt CO2 stecken in den globalen Vorräten an Kohle, Öl und Gas. Das bedeutet, dass die Nutzung fossiler Ressourcen politisch durch internationale Kooperation begrenzt werden muss. Angesichts der unzureichenden Fortschritte der internationalen Klimapolitik wird die 1,5-Grad-Grenze aller Voraussicht nach überschritten, denn es gibt kein realistisches Szenario, in dem innerhalb von drei Jahren die Emissionen auf null gebracht werden können. Aus diesem Grund gewinnen Kohlenstoffsenken zunehmend an Bedeutung. Senken speichern CO2, das der Atmosphäre durch natürliche oder technische Prozesse entzogen wird, für einen längeren Zeitraum ein, z. B. im geologischen Untergrund oder in Wäldern. Werden ausreichend Senken aufgebaut, kann durch den Abbau von CO2 die globale Durchschnittstemperatur nach dem Überschreiten von 1,5 °C zum Ende des Jahrhunderts wieder abgesenkt werden.

Der Text ist ein Auszug aus: „Zehn Jahre Laudato si’,Papst Leo XIV. und das Dilemma der internationalenKlimapolitik“ von Ottmar Edenhofer und Cecilia Kilimann, erschienen in „Stimmen der Zeit“ 9/2025.

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