Gerechtigkeit
02.06.2025


Respektvoller Umgang miteinander

Zusammenhalt beginnt vor der Haustür

Es muss sich etwas ändern am Ton in den Debatten, am Umgang mit politischen Gegnern – kommentiert Oberbürgermeister Tobias Eschenbach.
    

Tobias Eschenbacher ist seit 2012 für die Freisinger Mitte Oberbürgermeister der Dom- und Universitätsstadt. Tobias Eschenbacher ist seit 2012 für die Freisinger Mitte Oberbürgermeister der Dom- und Universitätsstadt. Foto: © Dirk Daniel Mann

Die Risse sind längst sichtbar. Im Ton unserer gesellschaftlichen Debatten, in den Kommentarspalten, auf der Straße. Was früher als Meinungsstreit galt, wird heute oft als Feindseligkeit ausgetragen. Wer laut ist, gewinnt Aufmerksamkeit. Wer differenziert, gilt als schwach. Der gesellschaftliche Zusammenhalt, den wir so dringend bräuchten, scheint in Auflösung. Und während in Berlin Talkshows und Schlagzeilen dominieren, findet der ernsthafte, respektvolle Diskurs vor allem noch an einem Ort statt: in unseren Städten und Gemeinden.

Denn auf kommunaler Ebene begegnen sich Menschen nicht nur mit Meinungen, sondern mit Gesichtern. Im Gemeinderat, im Elternbeirat, im Ehrenamt. Wer sich kennt, begegnet sich anders. Hier wird gestritten – aber mit dem Wissen, dass man morgen wieder am Gartenzaun steht oder im Vereinsheim nebeneinandersitzt. Das schützt vor Entgleisungen. Noch.
   

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Alltagsdemokratie unter Druck

Doch auch diese Alltagsdemokratie steht unter Druck. Die Respektlosigkeit aus der großen Politik sickert langsam nach unten. Ehrenamtliche erleben zunehmend Anfeindungen. Viele Kommunalpolitiker sind sogar mit Bedrohungen für Leib und Leben konfrontiert – und erst indem sie das öffentlich machen, wird deutlich, wie belastend ihr Amt geworden ist. Was ist das für ein Land, in dem Menschen, die Verantwortung übernehmen, dafür persönlich gefährdet werden?

Wir brauchen endlich eine gesellschaftliche Trendumkehr. Und die beginnt nicht mit wohlfeilen Worten, sondern mit klaren Konsequenzen. Wer die Regeln des demokratischen Miteinanders bewusst verletzt, darf nicht mit Verständnis, sondern muss mit Widerspruch rechnen – laut, öffentlich und deutlich. Wer Hass sät, darf nicht länger von der Gleichgültigkeit der Mehrheit profitieren.
  

[inne]halten - das Magazin 12/2025

Geist der Freiheit

Für Kardinal Reinhard Marx ist Freiheit mehr als ein politisches Schlagwort - sie ist das zentrale Thema seines theologischen Denkens. Im Interview spricht er über ihre Wurzeln im chistlichen Glauben, über die Entwicklung der Kirche zur Verteidigerin von Freiheitsrechten und darüber, warum Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet.

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Respekt als Maßstab

Und auch die Landes- und Bundespolitik muss sich dringend an die eigene Nase fassen. Wer mit schlechtem Beispiel vorangeht – mit persönlichen Angriffen, parteitaktischer Polarisierung und kalkulierter Empörung – sägt selbst an den Grundpfeilern unseres Zusammenlebens. Es braucht dringend eine politische Kultur, die Respekt wieder zum Maßstab macht – nicht nur gegenüber dem politischen Gegner, sondern auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sich ein sachliches Ringen um Lösungen erwarten.

Zugleich müssen wir stärken, was funktioniert: Die Kommunen sind unsere demokratischen Kraftzentren. Sie brauchen Schutz, Respekt und bessere Rahmenbedingungen – finanziell, rechtlich, personell. Und sie brauchen die Rückendeckung einer Gesellschaft, die sich nicht von Empörung treiben lässt, sondern vom Willen zum Zusammenhalt.

Es reicht nicht, auf den Zerfall zu zeigen. Wir müssen handeln – als Bürger, als Kirche, als politische Verantwortungsträger. Denn der Zusammenhalt beginnt vor der Haustür. Aber genau dort kann er auch verloren gehen.

Tobias Eschenbacher, Oberbürgermeister von Freising