Moraltheologe Scheule über Krieg und die Frage nach dem Danach
Sind Präventivschläge vertretbar?
Juristen sind sich uneins, ob der jüngste Angriff der US-Amerikaner auf die iranischen Atomanlagen völkerrechtlich gedeckt ist. Deshalb haben wir beim Regensburger Moraltheologen Rupert Scheule (55) nachgefragt, wie dieser die Lage im Nahen Osten bewertet.

Das Friedenspapier der deutschen Bischöfe von 2024 spricht vom „christlichen Realismus“ in Sachen Krieg und Frieden. Lässt sich dieser auf den Nahost-Konflikt anwenden?
Scheule: Unter „christlichem Realismus“ verstehen die Bischöfe in etwa, dass Friedenssicherung ganz ohne Waffen nicht funktioniert. Im Nahen Osten ist es kompliziert. Israel wurde am 7. Oktober 2023 massiv vom Terror überrollt und hat das Recht, die Massenmörder von der Hamas zu verfolgen. Das lässt sich auch aus der katholischen Moral- und Soziallehre gut begründen. Dort wird aber pingelig darauf bestanden, dass militärische Aktionen verhältnismäßig sein müssen. Was in den vergangenen Monaten im Gazastreifen passiert ist, ist weder verhältnismäßig, noch verspricht es am Ende einen stabilen Frieden. Kein Sieg ist von Dauer, wenn man Unterlegene derart demütigt.
Wie passt da der jüngste US-Angriff auf den Iran hinein?
Wie manche Juristen teile ich die Auffassung, dass der Angriff nicht als gerechtfertigte Verteidigungsmaßnahme durchgehen kann. In einem alten Moraltheologie-Handbuch von Joseph Mausbach und Gustav Ermecke aus dem Jahr 1961 findet sich eine schlanke Definition von Notwehr. Das ist demnach „diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“. Jede Art von Präventivschlag ist aus dieser Sicht problematisch.
Warum?
Der reagiert auf einen in der Zukunft möglichen Angriff. Außerdem ist
nach der katholischen Lehre vom gerechten Krieg Gewalt nur erlaubt,
wenn alle anderen Mittel nichts gebracht haben. Das ist im Fall des
US-Angriffs auf den Iran nicht so sicher. Denn dieser begann, als
EU-Außenminister gerade dabei waren, den Iran zu einer diplomatischen
Perspektive zu bringen.
„Vom Frieden träumen – und Gewalt anwenden?“ lautete
2023 eine von Ihnen organisierte Veranstaltung. Eine Haltung, zu der
sich die US-Regierung mit ihrem Angriff auf Irans Atomanlagen
durchgerungen hat?
Ich will gar nicht ausschließen, dass der angeblich so geniale Deal Maker Donald Trump so etwas im Sinn hatte. Aber kluge Autoren von Augustinus bis Clausewitz – beide hatten übrigens mehr Kriegserfahrung als Trump – warnten: Unterschätzt die Chaospotenziale des Krieges nicht! Krieg ist Unberechenbarkeit mit Ansage. Ob der US-Präsident dieses Risiko richtig einschätzt? Jedenfalls braucht er Fortune, damit sein Kalkül aufgeht und die Spirale der Gewalt nicht ins Rotieren gerät.
Trump dankte nach dem Angriff Gott und bat ihn, er möge das US-Militär schützen, den Mittleren Osten sowie Israel und Amerika segnen. Wird hier Gott vereinnahmt?
Ja. Trump ist nicht für glühende Religiosität bekannt. Sein Vize J. D. Vance ist da vielleicht anders. Bei Trump muss man eher von einem strategischen Einsatz religiöser Rhetorik ausgehen. Er versucht so, seine irritierten „Make America Great Again“-Unterstützer zurückzuholen. In die zweite Amtszeit ging er mit dem Versprechen, keine neuen Kriege zu führen. Trotzdem gilt immer: Man darf in kritischen Entscheidungssituation beten und sich auf Gott berufen. Ich denke, wir alle wünschen den Beteiligten an diesem Krieg, dass sie da möglichst unbeschadet rauskommen, auch den US-Militärs.
Jesus ruft dazu auf, auch die rechte Wange hinzuhalten, wenn man auf die linke geschlagen wird. Ist das ein realistisches Rezept zur Eindämmung von Gewalt?
Gegenfrage: Ist die Anwendung von Gewalt ein realistisches Konzept zu
ihrer Eindämmung? Da habe ich meine Zweifel. Entscheidend ist, die
Bergpredigt und die Frage „Was, wenn wir jetzt nicht zurückschlagen?“
stets im Hinterkopf mitlaufen zu lassen. Am Ende wird Gewalt nicht durch
weitere Gewalt beendet, sondern dadurch, dass man ein Einvernehmen
erzielt. Aus der Spirale der Gewalt aussteigen, verlangt Stärke. Genau
die sieht Jesus bei seinen Zuhörern. Er spricht ihnen zu, Söhne und
Töchter Gottes zu sein. Er gibt ihnen quasi Hoheitstitel! Und sagt
damit: Ihr als Kinder Gottes seid doch stark genug, Gewalt zu beenden.
Stärke hätten übrigens auch Israel und die USA. Haben sie auch den Mumm
zum Ausstieg aus der Gewalt? Wir werden sehen.
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In der christlichen Ethik wurde lang gerungen, unter welchen Umständen ein Krieg gerechtfertigt sei. Daraus entwickelte sich die Lehre vom gerechten Frieden. Stehen wir vor der Rolle rückwärts?
Ganz weg war die Lehre vom gerechten Krieg nie. Allerdings geht es in diesem Konzept gar nicht darum, Gewalt zu rechtfertigen, sondern zu begrenzen. So war das schon bei Cicero. Du brauchst dafür ein gerechtes Ziel, einen gerechten Grund und die rechte Absicht. Die Messlatte lag also schon immer hoch. Pius XII. hat sie 1948 noch ein bisschen höher gelegt: Für diesen Papst sind Nothilfe und Notwehr eines angegriffenen Staates die einzigen „gerechten Gründe“, Krieg zu führen. Aber: Das Konzept des gerechten Friedens bleibt gültig. Und zwar in dem Sinne, dass bei jeder Kriegshandlung mitbedacht werden sollte: Wie geht's denn dann hinterher weiter? Das fehlt bisher oft.
Was empfehlen große Denker konkret zur Konfliktnachsorge?
Beim Vater des modernen Naturrechts, dem Niederländer Hugo Grotius (1583–1645), findet sich eine gewisse Sensibilität für Konfliktnachsorge. So schreibt er ein bisschen etwas über Prinzipien der Kapitulation, Regeln für Friedensverhandlung und Ähnliches. Richtig gründliche Gedanken zur Konfliktnachsorge macht sich aber erst der US-amerikanische Philosoph Michael Walzer (Jahrgang 1935). Auch so strittige Themen wie Siegerjustiz nach gewonnenen Kriegen spricht er an. Trump und Netanjahu sollten mal in sein Buch „Just and Unjust Wars“ (2015) reinlesen. Ob Kriege erfolgreich waren, entscheidet sich immer erst im Frieden danach.
Interview: Barbara Just