AfD-Erfolg
Landtagswahlen in Ostdeutschland: Was kann die Kirche tun?
Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen hat die rechtsextreme AfD über 30 Prozent der Stimmen bekommen. In Brandenburg liegt die Partei mit 29,2 Prozent nur knapp hinter der SPD. Wie können Kirchen und Christen helfen, die polarisierte Gesellschaft zu versöhnen? Thomas Arnold, Berater der Deutschen Bischofskonferenz, hat dazu ein paar Ideen.
„Die Ergebnisse der AfD sind erschreckend“, sagt Thomas Arnold. Bei den Landtagswahlen in Thüringen wurde die Partei mit 32,8 Prozent stärkste Kraft, in Sachsen landete sie mit 30,6 Prozent knapp hinter der CDU. Ähnlich wie in Sachsen ist die Lage in Brandenburg: die SPD konnte dort den Sieg der AfD nur mit Hilfe ihres populären Ministerpräsidenten Dietmar Woidke auf den letzten Metern stoppen. In Sachsen und Thüringen wird die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Arnold erzählt, er höre von vielen Menschen: „Wenn die AfD in die Regierung kommt, dann gehen wir.“ Auch er habe sich schon die Frage gestellt: Will ich dann in diesem Land noch leben?
Debatten zwischen Bürgern und Politikern
Seit Jahren sieht Arnold, wie schwierig die Lage besonders in ländlichen, stark alternden Regionen Ostdeutschlands ist. Als Leiter der Katholischen Akademie ist er mit dem „SachsenSofa“ durch die Dörfer getourt und hat Debatten zwischen Bürgern und Politikern organisiert. Er will möglichst viele dafür gewinnen, mitzureden und sich in demokratischen Parteien zu engagieren. Arnold, der mittlerweile im Leitungsstab des sächsischen Innenministeriums arbeitet, ist auch Berater der Kommission für soziale und politische Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Er überlegt, wie es weitergehen kann nach dieser Wahl.
Die Kirchen, sagt Arnold, hätten eine große Verantwortung. Sie genössen Vertrauen über Milieus und Parteigrenzen hinweg: „Sie können Räume zur Verfügung stellen und Moderatoren, die Leute mit ihren unterschiedlichen Menschenbildern und Weltauffassungen zusammenbringen – und darauf achten, dass diese Leute beieinander bleiben im Streit um die beste Lösung.“
Gemeinden sollen Vorbilder sein
Wenn ein Pfarrer merke, dass es in seiner Gemeinde zwischen AfD-Sympathisanten und AfD-Gegnern brodelt, dann solle er darauf reagieren. Eher nicht in der Predigt: „Ich bezweifle, dass der Gottesdienst der richtige Ort für politische Positionierungen ist.“ Sondern indem er alle zum Gespräch einlädt: „Wenn ein Konflikt auf dem Kirchhof da ist, dann müssen wir den auch ausdiskutieren.“ Arnold betont: „Die Gemeinden müssen ein Vorbild sein für die Gesellschaft: Sie sollten in der Sache, um den Inhalt ringen und streiten, aber sie sollten den Menschen an sich nicht ablehnen – auch wenn er eine noch so schräge Auffassung vertritt.“ Für ein gutes Streiten, so Arnold, brauche es eine erfahrene Moderation. Das könne nicht jede Gemeinde leisten. Deshalb sei es wichtig, dass die Bistümer sie unterstützen.
Worüber aber sollte in den Kirchen diskutiert werden, um erhitzte Gemüter abzukühlen und entfremdete Menschen einander näherzubringen? Arnold sagt, wichtig sei etwa, den Umgang von Politik und Gesellschaft mit der Corona-Pandemie aufzuarbeiten, denn das Thema sei im Osten immer noch überall präsent. Es wäre richtig, eine parlamentarische Enquete-Kommission zu bilden: „Aber das reicht nicht aus. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir als Gesellschaft uns versöhnen und vergeben können.“ Kirchen und Gläubige hätten zu diesen Begriffen viel zu sagen: „Diesen Schatz müssen sie unbedingt einbringen.“
Wahrheit und Versöhnung
Arnold wünscht sich eine Art flächendeckende Wahrheits- und Versöhnungskommission. Er betont: „Dabei geht es nicht darum, Schuldige zu suchen, die in der Pandemie Fehler gemacht haben. Aber wir sollten gemeinsam nachdenken: Wie können wir nach dem, was geschehen ist, wieder zusammenkommen?“ Überhaupt müssten wir mehr darüber sprechen, was uns prägt und eint. Was uns Heimat bedeutet. Und was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, in der jeder die Möglichkeit hat, Verantwortung zu übernehmen für sein Glück und für das Glück der anderen. Zu all diesen Themen könnten die Kirchen Gesprächsangebote machen, sagt Arnold. Und natürlich auch zum Thema Migration, das sehr viele Menschen bewegt.
„Ich würde mir wünschen, dass wir in der Kirche differenzierter über Migration nachdenken“, sagt Arnold. Die Positionen, die manche Bischöfe zuletzt dazu vertreten hätten, würden in der Bevölkerung kaum mehr akzeptiert: „Wir brauchen eine Politik, die ein großes Herz hat und zugleich in der Gesellschaft Akzeptanz findet. Diese Akzeptanz werden wir nur erhalten, wenn wir Migration so gestalten, dass auch Integration gelingt.“ Wer allein die Not der Flüchtlinge sehe und nicht die Sorgen der einheimischen Bevölkerung, der riskiere bei den nächsten Wahlen einen noch stärkeren Rechtsruck.
Interne Debatten beenden
Arnold sagt, wenn Familien in Schulen den Eindruck hätten, dass ihre Kinder nicht mehr ausreichende Lernmöglichkeiten bekommen, weil die Ressourcen begrenzt sind und für Flüchtlinge genutzt werden, solle man das nicht als Neid abtun: „Ich würde mir wünschen, dass die Kirche mitdiskutiert: Was ist denn die beste Lösung in dieser Situation? Das machen wir zu wenig.“ Um Kraft für solche Diskussionen zu haben, sagt Arnold, müsse die Kirche ihre internen Debatten möglichst schnell beenden – sowohl die um neue Pfarreistrukturen als auch die um Reformen: „Wir brauchen unsere Ressourcen dringend, um uns mit unserer christlichen Haltung in die aktuellen gesellschaftlichen Debatten einzubringen.“
Denn die Lage wird schwierig bleiben. Doch Arnold sagt, wenn die demokratischen Parteien in der Landespolitik künftig vertrauensvoll zusammenarbeiteten, dann habe er Hoffnung: „Es ist nicht unumgänglich, dass die AfD immer stärker wird.“ Sein Eindruck sei, „dass viele Menschen bereit sind, an einer anderen Politik mitzuarbeiten“. Man müsse nur neue Formen finden, wie mehr direkte Demokratie möglich ist.
(Andreas Lesch)
23.09.2024: Update zur Landtagswahl in Brandenburg