Gerechtigkeit
02.08.2024

Joachim Herrmann über Bayerns Sicherheit und aktuelle Herausforderungen

Bayerns Innenminister spricht über Abschiebungen, Antisemitismus und die Verunglimpfung des Christentums bei den Olympischen Spielen in Paris.

Foto: © Kiderle

Joachim Herrmann (CSU), Bayerns Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, spricht im exklusiven Interview für innehalten.de über Bayerns Sicherheit, die Herausforderungen bei Abschiebungen und den wachsenden Antisemitismus. Er erklärt auch, warum er die Darstellung des Christentums bei den Olympischen Spielen in Paris als Verunglimpfung empfand.

Herr Staatsminister, wie sicher leben wir in Bayern im Sommer 2024?

Insgesamt erfreulich sicher, jedenfalls sicherer als in allen anderen Teilen Deutschlands. Wir haben die niedrigste Kriminalitätsrate und die höchste Aufklärungsquote. Hundertprozentige Sicherheit kann freilich keiner garantieren.

Sie selbst werden bei öffentlichen Auftritten von Personenschützern begleitet. Haben Sie das Gefühl, dass Sie ohne diesen Schutz in Gefahr wären?

Ich fühle mich nicht bedroht, und es gibt nach meiner Kenntnis auch keine konkreten Drohungen oder Anschlagspläne. Der Begleitschutz ist ein Standard in Deutschland, den alle Regierungschefs der Länder und alle Innenminister haben; darüber hinaus weitere Personen auf Landesebene, bei denen eine besondere Gefährdung angenommen wird.

Sie werben für „Mehr Sicherheit durch mehr Polizei“ – ist das nicht eine zu einfach gedachte Gleichung? Verstärkte Polizeipräsenz löst ja noch kein Problem …

Sicherheit ist mehr als Präsenz von Polizei, aber die Präsenz und die aktive, engagierte Arbeit der Polizei sind schon sehr wichtig. Ich bin froh, dass der Bayerische Landtag in den letzten 15 Jahren 8.000 zusätzliche Stellen für die bayerische Polizei bewilligt hat und dass wir auch in der laufenden Legislaturperiode weiter aufstocken können. Wir haben ja auch Bevölkerungswachstum und ein Wachstum des Verkehrs. Je höher die Aufklärungsquote, desto größer ist auch die Abschreckung: In der kriminellen Szene wird genau beobachtet, wie groß beispielsweise das Risiko ist, bei einem Wohnungseinbruch erwischt zu werden. Klar ist aber, dass Prävention über die reine Polizeipräsenz hinausgeht und dass es auch wichtig ist, gute soziale Verhältnisse zu haben – etwa eine niedrige Arbeitslosigkeit –, um Straftaten zu vermeiden.

Sie setzen sich ein für ein „gerechtes, weltoffenes und christlich geprägtes Bayern“. Plädieren Sie also für eine christliche Leitkultur, die auch von nichtchristlichen Zuwanderern zu respektieren ist?

Wir haben eine von der Tradition geprägte christliche Leitkultur in unserem Land, bei aller Offenheit gegenüber anderen Überzeugungen. So steht es auch in der bayerischen Verfassung von 1946, wo als Bildungsziel ausdrücklich die „Ehrfurcht vor Gott“ und die „Achtung vor religiöser Überzeugung“ festgeschrieben sind. Genau darum geht es: einen eigenen Standpunkt zu haben, zum Beispiel ein religiöses Bekenntnis, und gleichzeitig tolerant und respektvoll gegenüber denen zu sein, die gar nichts glauben oder eine andere religiöse Überzeugung haben. Aber die Mehrheit der Bevölkerung in Bayern ist immer noch von der christlichen Tradition geprägt.

Im Bereich Asyl ist ein großes Problem, dass abgelehnte Asylbewerber, die ausreisepflichtig sind, oft nicht freiwillig gehen und auch nicht abgeschoben werden können, etwa wegen fehlender Reisedokumente, unbekannter Identität oder fehlendem Abkommen mit dem Zielland. Die Folge ist, dass diese Personen oftmals monate- oder sogar jahrelang in Flüchtlingsunterkünften perspektivlos ihr Dasein fristen, kaum Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten haben und oft auch in die Drogenszene abrutschen. Was tun Sie, um diese für alle Seiten unbefriedigende Situation zu ändern?

Wir müssen da in mehrfacher Hinsicht ansetzen: Das Eine ist, dass jemand, dessen Asylantrag vom zuständigen Bundesamt abgelehnt wird, in der Regel unser Land in aller Regel auch wieder verlassen muss. Bei der Rückführung in die eigene Heimat muss noch konsequenter und schneller gehandelt werden. Dazu gibt es verschiedene Förderprogramme zur freiwilligen Ausreise. Es reisen auch jeden Monat zahlreiche Leute freiwillig aus, aber dazu gehört notfalls auch die Abschiebung, die jetzt in mehr Fällen auch wieder gelingt. Manche Herkunftsländer weigern sich tatsächlich auch, ihre eigenen Landsleute wieder zurückzunehmen, aber insgesamt haben wir in den letzten Monaten die Rückführungen deutlich gesteigert. Auf der anderen Seite ist klar: Dort, wo jemand nicht in seine Heimat zurückkann, obwohl er bei uns nicht anerkannt ist, muss die Möglichkeit gegeben werden, dass er von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann. Es macht keinen Sinn, ihn auf Dauer arbeitslos in einer Asylunterkunft zu belassen. Ziel muss sein, dass er sich fortbildet und dass so jemand auch Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt wahrnimmt. Wenn er schon unser Land nicht verlassen kann, ist es besser, wenn er arbeitet, als dass er ausschließlich dem Steuerzahler zur Last fällt.

Aus christlicher Perspektive betrachtet ist es ein unerträglicher Zustand, dass Menschen mitten unter uns in so einem hoffnungslosen Schwebezustand leben müssen. Sie sind oftmals sprachlich gut integriert und wollen auch arbeiten, dürfen es aber nicht, weil sie keinen Aufenthaltstitel haben. Es kommt auch immer wieder zu Härtefällen und Skandalen: wenn etwa eine ganze Familie mit Kindern nachts von der Polizei aus dem Schlaf gerissen und abgeschoben wird. Verhalten sich die Behörden hier manchmal zu herzlos?

Das kann ich so nicht sehen. Natürlich ist nicht jeder Einzelfall einfach. Die Grundsatzentscheidung über Asyl trifft wohlgemerkt das Bundesamt, und wir sind als Landesbehörde in aller Regel an diese Entscheidung gebunden. Interessanterweise wird von kaum jemandem infrage gestellt, wenn das Bundesamt positiv entscheidet, also Asyl gewährt. Was nicht angeht in einem Rechtsstaat, ist, wenn umgekehrt die Bundesbehörde sagt: „Nein, der hat keinen Anspruch auf Asyl“, und ein Verwaltungsgericht das auch noch bestätigt, dass man dann sagt: „Das ist jetzt aber ganz ungut!“ Das ist eine rechtsstaatliche Entscheidung, die zu respektieren ist – das kann ich dann nicht einfach als herzlos bezeichnen. Situationen, in denen jemand überhaupt nicht arbeiten darf, gibt es fast nicht; auch wenn jemand noch nicht als Flüchtling anerkannt ist, hat er in der Regel nach einem halben Jahr die Möglichkeit, zu arbeiten. Die Abschiebung hat vor allem dann Vorrang, wenn jemand schwere Straftaten begangen hat. Es wird übrigens von vielen Medien in der Berichterstattung über solche Abschiebemaßnahmen unterschlagen, dass es sich häufig um Straftäter handelt, die unser Land verlassen müssen.

Sie sind überzeugter Katholik und haben sich eine christlich-soziale Politik auf die Fahnen geschrieben, als Innenminister kommen Sie aber um eine gewisse Härte zum Beispiel bei der Asylpolitik nicht herum. Wie schwierig ist es, Realpolitik zu betreiben und dabei Christ zu bleiben?

Mir ist mein christlicher, katholischer Glaube sehr wichtig, und das prägt insgesamt auch meine politische Motivation. Natürlich kann es im Einzelfall bei der ethischen und moralischen Abwägung auch zu schwierigen Fragen kommen, das geht aber sicherlich vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im täglichen Leben auch so. Harte Entscheidungen muss auch ein Personalchef einer Firma treffen, der eine Kündigung ausspricht. In den allermeisten Fällen gelingt es mir persönlich schon, zu Entscheidungen zu kommen, bei denen ich für mich keinen Gewissenswiderspruch sehe.

Gesellschaftliche Integration gelingt am besten, wenn sowohl die aufnehmende Seite als auch die zu integrierenden Personen bereit sind und sich darum bemühen. Schauen wir zunächst auf die Gesellschaft hier in Bayern: Was erwarten Sie von den „Alteingesessenen“ an Aufnahmebereitschaft oder Engagement zugunsten von Migranten?

Wir müssen generell bei den Migranten unterscheiden: Einerseits haben wir einen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, da in unserem Land seit Jahren deutlich weniger Kinder geboren werden, als wir zur Aufrechterhaltung unseres Arbeitsmarktes brauchen. Somit ist es zwingend notwendig, dass Menschen zusätzlich in unser Land kommen – da brauchen wir sowieso eine klare Willkommenskultur. Andererseits reden wir von Flüchtlingen. Auch von ihnen sind viele geeignet als Arbeitnehmer, allerdings nicht alle. Aber klar ist: Wo es um das in unserer Verfassung verankerte Grundrecht auf Asyl geht, erwarte ich von allen Mitbürgern, dass sie das grundsätzlich respektieren. Und für alle, die auf Dauer hier bleiben können oder sogar sollen, weil wir sie als Arbeitskräfte brauchen, erwarte ich natürlich auch ein Mindestmaß an Willkommenskultur. Es liegt in unserem eigenen Interesse, sie gut zu integrieren.

Und wie sieht es bei den Menschen aus, die zu uns kommen: Als wie integrationswillig erleben Sie sie?

Wie immer, wenn man es mit Menschen zu tun hat: Sie sind sehr unterschiedlich. Da gibt es viele, die sich schnell hervorragend integrieren, aber auch welche, die wenig Interesse an Arbeit haben, und solche – eine Minderheit –, die Straftäter sind oder die sogar zu dem Zweck in unser Land kommen, Straftaten zu begehen. Das alles ist Lebensrealität: Es gibt nicht nur die Guten, es gibt nicht nur die Bösen. Wir sollten das Positive wahrnehmen, und ich sehe die vielen tollen Menschen in unserem Land mit ihren großartigen Leistungen. Aber wir müssen auch die Kehrseite der Medaille sehen: Es gibt immer auch böse Menschen in unserem Land, und das entspricht ja auch dem christlichen Menschenbild. Deswegen dürfen wir nicht alle in einen Topf werden und müssen auf jeden Einzelnen angemessen reagieren.

Welche Bedeutung hat eigentlich der „eingewanderte“ Antisemitismus, den einige muslimische Migranten mitbringen?

Wir spüren seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des letzten Jahres in erschreckender Weise, dass in unserem Land eine große Zahl von Menschen aus dem Nahen Osten einen zum Teil radikalen Antisemitismus lebt, wie es viele unserer Mitbürger vorher nicht wahrhaben wollten. Hier müssen wir deutlich machen, dass wir Antisemitismus in Deutschland nicht dulden. Dieselbe Akzeptanz, die Muslime von uns erwarten, müssen sie auch jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bei uns entgegenbringen. Man kann nicht nur für sich selbst einen Anspruch auf Religions- und Meinungsfreiheit haben, sondern man muss bereit sein, dasselbe auch anderen zu gewähren.

Manche Jüdinnen und Juden scheuen mittlerweile davor zurück, sich in der Öffentlichkeit als jüdisch zu erkennen zu geben, weil sie Übergriffe fürchten. Ist jüdisches Leben in Bayern unsicherer geworden?

Wir erleben einen Zuwachs an Antisemitismus, das ist unübersehbar. Trotzdem tun wir hier in Bayern alles dafür, gerade jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein sicheres Leben zu ermöglichen. Wir müssen überall für ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt und Toleranz werben – was übrigens nicht in allen Ländern des Nahen Ostens und auch nicht von jedem Israeli gegenüber Christen gewährleistet ist. Wir müssen überall dafür werben, dass wir Respekt voreinander haben und friedlich zusammenleben wollen. Und wir müssen darauf achten, dass uns das nicht von einer Minderheit kaputtgemacht wird.

Sind Sie zufrieden damit, was Judentum, Christentum und Islam hier bei uns im Land für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten?

Ich glaube, dass sich die christlichen Kirchen genauso wie der Zentralrat der Juden und jüdische Gemeinden, aber auch viele muslimische Gruppierungen für das friedliche Zusammenleben engagieren. Es gibt leider auch Minderheiten, die das nicht tun. Insgesamt müssen wir vor allem den interreligiösen Dialog stärken. Um den Fake News von radikalen Splittergruppen vorzubeugen, müssen wir mehr Sachkenntnis von den Religionen in unserem Land unters Volk bringen. Es ist wichtig, dass insbesondere die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam in einem engen Kontakt miteinander sind, nicht nur Rabbiner, Bischöfe und Imame, sondern die „Durchschnittsangehörigen“ der Religionen. Viele Menschen haben leider keine Ahnung davon, was am Samstag in einer Synagoge oder am Freitag in einer Moschee geschieht.

Es gibt auch immer weniger Menschen, die wissen, was am Sonntag in einer Kirche passiert …

Das ist in der Tat leider so, das erlebe ich auch. Wenn man zum Beispiel darüber redet, dass die Inhalte des Alten Testaments auch Glaubensinhalte im Judentum sind, erntet man erstaunte Blicke, weil nicht mehr bekannt ist, worüber man da spricht.

Sie haben sich in der Vergangenheit dafür starkgemacht, religiöse Symbole vor Verunglimpfung zu schützen. Für Aufsehen hat kürzlich die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris gesorgt, bei der eine queere Parodie des von Leonardo da Vinci gemalten „Letzten Abendmahls“ gezeigt wurde. Wurde hier die Grenze zur Verunglimpfung des christlichen Glaubens überschritten?

Ich finde schon. Gerade die sogenannte queere Community beansprucht maximale Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt und Respekt vor unterschiedlichsten Weltanschauungen und Lebensformen. Wenn ich diese Toleranz einfordere, kann ich nicht zugleich das Christentum in dieser Art und Weise verspotten. Es ist unglaubwürdig, ganz bewusst das Abendmahl als sexualisiertes Trinkgelage zu inszenieren und dann zu behaupten, eine Verletzung religiöser Gefühle habe man nicht gewollt. Wie ungeheuer sensibel reagieren diese Leute, wenn jemand ihre vermeintlich geschlechtergerechte Sprache infrage stellt oder die zahlreichen beliebigen geschlechtlichen Orientierungen nicht sofort versteht. Dieser Auftritt mag vom Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sein. Aber es ist ein extrem schlimmes Beispiel für mangelnden Respekt vor der religiösen Überzeugung anderer. So etwas gefährdet den inneren Frieden in unserem Land.

Angesichts möglicher bevorstehender Wahlerfolge des Rechtspopulismus in Ostdeutschland: Machen Sie sich Sorgen um unsere freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie?

Wir müssen die aktuellen Entwicklungen sehr ernst nehmen. Und das radikale Agieren von einigen Funktionären in der AfD macht mir Sorge, ebenso wie die Reichsbürgerszene, die einen Anschlag mit Waffengewalt auf den Bundestag geplant hatte. Das sind keine Nebensächlichkeiten. Jetzt geht es darum, zu versuchen, die Stimmenanteile der AfD bei den Wahlen in Ostdeutschland möglichst niedrig zu halten. Ich persönlich hoffe sehr, dass die AfD es nirgendwo schafft, in Regierungsverantwortung zu kommen. Es ist die Aufgabe demokratischer Parteien, im Wettbewerb zu bestehen. Aber ich bin auch dankbar für das klare Wort der Bischöfe, dass in der AfD Propaganda betrieben wird, die mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar ist. Wenn sich zum Beispiel Björn Höcke dagegen ausspricht, dass behinderte Schüler in einer normalen Schule unterrichtet werden, ist das mit dem christlichen Menschenbild kaum mehr vereinbar. Mir macht es Sorgen, dass diese Fragen von manchen Menschen ignoriert werden, die nur Protest wählen wollen. Umso mehr kommt es darauf an, dass gerade wir Christen jetzt den Mund aufmachen und für eine gute Politik in Deutschland sorgen.

Joachim Burghardt
Artikel von Joachim Burghardt
Redakteur
Immer auf der Suche nach spannenden, kontroversen und kuriosen Themen rund um Glauben und Wissen.