Gerechtigkeit
24.12.2024

„Ich gehe mit Frieden, Liebe und Licht“

Christen glauben, dass Gott mit seiner Menschwerdung nicht nur das menschliche Leben geheiligt, sondern auch die dunkelsten Verliese unserer Schuld mit Licht erfüllt hat. Aus diesem Anlass erzählen wir zu Weihnachten diese wahre Geschichte von Todeskandidaten, die in äußerster Bedrängnis bemerkenswerte letzte Botschaften hinterlassen haben.

Im Film „Todesstrafe – Ein Deutscher hinter Gittern“ (2000) versetzte sich Jan Josef Liefers in die Lage eines Häftlings in einer Todeszelle in Florida. Im Film „Todesstrafe – Ein Deutscher hinter Gittern“ (2000) versetzte sich Jan Josef Liefers in die Lage eines Häftlings in einer Todeszelle in Florida. Foto: © imago/United Archives

Es ist ein beliebtes Gedankenspiel: „Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten?“ Abgesehen davon, dass dieser Fall in Wirklichkeit nur selten so eintritt, dürfte der Erkenntnisgewinn bei diesem „Wünsch dir was“ begrenzt sein. Doch manchen stellt sich die Frage in noch viel zugespitzterer Form: „Was möchten Sie sagen, jetzt, da Sie nur noch zehn Minuten zu leben haben? Was sind Ihre letzten Worte?“ Genau in dieser Situation befinden sich viele zum Tode verurteilte Personen kurz vor ihrer Exekution.

„An meine Familie: Mir geht’s gut, ich bin stark; ihr sollt einfach wissen, dass es mir gut gehen wird. Mir geht’s gut. Ich liebe euch alle. Ich liebe euch alle, wirklich. Ich werde euch alle in der anderen Welt sehen. Ich bin bereit, Wärter. Schick mich nach Hause.“
David Renteria † 16.11.2023

Allein in den USA wurden seit 1977, als die zuvor ausgesetzte Todesstrafe wieder eingeführt wurde, 1.605 Personen durch Giftspritze (1.422), auf dem elektrischen Stuhl (163), durch Inhalation eines tödlichen Gases (14), durch Erschießen (3) oder Erhängen (3) exekutiert. Dabei gehört es vielerorts zur Tradition, dass die Delinquenten nicht nur das Recht auf eine Henkersmahlzeit ihrer Wahl haben, sondern auch noch ein persönliches Statement abgeben können, welches zu Protokoll genommen und teils auch veröffentlicht wird. Sobald das letzte Wort gesprochen ist, macht sich das Exekutionsteam an die Arbeit.

„Mama, bleib stark. Herr, vergib mir meine Sünden, denn jetzt komme ich. Auf geht’s, Wärter!“   
Jermaine Herron † 17.5.2006

 

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Von 13 der 50 US-Bundesstaaten sowie auf Bundesebene wurde die Todesstrafe in den letzten zehn Jahren vollstreckt, fast 99 Prozent der Getöteten waren männlich. Zahlreiche Einzelaspekte dieser „kapitalen Bestrafung“ – auf Englisch capital punishment oder auch death penalty – sind diskussionswürdig: Sei es, dass Verurteilte oft jahrzehntelang auf die Vollstreckung der Strafe warten müssen, oder dass Todesurteile gegen geistig Behinderte oder zum Tatzeitpunkt Minderjährige ausgesprochen werden – um nur zwei Beispiele zu nennen.

„Gott segne euch alle. Ich bin okay. Sag ihnen, dass ich am Ende stark war. Ich liebe euch alle. Ich bin fertig. Ich liebe dich, Richie. Ich liebe dich. Danke, Brad und John, euch allen. Gott ist gut. Ich liebe dich, Tantchen. Ich bin fertig.“
Lisa Coleman † 17.9.2014


Besonders aufsehenerregend aber – und Inspirationsquelle für viele Verfilmungen – sind Justizirrtümer. Bis heute kommt es immer wieder zu irrtümlichen und fehlerhaften Todesurteilen, die teils nach jahrelanger Haft, teils auch erst nach der Exekution eines unschuldig Verurteilten neu beurteilt werden. Laut einer Studie der Universität Michigan sind über vier Prozent der zum Tode Verurteilten in den USA unschuldig – was bedeuten würde, dass von den derzeit über 2.100 inhaftierten Todeskandidaten mehr als 80 rehabilitiert werden müssten.    

„Ich bin unschuldig, unschuldig, unschuldig. (…) Ich bin ein unschuldiger Mann, und heute Abend geschieht etwas sehr Unrechtes. Gott segne euch alle. Ich bin bereit.“
Leonel Torres Herrera † 12.5.1993  

(Der wegen eines 1981 verübten Mordes zum Tode verurteilte Herrera legte neues Beweismaterial vor, um seine Unschuld zu beweisen. Doch das Gericht hielt aus formaljuristischen Gründen am Todesurteil fest.)   

Auch die Liste der missglückten Exekutionen ist lang und grausam. Kenneth Eugene Smith sollte am 17.11.2022 in Alabama durch die Giftspritze sterben, doch trotz zahlreicher Einstichversuche und obwohl er in die Position einer Kopfüber-Kreuzigung befördert wurde, damit seine Venen anschwellen, gelang es nicht, ihm das Gift zu injizieren. Nach über einer Stunde wurde die Exekution abgesagt. Erst gut ein Jahr später, am 25.1.2024, wurde die Strafe doch noch vollstreckt: Zum ersten Mal weltweit kam dabei Stickstoff-Inhalation zur Anwendung, Smith wurde sozusagen vergast. Er durchlitt einen minutenlangen Todeskampf, wobei er krampfte und um sich schlug.

„Ich gehe mit Frieden, Liebe und Licht. (…) Danke für eure Unterstützung. Liebe euch alle.“
Kenneth Eugene Smith † 25.1.2024


Sich mit der Todesstrafe zu befassen, bedeutet aber auch, die Verbrechen zu sehen, die überhaupt erst zu den Urteilen geführt haben. Kaltblütiger Raubmord, gewissenloser Auftragsmord, Erschießen eines Polizisten auf der Flucht aus dem Gefängnis, spontaner Mord an einem Anhalter im eigenen Auto, Auslöschen der gesamten eigenen Familie samt Frau und Kindern, Vergewaltigung und Ermordung eines Kindes – das alles gehört zur traurigen Wahrheit, die viele unschuldige Menschen das Leben gekostet und viele schuldige in den Todestrakt gebracht hat.

 (An die anwesende Familie seines Mordopfers gewandt, über 18 Jahre nach der Tat:)  

„Ich habe Gewissensbisse und bereue diese abscheuliche Tat. Ich hoffe, das verschafft euch Trost. Wenn euch das hilft, bin ich froh. Ich hoffe, in irgendeiner Form hilft euch das, mit der Sache abzuschließen. An meine Frau, meine Freunde, meinen Sohn (…), ich liebe euch alle. Ihr sollt einfach wissen, dass ich gut gekämpft habe, und ich bin bereit zu gehen. Ich bin bereit, Wärter.“
John Henry Ramirez † 5.10.2022


Eines der rätselhaftesten Phänomene aber ist die Sprache der Verurteilten im Angesicht des Todes. Was würde man wohl erwarten bei einem, dessen letzte Stunde geschlagen hat? Er hätte allen Grund, zu schreien und zu toben, zu verfluchen und anzuklagen, zu verzweifeln oder wahnsinnig zu werden. Doch fast alle Todgeweihten, sofern sie nicht schweigen, äußern sich versöhnlich und wohlwollend. Ihre letzten Worte strahlen sehr oft Gefasstheit, ja Gelöstheit und Güte aus, sie senden herzergreifende Botschaften des Danks, des Mitgefühls, der Liebe und der Vergebung. Darunter sind auch oft Gebete zu Gott – und manchmal sogar Segenswünsche für den eigenen Henker.  

„Seid nicht traurig über meine Lage, denn ich bin es auch nicht. Ich bin immer noch gläubig und ich bin immer noch stark. Gebt einfach allen da draußen meine Liebe. Vergesst mich nicht und zündet eine Kerze für mich an, wenn ihr könnt. Ich liebe euch alle.“  
Robert Andrew Lookingbill † 22.1.2003


Dieses auffällige sprachliche Muster wurde mehrfach wissenschaftlich untersucht. Eine Mainzer Studie wertete 2016 die letzten Worte von 407 Häftlingen in Texas aus und analysierte sogar grammatikalische Feinheiten. Doch wie diese enorme „Positivität“ über die rein statistische Beschreibung hinaus zu deuten ist, darüber konnten die Forscher nur mutmaßen. Ist es als psychologischer Automatismus zu erklären, wenn man im Augenblick maximaler Machtlosigkeit mit liebevollen Worten noch einmal die Welt umarmt, um das Unerträgliche irgendwie doch zu ertragen? Ist es ein archaischer, instinkthafter Reflex, um noch ein letztes Quantum Trost, Kontrolle oder Wirkungskraft zu spüren?     

„An meine Mama: Ich liebe dich. Ich werde jetzt den Herrn sehen. Der Herr ist mein Hirte. Lasst alle wissen, dass ich sie liebe, das ist kein Abschied. Wir sehen uns später.“
Keith Clay † 20.3.2003


Oder geschieht hier etwas, das weit über die Psychologie hinausgeht? Liest man die Botschaften nicht mit kühler wissenschaftlicher Neugier, sondern mit der Empathie des Herzens, so kann sich der Eindruck aufdrängen, als tue sich für die Verurteilten bereits Minuten vor dem Tod eine Tür in eine andere Welt auf. Es ist, als leuchte ihnen schon ein tröstliches Licht entgegen, und als spürten sie, dass ihnen – in ihrem Elend, in ihrer Schuld, in ihren Fesseln – der Mensch gewordene Gott ganz nahe ist.

„Süßer Jesus, jetzt komme ich. Bring mich nach Hause. Ich gehe in deine Richtung.“
Kenneth Gentry † 16.4.1997


Zuletzt wurde die Todesstrafe wenige Tage vor Weihnachten 2024 an Joseph Edward Corcoran und an Kevin Ray Underwood vollstreckt, bei Letzterem an dessen 45. Geburtstag. Nach der Weihnachtspause geht es in den USA im Januar und im Februar 2025 weiter mit den nächsten Exekutionen. Die Liste der bereits terminierten Exekutionen reicht bis ins Jahr 2028 – manche Verurteilten kennen also schon über drei Jahre im Voraus ihren Todestag, sofern sich zwischenzeitlich nicht noch juristische Möglichkeiten finden, die Vollstreckung zu verschieben oder abzusagen.

Die Zitate sind Auszüge aus den letzten Statements der Häftlinge und stammen bei Kenneth E. Smith aus Medienberichten, in allen anderen Fällen von der Website der texanischen Strafjustizbehörde (www.tdcj.texas.gov). 
Joachim Burghardt
Artikel von Joachim Burghardt
Redakteur
Immer auf der Suche nach spannenden, kontroversen und kuriosen Themen rund um Glauben und Wissen.