Gerechtigkeit
08.04.2024

Fotoausstellung

Gefährlicher Verdacht – Hexenverfolgung in Ghana

Ann-Christine Woehrl fotografiert in Ghana Frauen, die beschuldigt werden, Hexen zu sein. Jetzt sind ihre Bilder in einer Ausstellung in München zu sehen.

 Porträt von Nlogi Waakpan in Gushiegu, Ghana. Porträt von Nlogi Waakpan in Gushiegu, Ghana. Foto: © Ann-Christine Woehrl

Auf diesen Fotoporträts lächelt niemand. Traurige Augen sind zu sehen, aus denen aber auch Stärke und Selbstbehauptung sprechen. Es sind der Hexerei bezichtigte Frauen aus Ghana. Für eine solche Anschuldigung braucht es nicht viel: Jemand fällt von einem Traktor, bricht sich ein Bein und macht den bösen Zauber einer Mitfahrerin dafür verantwortlich. Ein Mann stiehlt Ziegen und beschuldigt eine Dorfbewohnerin, seinen Verstand behext zu haben. Eine Frau fühlt sich im Traum von einer Verwandten verfolgt, die deshalb mit magischen Kräften ausgestattet sein muss.

Wer einen solchen Verdacht auf sich zieht, lebt gefährlich. Immer wieder kommt es zu Gewalt und Lynchmorden an angeblichen Hexen. Im Norden Ghanas sind acht Ansiedlungen für sie entstanden, unterstützt von einheimischen Nichtregierungsorganisationen. Entweder fliehen die Frauen selbst oder besorgte Verwandte bringen sie dorthin. In den Camps leben sie unter kümmerlichen Bedingungen, sammeln auf Märkten verlorene Sojabohnen oder Maiskörner auf und bestellen kleine Äcker.


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Zusammenleben in „Witch-Camps“

Ann-Christine Woehrl fotografiert diese Frauen. Im Frühling 2024 sind ihre lebensgroßen Bilder in München zu sehen, zusammen mit Arbeiten der Künstlerin Senam Okudzeto. 2005 reisten die beiden zum ersten Mal in zwei Witch-Camps, und seitdem fotografiert Woehrl die ausgestoßenen und misshandelten Frauen, die dort solidarisch zusammenleben. Sie hatte kurz zuvor einen Zeitungsartikel darüber gelesen, der sie nicht mehr losließ.  

Der ländliche Norden Ghanas ist vom Süden und der Hauptstadt Accra durch den Voltasee, den größten Stausee der Welt, getrennt. Aus den kleinen Dorfgemeinschaften dringt wenig nach außen. Woehrl will nicht über die Glaubensvorstellungen der Menschen in Ghana urteilen. „Mir geht es in meiner Arbeit generell um die Stigmatisierung von Menschen“, sagt die deutsch-französische Künstlerin. Nicht nur in Afrika, sondern weltweit „werden Glaubensüberzeugungen, politische oder moralische Haltungen instrumentalisiert, um andere auszugrenzen“. Mit ihrer Fotografie möchte sie „eine Plattform schaffen, um diesen Menschen ein Gesicht und eine Stimme zu geben“.

Das Festagstuch zeigt ihre Würde

Meistens hat sie die Frauen nach der Feldarbeit eingeladen, sich vor die Kamera zu setzen. Das natürliche Abendlicht sorgt für die satten Farbtöne, ein Stativ oder Lampen hat Woehrl nie benutzt: „Das würde eine Barriere aufbauen und das Vertrauen stören, das sich über Tage aufgebaut hat.“ Die porträtierten Frauen legten für die Aufnahmen extra ein Festtagstuch an, um ihre Würde zu zeigen.  

Eine von ihnen ist Nlogi Waakpan, die erfolgreiche Marktfrau war. Ihr Neffe starb durch einen Schlangenbiss. Ein Mann, der ihr Geld schuldete, schob diesen Tod auf ihre Hexenkraft. Ihr Rücken war wund von den Prügeln, mit denen ihr Dorfbewohner daraufhin zusetzten; sie drohten, sie umzubringen. Die alte Frau rettete sich in das Witch-Camp Gushiegu. Zwölf Jahre lebte sie dort. Hochbetagt war sie schließlich die Clan-Älteste. Diese Ehrenstellung half ihr, wieder in ihr Dorf zurückzukehren, wo sie schließlich starb.

Wird ein neues Gesetz durchgesetzt?

Damit Reintegration gelingt, muss sie „begleitet sein von Menschen, die Mediation betreiben und regelmäßig ins Dorf kommen“, sagt Woehrl. Etwa engagierte Christen oder Pfarrer verschiedener Konfessionen, die teils über Jahre hinweg vermitteln. 2023 hat das ghanaische Parlament zudem ein Gesetz verabschiedet, das künftig verbieten soll, Frauen der Hexerei zu beschuldigen. Die Bewohnerinnen der Witch-Camps sehen das mit gemischten Gefühlen. Denn die Politik könnte mit diesem Gesetz die Lager für überflüssig erklären und auflösen. Die Frauen sind skeptisch, ob das neue Recht überall durchzusetzen ist. Jedenfalls hätten sie keinen Zufluchtsort mehr. „Letztlich muss die ghanaische Gesellschaft ermutigt werden, solche Hexenverfolgungen nicht mehr zu dulden“, erklärt Woehrl. Sie will mit ihren Fotos dabei mithelfen. Dazu ist sie aktuell mit dem Goethe-Institut und Aktivisten vor Ort im Gespräch, um ihre Ausstellung in Ghana zu zeigen.


Die Ausstellung „Witches in Exile“ mit Bildern von Ann-Christine Woehrl und Arbeiten von Senam Okudzeto ist noch bis zum 5. Mai im Museum Fünf Kontinente in München zu sehen.
Mehr: https://www.museum-fuenf-kontinente.de

Der Förderverein „Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge“ unterstützt betroffene Frauen und informiert auf seiner Homepage regelmäßig über das Thema.
Mehr: https://hexenjagen.de

Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.