Gerechtigkeit
30.01.2025

15 Jahre Missbrauchsskandal in der Kirche

Eine bedenklich flache Lernkurve

15 Jahre ist es nun her, dass der große Skandal um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche Deutschlands seinen Anfang nahm – eine lange Zeit, in der viel passiert ist: Gutachten wurden erstellt, Gerichtsprozesse angestrengt, Gremien gegründet, Gespräche geführt. Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ findet: Nach 15 Jahren ist das bei Weitem nicht genug.

Missbrauchsbetroffene können oft erst Jahrzehnte danach über Erlittenes reden und fühlen sich teilweise auch heute noch von der Kirche alleingelassen, sagt Christian Weisner. Missbrauchsbetroffene können oft erst Jahrzehnte danach über Erlittenes reden und fühlen sich teilweise auch heute noch von der Kirche alleingelassen, sagt Christian Weisner. Foto: © imago images/Westend61

Vor 15 Jahren, im Januar 2010, waren es die mutigen Schritte von Betroffenen und des Jesuiten Klaus Mertes, damals Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, die das kirchliche „annus horribilis“ einläuteten – das Jahr, in dem das Ausmaß der jahrzehntelang vertuschten körperlichen und sexualisierten Gewalt innerhalb der Kirche in Deutschland offenbar wurde.

Der schnell ernannte Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz war bald überfordert – und blieb doch zwölf Jahre im Amt. Der „Dialogprozess“ der deutschen Bischöfe von 2011 bis 2015 verlief im Sande. Erst die erschütternden Ergebnisse der MHG-Studie, der Missbrauchsstudie im Auftrag der Bischöfe, führten dazu, dass 2019 gemeinsam mit dem Zentralkomitee der Katholiken der „Synodale Weg“ gestartet wurde. Doch der wurde viel zu lange vom Vatikan misstrauisch beäugt und behindert.


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Mehr Geld für Abwehr als für Entschädigung

Die Aufarbeitung in den 27 Diözesen erfolgt immer noch zu uneinheitlich. Einige haben bis heute keine eigenen Studien in Auftrag gegeben. Dies ist eine große Belastung für alle Betroffenen, hat aber auch eine katastrophale Öffentlichkeitswirkung, die alle anderen Leistungen der Kirche in den Hintergrund treten lässt. Einige Bistümer geben mehr Geld zur Abwehr von Forderungen als für Entschädigung von Betroffenen aus.

Sicher, es gibt jetzt Richtlinien, wie mit Vorwürfen umzugehen ist, Schulungen und Präventionsbeauftragte, Betroffenenbeiräte und Sachverständigenräte. Da kann die katholische Kirche durchaus Vorbild für andere Organisationen sein. Aber die Bischöfe und Ordensleitungen müssen ihre Anstrengungen zur Aufarbeitung noch intensivieren und wirklich angemessene Entschädigungen leisten. Notwendig ist die staatliche Aufhebung der Verjährungsfrist oder zumindest eine Verlängerung, denn viele Betroffene können erst nach Jahrzehnten über Erlittenes reden.

Aus Sicht von „Wir sind Kirche“, die wir uns seit 30 Jahren in diesem Bereich engagieren, und noch viel mehr aus Sicht der Betroffenen, ist es mehr als enttäuschend, dass die Kirchenleitungen immer noch so langsam und hinhaltend handeln.

(Christian Weisner, Mitinitiator des KirchenVolksBegehrens 1995 und Mitglied im Bundesteam von „Wir sind Kirche“)