Jakobsweg vor neuem Rekordjahr?
Die Halbjahresbilanz 2025 für den Jakobsweg kündet von neuem Massenansturm: Immer mehr Gruppen, Schulklassen und Frauen pilgern nach Santiago. Besonders beliebt sind in der ersten Jahreshälfte der Camino Francés und der portugiesische Jakobsweg.

Der Boom der Jakobspilger hält weiter an. Nach dem Rekordjahr 2024 mit fast 500.000 offiziell registrierten Pilgern erwartet die Stadt erneut einen Besucherrekord. Das jedenfalls deuten die Zahl der Pilger im ersten Halbjahr 2025 an. Sie lagen mit knapp 230.000 Pilgern um fast zehn Prozent über dem Vorjahresergebnis. Cesar Rúa, einer der Sprecher im Pilgerbüro von Santiago, ist sich deshalb ganz sicher, dass auch dieses Jahr eine neue Bestmarke erreicht wird.
Jakobsweg im Wandel: Warum immer
mehr Gruppen, Schulklassen und Frauen pilgern
Stark zugenommen habe vor allem das Wandern in Gruppen, die heute ein Drittel aller Jakobspilger ausmachen. Aber auch Schulklassen sind immer häufiger unterwegs, vor allem aus den Vereinigten Staaten. „An manchen Tagen kamen dieses Jahr mehr als 4000 Pilger in Santiago an“, freut sich Cesar Rúa, der zusammen mit 30 Angestellten und zahlreichen freiwilligen Helfern ihren Ansturm bewältigen muss.
Wenig geändert hat sich an der Zusammensetzung der Besucher. „Im Frühjahr sind die Rentner unterwegs, im Sommer Familien, im Winter kommen die Asiaten“, meint Cesar Rúa, der noch immer rätselt, warum das so ist. Frauen machen mit über der Hälfte weiter die Mehrheit der Pilger aus – anders als früher, als es umgekehrt war. Die meisten kommen zudem weiterhin aus Spanien und den USA. Dahinter liefern sich Deutsche und Portugiesen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die drittstärkste Pilger-Nation, die im letzten Jahr noch Italien war. Allerdings scheint im Heiligen Jahr 2025 für die Italiener der Gang zum Grab des Apostels Petrus in Rom attraktiver als eine Wanderung zum Heiligen Jakobus.
Beliebteste Jakobswege 2025: Warum der Camino Francés und der portugiesische Weg boomen
Beliebtester Jakobsweg ist weiterhin der Camino Francés, der französische Weg quer durch Spanien. Für fast die Hälfte der Pilger ist er die bevorzugte Strecke. Allerdings steigen die meisten erst in Sarria (Provinz Lugo) in diese Tour ein. Denn von dort aus sind es nur noch gut 100 Kilometer bis zum Grab des Apostels Jakobus: 25 bis 30 Stunden Wanderzeit, die man in einer Woche bequem schaffen kann. Eine Strecke, die vor allem auch reicht, um die Compostela zu erhalten, die offizielle Pilgerurkunde.
Ähnliches gilt auch für den zweitbeliebtesten Jakobsweg, den portugiesischen Weg, in dem man in der Grenzstadt Tui in die ebenfalls rund 100 Kilometer lange Tour nach Santiago einsteigt. Er hat an Popularität gewonnen, weil er mit Gepäcktransport und neuen Fünf-Sterne-Herbergen, in denen nachmittags ein Masseur die oft schmerzenden Waden zu neuem Leben erweckt, touristisch bestens erschlossen ist. Vor allem Reiseveranstalter zählen ihn inzwischen zu ihren Lieblingsstrecken, auf denen sie allen Reiseteilnehmern am Ende eine Pilgerurkunde garantieren. Die ist kostenlos, gibt es aber für drei Euro auch mit Siegel. Ein Angebot, von dem inzwischen die Hälfte aller Pilger Gebrauch machen und der Kathedrale zusätzliche Einnahmen von mindestens einer dreiviertel Million Euro jährlich bescheren.
Die Compostela wird jedem erteilt, der auf dem Weg nach Santiago mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder Pferd oder aber die letzten 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Den Nachweis erbringt man mit dem „Credencial de peregrino“, dem Pilgerausweis, den man unterwegs täglich zweimal abstempeln lassen muss - am besten in den Herbergen, aber auch in Kirchen, Rathäusern, Restaurants oder Cafés. Allerdings registriert man in Santiagos Pilgerbüro zunehmend auch Stempel von Taxifahrern oder Barkeepern, die fußfaulen Kunden, die einen Drink bestellen, zum Dank einen frischen Stempel in den Pilgerpass drücken.
Stabil sind die Motive der Pilger für ihre Reisen geblieben. So ist die Zahl der Pilger, die angeblich aus religiösen Motiven unterwegs sind, gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent gestiegen. Im Pilgerbüro in der Rúa Carretas 33, nur einen Katzensprung von der Kathedrale entfernt, sieht man so etwa viele Pilger jeden Morgen um 8 Uhr bei der deutschsprachigen Pilgermesse, die jetzt dort in der Kapelle und nicht mehr wie früher im Kirchlein Santo Fiz de Solovio neben der Markthalle stattfindet.
[inne]halten - das Magazin 20/2025

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Der Jakobsweg als kulturelle Wallfahrt
Jeder fünfte Pilger freilich ist aus nicht religiösen Motiven unterwegs. Sie erhalten keine Compostela, sondern eine Urkunde, die ihnen eine „kulturelle Wallfahrt“ bescheinigt. Vor allem sportliche Ambitionen werden der stark gestiegenen Zahl von Rad-Reisenden nachgesagt, die Tag für Tag ihre Drahtesel wie Devotionalien vor der Kathedrale in den Himmel recken. Allerdings kontrolliert man im Pilgerbüro nicht, ob die erstrampelt oder mit dem E-Bike absolviert wurden. Denn wer mit dem E-Bike unterwegs ist, wird inzwischen offiziell nicht mehr als Pilger betrachtet. Das erklärt auch, dass die Zahl der Radpilger offiziell stagniert, die Zahl der Beschwerden über respektlose Rad-Rüpel auf den Jakobswegen aber stark zugenommen haben. „Wir müssen versuchen, Radfahrer und Fußgänger künftig voneinander zu trennen und jedem eigene Strecken anbieten“, heißt es deshalb im Pilgerbüro.
Inzwischen erkennt man dort auch auf dem Wasser zurückgelegte Strecken für die Ausgabe der Compostela offiziell an. Sie gilt für Segelschiffer ebenso wie für Kajak- oder Kanufahrer, die sich von der Meeresseite her Santiago nähern – so wie die Männer, die einst den Leichnam des Heiligen Jakobus nach Galizien brachten. „Ruta traslatio“ wird diese Strecke genannt, die zur in Pontevedra beginnenden spirituellen Route des Portugiesischen Weges gehört. Nur die letzten Kilometer müssen in Ermangelung eines Wasserweges zu Fuß absolviert werden. Auch diese Tour wird längst von Reiseveranstaltern angeboten, die sich um Übernachtung, Hin- und Rückreise ebenso kümmern wie um die passenden Boote.
Kein Wunder, dass die offiziellen Reiseleiter knapp werden, welche die Pilger auf den Jakobswegen begleiten. Die meisten kennen die Wege bestens, so wie Pepe Mosquera, der mit seinen Gruppen anfangs mit schwerem Rucksack unterwegs war, heute kaum noch mit mehr als sieben Kilo Gepäck. „Duschen sollte man abends“, weiß er aus Erfahrung, „morgens wird die Haut zum Wandern durchs Wasser zu weich“. Den Füßen in seinen Stiefeln, die er auch im Sommer auf den Jakobswegen trägt, gönnt er morgens dagegen eine Portion Vaseline. Seitdem jedenfalls kennt er keine Blasen mehr!
Günter Schenk