Persönlichkeitsentwicklung
02.06.2025


Der Moraltheologe Jochen Sautermeister ist neu im Deutschen Ethikrat

Gutes Leben in verletzlicher Zeit – Ein Theologe im Ethikrat

Jochen Sautermeister, Moraltheologe und neues Mitglied im Deutschen Ethikrat, spricht über ethische Herausforderungen unserer Zeit: den Umgang mit Fehlgeburten, psychischen Erkrankungen, Krieg und Frieden – und warum christliche Stimmen in einer säkularen Gesellschaft weiterhin gehört werden sollten.
      

Jochen Sautermeister, Moraltheologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Bonn. Jochen Sautermeister, Moraltheologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Bonn. Foto: © Julia Steinbrecht/KNA

Welche Akzente wollen Sie im Ethikrat setzen?

Als Moraltheologe möchte ich vor allem die Perspektive einbringen: Wie ist in der Welt von heute ein gutes, würdiges, gelingendes Leben möglich?

Welche Themen meinen Sie konkret?

Zum Beispiel fände ich es gut, sich dem Thema Fehlgeburt zu widmen. Denn dieses Thema betrifft sehr viele Menschen, aber öffentlich wird kaum darüber gesprochen. Welche Hilfsangebote gibt es bereits? Wie könnten sich Kliniken, Frauenärzte und Selbsthilfegruppen besser vernetzen? Wie können wir das Bewusstsein für das Leid der Betroffenen schärfen und das Thema enttabuisieren? Wie kann Betroffenen besser geholfen werden?

Welches Thema liegt Ihnen noch am Herzen?

Der Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. Es ist wichtig, etwas gegen Vorurteile und das Informationsdefizit zu tun. Viele Erkrankte werden direkt oder indirekt stigmatisiert. Wenn es etwa in den Medien nach einem Anschlag heißt: „Die Person war psychisch krank“, dann ruft das sehr problematische Assoziationen hervor. Denn psychische Erkrankungen sind sehr verschieden und dürfen keinesfalls in einen Topf geworfen werden. Das Risiko, im Laufe des Lebens einmal psychisch zu erkranken, liegt bei mehr als 50 Prozent.
   

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Was könnte den Erkrankten helfen?

Zum Beispiel sollte die sozialpsychiatrische Versorgung gestärkt werden. Wenn Erkrankten und Menschen in schweren Krisen früher geholfen wird, kann das die Krankheitsverläufe abmildern beziehungsweise präventiv wirken. Viele Lehramtsstudierende trauen sich zum Beispiel nicht, sich mit einer Depression oder Angsterkrankung behandeln zu lassen, weil sie – ob berechtigt oder unberechtigt – Sorge haben, dann nicht verbeamtet zu werden. Unbehandelt können sich solche Krankheiten verschlechtern. Mir ist aber auch noch ein weiteres Thema wichtig.

Welches?

Die Frage von Sicherheit und Verteidigung in der Gesellschaft und was die Bedingungen für einen gerechten Frieden sind. Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit stärken, im Verbund mit Europa und der Nato. Andere, allen voran Russland unter Wladimir Putin, sollen davor abgeschreckt werden, uns anzugreifen. Aufrüstung dient dann dazu, Sicherheit und Frieden zu bewahren – auch wenn das erst mal paradox klingt. Gleichzeitig müssen wir das Signal senden: Wir haben keine feindlichen Absichten, wir wollen uns nur schützen. Glaubwürdigkeit ist wichtig, sonst droht eine Aufrüstungsspirale. Es wäre wichtig, solche Themen gesellschaftlich breit zu diskutieren.Im Ethikrat sind Menschen mit sehr verschiedenen Weltanschauungen versammelt.
  

Jochen Sautermeister (50) ist Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Er studierte Theologie, Psychologie und Philosophie und hat ein Diplom als Ehe-, Familien-und Lebensberater. Seit März 2025 ist Sautermeister Mitglied des Deutschen Ethikrats.

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ühlen Sie sich als katholischer Theologe da in einer Außenseiterrolle?

So erlebe ich das überhaupt nicht. Im Ethikrat sind ja mehrere Theologinnen und Theologen vertreten. Die Mitglieder gehen respektvoll miteinander um. Die Sichtweisen der anderen werden respektiert. Man versucht, die jeweiligen Argumente nachzuvollziehen.

Wie zeigt sich das?

Die Diskussionen werden aufrichtig und professionell geführt. Das kann natürlich auch kontrovers sein. Mit dem, was man aus vielen Talkshows kennt, hat das aber überhaupt nichts zu tun.

Sie müssen nicht zwangsläufig die offizielle Position der katholischen Kirche vertreten, richtig?

Ganz genau. Natürlich prägt mich mein Glaube. Wie alle Mitglieder des Ethikrats übe ich meine Aufgabe aber unabhängig aus. Wenn ich als Moraltheologe etwa für eine Beibehaltung der derzeitigen rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs argumentiere, dann weil meines Erachtens dafür gute Gründe sprechen und es meiner Überzeugung entspricht.

Warum bleiben in einer Gesellschaft, die immer säkularer wird, christliche Stimmen im Ethikrat wichtig?

Die christlichen Werte spielen in der Gesellschaft weiterhin eine große Rolle. Die Anerkennung der Würde aller Menschen, der Einsatz für die Freiheit und den Lebensschutz, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind zentral; auch das Bewusstsein, dass wir Menschen grundsätzlich verletzbar, begrenzt und endlich sind. Wir sind aufeinander angewiesen. Der christliche Glaube lenkt den Blick vor allem auf diejenigen, die nicht gesehen werden, die am Rand sind, die keine Stimme haben. Christen sind Menschen, die hoffen und sich für eine bessere Welt engagieren.

Interview: Andreas Lesch
  

Der Deutsche Ethikrat hat zurzeit 24 Mitglieder, darunter die katholische Theologin Kerstin Schlögl-Flierl, die evangelischen Theologinnen Petra Bahr und Elisabeth Gräb-Schmidt sowie Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Vorsitzender ist der Jurist Helmut Frister. Der Ethikrat bearbeitet ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen. Er soll mit seinen Überlegungen die Öffentlichkeit informieren, gesellschaftliche Diskussionen fördern sowie Stellungnahmen und Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Die Themen für seine Arbeit legt der Ethikrat selbst fest. Er kann aber auch von Bundesregierung oder Bundestag beauftragt werden, ein bestimmtes Thema zu bearbeiten.