Zukunft
17.06.2024

Das Narrativ vom Weltuntergang

Tag der Rache, Tag der Sünden

Einschläge von Asteroiden, Erlöschen der Sonne, Klimaschock – das Ende der Welt fasziniert Wissenschaftler wie Normalbürger. Für den Historiker Johannes Fried gehört apokalyptisches Denken tief zur christlichen Kultur.

Beängstigend und faszinierend zugleich: die Vorstellung von einer großen kosmischen Katastrophe. Beängstigend und faszinierend zugleich: die Vorstellung von einer großen kosmischen Katastrophe. Foto: © imago images - StockTrek Images

„Tag der Rache, Tag der Sünden / Wird das Weltall sich entzünden.“ So klingt es drohend im Requiem von Giuseppe Verdi. Die Apokalypse, der Antichrist, das Endgericht, ein neuer Himmel und eine neue Erde: Sie werden in der Bibel vorausgesagt und genauestens beschrieben. Und sie haben sich nach Darstellung des emeritierten Frankfurter Mittelalterhistorikers Johannes Fried tief in die Kultur des Westens eingebrannt.

„Das Christentum ist die einzige Weltreligion, die den endgültigen Untergang der Welt kennt“, schreibt Fried in seinem Buch „Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“. Jüdische Vorstellungen gehen lediglich von einem göttlichen Gerichtstag aus, an dem ein Schmelzofen eine Rolle spielt. Der Islam, von Judentum und Christentum beeinflusst, kennt Weltuntergangsideen zwar, misst ihnen aber keine herausragende Bedeutung bei. In Buddhismus oder Hinduismus spielen sie keine Rolle.


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„Dann wird eine große Bedrängnis sein“

Christen dagegen leben seit 2.000 Jahren mit der Botschaft, dass das große Finale jederzeit kommen kann. „Denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde“, heißt es im Neuen Testament. Jesus selbst kündigt das Kommen des Menschensohnes an. „Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird“, heißt es im Matthäus-Evangelium.

Fried weist darauf hin, dass die Tempelzerstörung durch die Römer im Jahr 70 nach Christus die Vorstellungen von einem umfassenden Weltgericht radikalisierten. Endzeitfurcht und Erlösungssehnsucht: Die Faszination am Weltuntergang blieb über die Jahrhunderte groß. Die frühen Christen erwarteten, dass die Erde noch zu ihren Lebzeiten in Blut und Feuer untergehen werde. Künstler wie Hieronymus Bosch bannten die schrecklichen Vorstellungen in den brutalsten Einzelheiten und den prächtigsten Farben auf die Leinwand. Die westlichen Fassaden vieler Kirchen zeigen das Jüngste Gericht mit drastischen Höllenszenen.

Heulen und Zähneknirschen

Fried schildert, wie der Glaube an das unerbittliche Ende Heulen und Zähneknirschen hervorrief – und wie die Schreckensszenarien immer wieder dafür missbraucht wurden, um Menschen gefügig zu machen. Andererseits schuf die Prophezeiung der Apokalypse großen Glaubenseifer und eine grandiose Ethik. Die Vorstellung vom Jüngsten Gericht forderte die Menschen auf, ein gutes Leben zu führen und Gerechtigkeit zu üben.

Gerade weil sich der Weltuntergang immer weiter verzögerte, spekulierten Kirchenväter, Mönche und Historiker darüber, wie er vorauszusehen oder vorauszuberechnen sei. Die Natur musste beobachtet werden, um einen Fingerzeig Gottes zu erhaschen. Kometen, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche wurden gedeutet. Karl der Große (ca. 747–814) beauftragte seine Gelehrten, das Alter der Erde genau zu berechnen.

Entzeitängste trotz Säkularisierung

Die moderne Naturwissenschaft entstand aus dem Geist der Apokalypse, schreibt Fried. Später entzauberte die Naturwissenschaft die Religion, so der Historiker. Und er weist nach, dass die Endzeitängste auch im Zeitalter der Säkularisierung und fortschreitender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht verschwunden sind. Die Menschen geben Milliarden aus, um zu erfahren, wie die Welt eines Tages enden wird.

Einschläge von Asteroiden, Kollision mit anderen Galaxien oder der Ausbruch eines Riesenvulkans: Kurz vor der Jahrtausendwende fanden die Weissagungen des Nostradamus selbst unter aufgeklärten Zeitgenossen Gehör. Regisseure wie Roland Emmerich sind Spezialisten, wenn es um den Untergang geht: In „The Day After Tomorrow“ sorgt der Klimawandel für eine Blitz-Eiszeit, durch die die USA in der Apokalypse versinken. Und in „2012“ bedrohen gewaltige Sonneneruptionen den Planeten. Für Fried ist es kein Zufall, dass diese Filme in den USA zum Kassenschlager werden, wo christlich-fundamentalistische Kreise weit verbreitet sind.

Ein Komet, der Ängste weckt

Dichter wie Jakob von Hoddis haben das Endzeitgefühl eher sarkastisch thematisiert: „Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut“, heißt es in seinem Gedicht „Weltende“. Es entstand 1911, als der Halleysche Komet apokalyptische Ängste weckte.

(Christoph Arens)

KNA
Artikel von KNA
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