Hat die Metamoderne schon begonnen?
In den vergangenen Jahrhunderten sind mehrere kulturwissenschaftliche Epochen aufeinander gefolgt: Vormoderne, Moderne und Postmoderne. Seit einigen Jahren verdichten sich die Anzeichen, dass wir am Beginn einer neuen Epoche stehen: der Metamoderne.
Kulturen sind wie ein sich ständig verändernder Fluss, ein permanentes Entstehen und Vergehen von Gesellschaften und deren Selbstreflexionen in Sprache, Kunst und Wissenschaften. Dennoch lassen sich darin größere Epochen unterscheiden. Die Sozial- und Kulturwissenschaft unterscheidet dabei meist drei in ihren kulturellen Mustern stark divergierende Epochen: Vormoderne, Moderne und Postmoderne. Seit einigen Jahren entwickelt sich mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft jedoch eine weitere: die Metamoderne.
Neue Epochen entstehen immer dann, wenn eine bisherige nicht mehr in der Lage ist, die Krisen der Gegenwart und Herausforderungen der Zukunft zu lösen. Neue Kulturen, so auch die Metamoderne, sind anfangs kaum sichtbar, da die Bilder, Worte und sogar Wissenschaften von den Gewohnheiten bisheriger Kultur besetzt sind. Daher lohnt es sich, die Spuren des Neuen zu verfolgen und sie sichtbar zu machen.
Bewegung zwischen entgegengesetzten Polen
Was ist die Metamoderne, wie und woraus entsteht sie? Das Präfix „meta“ bezieht sich dabei insbesondere auf Platons Begriff der Metaxie, der eine Bewegung zwischen entgegengesetzten Polen und darüber hinaus bezeichnet. Diese Metaxie der Metamoderne lässt sich insbesondere in Bezug auf die letzten beiden Epochen – Moderne und Postmoderne – beobachten.
Die Moderne entstand im Zuge der Aufklärung, Industrialisierung und Demokratisierung. Sie zeichnet sich durch Werte wie Wissenschaft und Vernunft, Fortschritt, Freiheit und universelle Menschenrechte aus. Die Menschheit verdankt der Moderne viele Errungenschaften: allgemeine Bildung, moderne Medizin und Technologie, aber auch Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Versammlungsfreiheit. Sie befreite das menschliche Individuum aus vormodernen Abhängigkeiten geistiger oder politischer Art und ermutigte dazu, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Im Laufe ihrer über 300 Jahre durchlief die Moderne verschiedene Phasen. Ihre Blütezeit erlebte sie im 20. Jahrhundert bis zur Mitte der 1970er-Jahre.
In den 1970er-Jahren begann die Postmoderne
Durch sensible Wahrnehmung bestimmter ökologischer, sozialer und seelischer Problemfelder, die trotz der Wirtschaftswunder westlicher Industriegesellschaften nicht verschwanden, verdichteten sich seitdem zunehmend auch kritische Reflexionen der Moderne. Diese wurden zuerst von französischen Kulturwissenschaftlern formuliert, die der sich daraus formierenden geistig-kulturellen Bewegung auch ihren Namen gaben. Besonders einflussreich dabei war Jean-François Lyotard mit seiner 1979 erschienenen Schrift „Das postmoderne Wissen“.
Der skeptische Blick der Postmodernisten relativiert den Fortschritts- und Erkenntnisglauben der Moderne in mehrfacher Hinsicht. Sie zeigen, dass Wissen immer kontextbezogen ist und daher sogenannte Wahrheiten immer auch hinsichtlich der diese erzeugenden und interpretierenden Machtgefüge zu hinterfragen sind. Vor allem Michel Foucault untersuchte diese Verquickungen von Wissen und Macht.
Kritik an der Moderne, aber neue Vereinseitigungen
Um diese Verquickung von Wissen und Macht aufzulösen, fordert die Postmoderne die Anerkennung einer Vielfalt gleichberechtigt nebeneinander bestehender Perspektiven und eine ironische bis skeptische Distanz gegenüber Wahrheitsansprüchen aller Art. Diese modernekritischen Positionen der Postmoderne ergeben jedoch ihrerseits neue Vereinseitigungen wie Relativismus, Beliebigkeit und Skeptizismus.
Die Metamoderne kann als kulturelle Bewegung verstanden werden, die sowohl die genannten Schwächen der Moderne als auch der Postmoderne reflektiert. Sie integriert und transzendiert Moderne und Postmoderne und verbindet beide zugleich auf reflektierte Weise mit bestimmten Qualitäten der Vormoderne, von denen sich die Moderne im Zuge ihrer Befreiungskämpfe erst einmal distanzieren musste: Werte wie Gemeinschaftlichkeit und Transzendenz. Im Folgenden zur Verdeutlichung noch einige Beispiele dafür, wie sich bestimmte Einseitigkeiten der vorherigen Epochen in der Metamoderne verbinden könnten:
Die metamoderne Suche nach Auswegen
Die Moderne glaubt an den Fortschritt, die Vernunft und die Objektivität. Die Postmoderne zweifelt an diesen Idealen und betont die Relativität, die Vielfalt und die Ironie. Die Metamoderne schwingt zwischen diesen Polen hin und her und sucht nach einer Synthese, die beide Perspektiven berücksichtigt.
Die Moderne strebt nach einer universellen Wahrheit, die für alle gültig ist. Die Postmoderne lehnt diese Möglichkeit ab und akzeptiert nur lokale, kontextuelle und konstruierte Wahrheiten. Die Metamoderne versucht, eine neue Form von Wahrheit zu finden, die sowohl absolut als auch relativ ist, indem sie sich auf das Erleben, das Empfinden und das Mitfühlen stützt.
Die Moderne vertraut auf die großen Erzählungen der Geschichte, der Politik und der Kunst. Die Postmoderne dekonstruiert diese Erzählungen und zeigt ihre Widersprüche, Brüche und Machtverhältnisse auf. Die Metamoderne erfindet neue Erzählungen, die sich ihrer eigenen Fiktionalität bewusst sind, aber dennoch eine Bedeutung und einen Sinn stiften wollen.
Maik Hosang ist Kulturwissenschaftler und Philosoph sowie außerplanmäßiger Professor für Kulturwissenschaften an der Hochschule Zittau/Görlitz.