Gerechtigkeit
24.04.2024


Sollen wir weiter Waffen an die Ukraine liefern? 

Ob in der Ukraine ein militärischer Weg zum Frieden führen kann, darüber haben der Sozialethiker Markus Vogt und der Autor und Redakteur Stefan Seidel unterschiedliche Ansichten.

 

Ukrainische Demonstranten bitten auf dem Münchner Marienplatz um Waffenhilfe. Ukrainische Demonstranten bitten auf dem Münchner Marienplatz um Waffenhilfe. Foto: © imago/ZUMA Wire

PRO

Es ist eine moralische Pflicht, der Ukraine, deren Existenz durch den russischen Angriffskrieg gefährdet ist, beizustehen. Wir dürfen nicht passiv zuschauen, wie in unserer Nachbarschaft ein genozidartiges Morden stattfindet. Das wäre unterlassene Hilfeleistung und ein Verstoß gegen das Prinzip der Schutzverantwortung. Der aufopferungsvolle Freiheitskampf der Ukrainer gegen das menschenverachtete, auf Lüge und Repression beruhende „System Putin“ verdient aus der Sicht christlicher Werte volle Unterstützung. Die NATO besitzt deutlich überlegene Waffensysteme und könnte die Ukraine wirksam schützen. Der Beschluss, keine Soldaten zu schicken, ist eine klare Grenzziehung.

Es geht nicht um einen Sieg über Russland, sondern lediglich um den Schutz des ukrainischen Territoriums. Russland hat neoimperiale Ziele und will Europa insgesamt destabilisieren. Wir verteidigen in der Ukraine auch unsere eigene Sicherheit. Wir müssen lernen, dass Freiheit und Demokratie nur Bestand haben, wenn sie aktiv verteidigt werden. In Jahrzehnten unter dem Sicherheitsschirm der USA haben wir dies verlernt. Christliche Friedensethik in der Tradition der Enzyklika Pacem in terris (1963) ist nicht pazifistisch, sondern setzt auf die Macht des (Völker-)Rechts statt auf das Recht der Macht. (Professor Markus Vogt, Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München)

Markus Vogt. Markus Vogt. Foto: © privat

CONTRA

Ein Problem in eskalierten Konflikten scheint die Verengung auf eine verabsolutierte Lösungsstrategie und Lösung zu sein. In einem kriegerischen Konflikt heißt das: Gefangensein in der Kriegslogik. Diese ist dem Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz zufolge eine Logik, die in den Krieg hineinführt, aber nicht mehr aus ihm heraus. Dann wird auf den absoluten Sieg gesetzt – koste es, was es wolle. Das Heil wird im nächstgrößeren Waffensystem und nächststärkeren Waffengang gesucht. Dabei ist bekannt, dass die große Mehrzahl der Kriege in der Geschichte durch Verhandlungen beendet wurden. Es wäre eine humanitäre Verpflichtung, das Hochschrauben der Opferzahlen zu unterbrechen und sich auf verhandelte Lösungen zu konzentrieren.

Hierfür müsste in einen Prozess hineingefunden werden, der von der Gewaltunterbrechung zu einer Lösungsannäherung führt. Dafür braucht es Signale der Deeskalation und Vertrauensbildung. Und die Hilfe ehrlicher Vermittler. Diese dürften natürlich nicht eine Partei in dem Krieg sein. Um auf diesen Weg zu gelangen, müsste die polarisierte Aufspaltung in Freund und Feind überstiegen werden. Der Blick müsste weggehen vom „Ich oder Du“ hin zu einem „Ich und Du“, zu einem „Wir“. Entfeindung wäre dafür ein Schlüssel. Eines ist klar: Waffen schaffen keinen Frieden. Sie können es einfach nicht. (Stefan Seidel, Autor des Buchs „Entfeindet Euch!“ und Leitender Redakteur bei DER SONNTAG – Evangelische Wochenzeitung Sachsens)

Stefan Seidel. Stefan Seidel. Foto: © Steffen Giersch
Seidel, Stefan Entfeindet Euch!
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