Gerechtigkeit
26.06.2024

„Ich weiß, man wird mich ermorden“

Der Publizist Fritz Gerlich war eine schillernde Gestalt der späten Weimarer Republik. Zunächst Protestant, konvertierte er nach einem Offenbarungserlebnis zum Katholizismus. Als leidenschaftlicher Redakteur warnte er eindringlich vor dem Kommunismus wie auch vor der nationalsozialistischen Ideologie. Nach den Reichstagswahlen 1933 bezahlte Gerlich dafür mit dem Leben.

Fritz Gerlich. Fritz Gerlich. Foto: © Archiv SMB

„Hitler, der Bankrotteur“, titelte der Journalist Fritz Gerlich in den Jahren 1932 und 1933, als Deutschland dem Abgrund entgegentrieb, in seiner Wochenzeitung Der gerade Weg, unübersehbar in großen roten Lettern: „Deutsche, Eure Menschenrechte in Gefahr!“ und: „Sperrt die Führer ein!“ Die Rache der Nazis kam vier Tage nach den Reichstagswahlen im März 1933, die Hitler zwar nicht die erträumte absolute Mehrheit, aber einen respektablen Zugewinn an Stimmen gebracht hatten. Gestiefelte SA-Horden stürmten die Redaktion, transportierten sämtliche Manuskripte und Akten ab, schlugen den Chefredakteur Gerlich halbtot und brachten ihn in das Münchner Polizeigefängnis. Später wurde er in die Haftanstalt Stadelheim verlegt, ohne Gerichtsverfahren, und in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 bei der Einlieferung ins KZ Dachau ermordet.

Gerlich, der 51 Jahre alt wurde, war mit seiner schneidend scharfen Feder und seiner zwingenden Argumentation einer der profiliertesten Nazi-Gegner in der deutschen Presselandschaft gewesen. Dabei hatte er früher selbst dem nationalen Lager nahegestanden. 1883 in einer Stettiner Kaufmannsfamilie geboren, begeisterte er sich zunächst für Mathematik und Naturwissenschaft und brachte die strenggläubigen Pastorensöhne unter seinen Mitschülern mit spöttischen Bemerkungen zur Weißglut. Als Student in München wandte er sich dann ebenso leidenschaftlich der Geschichte zu.


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Spröder Protestant aus Pommern

Die mehr als 3000 Kommilitonen vertretende Freie Münchner Studentenschaft wählte den spröden Protestanten aus Pommern zu ihrem Vorsitzenden. Sein Studium musste sich der mit Geldmitteln keineswegs Gesegnete aber ganz bescheiden mit dem Entwurf von Werbebroschüren für „Kathreiners Malzkaffee-Fabriken“ verdienen. Seine Leistungen bei der Promotion waren so glänzend, dass man ihn verdächtigte, sich vorher Einsicht in die Prüfungsthemen verschafft zu haben. Gerlich bot eine Wiederholung mit neuen Themen an – und schnitt erneut als Jahrgangsbester ab. Postwendend erhielt er eine Anstellung im Königlich Bayerischen Geheimen Staatsarchiv.

Politisch engagierte er sich bei den Jungliberalen, schwenkte bei Beginn des Ersten Weltkriegs aber zu den „alldeutschen“ Patrioten um. Er hob eine Wochenschrift mit dem anspruchsvollen Titel Die Wirklichkeit aus der Taufe, kritisierte die Kriegführung der Reichsregierung als zu lasch, warb Freiwillige zur Befreiung Münchens von der kurzlebigen Räteherrschaft und zeigte sich in endlosen Leitartikeln als wütender Antikommunist.

Nationalkonservativer, hochgebildeter Archivar

Was eine Gruppe rheinischer Schwerindustrieller, die gerade die angesehenen Münchner Neuesten Nachrichten gekauft hatte, 1920 auf die etwas problematische Idee brachte, den stramm nationalkonservativen, hochgebildeten Archivar ohne nennenswerte Zeitungserfahrung zum Chefredakteur des Blattes zu machen. Gerlich sollte die Nachrichten zum „Bollwerk für nationale Erneuerung gegen Sozialismus und republikanische Politik“ gestalten.

Gerlich überraschte in zweifacher Hinsicht: Einmal zeigte er sich lernwillig, verknappte und vereinfachte seine umfangreichen Abhandlungen, bat die Kollegen am Redaktionstisch und in der Setzerei um ihr Urteil und zerriss seine Leitartikel sofort, wenn sie keine Gnade vor deren Augen fanden. Zum andern entzog er den Nationalkonservativen und den „Hakenkreuzlern“ nach dem missglückten braunen Putsch im Bürgerbräukeller 1923 entschlossen sämtliche Sympathien. Gerlich entwickelte ein im damaligen Bayern ausgesprochen seltenes Wohlwollen für die Weimarer Republik und warb für Stresemanns Außenpolitik – was zum Bruch mit der Verlagsleitung führte. 1928 verließ Gerlich die Redaktion.

Dem „Konnersreuther Schwindel“ auf der Spur

Ein Jahr zuvor hatte der nüchterne Skeptiker eine Begegnung mit der stigmatisierten Therese Neumann gehabt, die seinem Leben eine neue Richtung geben sollte. Der tolerante Gerlich, damals noch Chefredakteur, hatte seinem Mitarbeiter Freiherr Erwein von Aretin eine ganze Beilage überlassen, wo dieser tief betroffen und begeistert seine Eindrücke von Konnersreuth schildern durfte. Der Beitrag musste viermal nachgedruckt werden und wurde in 32 Sprachen übersetzt. Gerlich selbst aber blieb ablehnend.

Mit den Worten „Dem Schwindel komme ich schon auf die Spur!“ machte er sich schließlich selbst auf den Weg nach Konnersreuth. Zurück in München, lief er eine halbe Nacht lang mit Aretin die Ludwigstraße auf und ab und berichtete atemlos von einem umgestürzten Weltbild. Er war dort offenbar einem hautnah erfahrbaren Christus begegnet, hatte im schlichten Glauben der „Resl“ etwas gefunden, wonach er laut eigener Aussage bisher vergeblich gesucht hatte.

Taufe, Trauung und Firmung

Mit Feuereifer machte er sich daran, die Glaubwürdigkeit der damals schon heftig umstrittenen Tochter eines Dorfschneiders zu verteidigen, unterzog sie erfinderischen Tests, las sich in Spezialliteratur über Krankheiten, Hysterie und Stigmatisation ein und erarbeitete ein dickleibiges Standardwerk, das 1929 bei Kösel & Pustet in München erschien. Zwei Jahre später trat der 48-Jährige zur katholischen Kirche über, ließ sich taufen, kirchlich trauen und von Kardinal Faulhaber firmen.

In Konnersreuth war es auch, wo Gerlich den aufrechten Fürsten Erich von Waldburg und Zeil traf und wo die ersten Pläne für eine Zeitung geschmiedet wurden, die christliche Grundsätze politisch fruchtbar machen sollte, im Naturrecht verankert und gegen linke wie rechte Radikale Front machend. Der Verlagsangestellte Johannes Steiner gehörte zu diesem Kreis von Vordenkern, der Kapuzinerpater Ingbert Naab – später einer der wichtigsten Autoren im Geraden Weg und von den Nazis ins Exil getrieben – und etliche junge Leute aus dem katholischen Adelsnachwuchs. Mit der finanziellen Hilfe des Fürsten konnte ein anspruchsloses Unterhaltungsblatt namens Illustrierter Sonntag gekauft werden, das Gerlich geschickt in eine Wochenzeitung mit eindeutig antinazistischer Zielrichtung verwandelte.

Immer kompromissloser und härter im Ton

Mit Preisausschreiben und populären Artikeln – „Ist Kommunismus möglich?“, „Nacktkultur und gesunde Ehe“ – warb man erfolgreich um Leser, Gerlich führte auffallende rote Druckfarbe für die Schlagzeilen ein und schrieb Glossen und Kommentare, die es an Eindeutigkeit nicht fehlen ließen. Pikanterweise wurde das Blatt im selben Haus wie die Pflichtlektüre der Nazis, der Völkische Beobachter, gedruckt. Hitler, sein Chefideologe Alfred Rosenberg, Gerlich, Johannes Steiner eilten in den Betriebsräumen ständig aneinander vorbei, und das katholische Blatt wurde immer kompromissloser und immer härter im Ton.

Als Gerlich im Februar 1932 schließlich unter dem Titel „Hetzer, Verbrecher und Geistesverwirrte“ mit der braunen Presse abrechnete, erlitt Hitler einen Wutanfall und drohte dem Druckereileiter, er werde sich eine andere Firma für seine Zeitung suchen. Händeringend kam der verschüchterte Mensch zu Gerlich, und der handelte vergnügt einen neuen Vertrag aus, wechselte zu der katholischen Druckerei Manz – mit der man heimlich bereits verhandelt hatte -, ließ sich vom bisherigen Drucker die technische Ausrüstung mitgeben und den Umzug bezahlen. Mittlerweile hatte er sein Blatt in Der Gerade Weg – Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht umbenannt.

Fritz Gerlich online

Der Sankt Michaelsbund hat Fritz Gerlich eine Website gewidmet (gerlich.com), auf der alle wichtigen Stationen seines Lebens und Widerstandes gegen das NS-Regime dokumentiert sind. Außerdem finden sich dort aktuelle Nachrichten und Veranstaltungshinweise rund um das Gedenken an Fritz Gerlich.

„Es geht um Deutschland!“

„Der Nationalsozialismus ist eine Pest!“ schrieb Fritz Gerlich und zitierte Hitlers Mein Kampf: Die Deutschen hätten ja keine Ahnung, „wie man das Volk beschwindeln muss, wenn man Massenanhänger haben will“. (In späteren Auflagen ließ Hitler die offenherzige Aussage tilgen.) Gerlich: „Ihr, die Ihr diesem Betruge eines von der Gewaltherrschaft Besessenen verfallen seid, erwacht! Es geht um Deutschland, um Euer, um Eurer Kinder Schicksal.“

Von der bayerischen Regierung verlangte der Chefredakteur Dr. Gerlich, die Führer der NS-Partei zu verhaften – natürlich vergeblich. Hellsichtig wie wenige, kämpfte er auch vehement gegen den rechtskonservativen Zeitungszar Hugenberg und warnte hartnäckig vor den Anbiederungsversuchen der Bayerischen Volkspartei und des Zentrums gegenüber Hitler. Es sei unanständig, gemeinsam mit „Kameraden von Meuchelmördern“ politische Mehrheiten zu suchen. Tatsächlich bekam Hitler bei der Reichspräsidentenwahl 1932 im Verbreitungsgebiet des Geraden Wegs nicht einmal ein Viertel der Stimmen.

„Die Hitler kommen!“

Als er am 30. Januar 1933 dennoch Reichskanzler wurde, schrie Fritz Gerlich in einem letzten Aufbäumen seine Verzweiflung heraus, dass man „denjenigen, der mit dem stärksten Brustton der Überzeugung die größten Irrtümer vertritt“, als Befreier bejuble. Nicht lange danach, am 9. März, stürzte die Hausmeisterin abends in die Redaktion und rief voller Angst: „Die Hitler kommen!“ Am Nachmittag hatte ein anonymer Sympathisant angerufen und vor einem geplanten Angriff der SA gewarnt; Mitarbeiter hatten Gerlich angeboten, ihn über die Schweizer Grenze in Sicherheit zu bringen. Empört lehnte er ab: „Und Sie alle soll ich hier lassen? Dass Sie für mich büßen müssten? Ich werde den Schreibtisch nicht verlassen.“

Es war, ohne jedes Pathos, der bewusste Entschluss zum Martyrium. Gestiefelte SA-Horden stürmten mit „Heil!“-Rufen die Treppe hinauf: „Wo ist der Gerlich, die Sau?“ Schreibtische und Aktenschränke wurden aufgesprengt, sämtliche Manuskripte, Briefe und Dokumente auf Lastwägen abtransportiert. Plötzlich schrie ein Mann aus Gerlichs Fenster auf den Hof hinunter: „Etz hamma’n g’fundn! I hob’n glei so in d’Fotzn neig’haut, dass eahm d’ Soß obag’runna is!“

Misshandlungen und Prügelorgien

Mit drohend vorgehaltenen Pistolen verlangten die Nazis von dem blutüberströmten Publizisten Auskunft über Gewährsmänner und Informationsquellen. Als er sich auf das Redaktionsgeheimnis berief, wurde er misshandelt. Stunden später traf der Adjutant des SA-Chefs Ernst Röhm ein – Anlass für eine erneute Prügelorgie. Tags darauf finden wir ihn im Münchner Polizeigebäude in Einzelhaft.

Dort muss er halbtot geschlagen worden sein. Er sei so geprügelt worden, gab später ein Mitgefangener zu Protokoll, „dass er beständig auf dem Boden umherkugelte, dass man ihn mit dem Kopf an die Wand stieß und am Fußboden mit Stiefeln traktierte, so dass schließlich sein ganzer Körper voll blauer Flecken war und Wochen brauchte, bis er wieder ein normales Aussehen erlangte“. In diesen Wochen wurde kein Arzt zu dem Gefolterten vorgelassen und auch kein Priester.

Standhaft auch in der Haft

Erst danach erlaubte man seiner Frau zwei Besuche pro Monat. Gerlich wurde nach Stadelheim verlegt und immer wieder auf einen Prozess beim obersten Reichsgericht vertröstet. Schließlich kam der Bescheid, einen solchen Prozess werde es nicht geben, man behalte ihn aber in „Schutzhaft“ – wie man das damals nannte –, da man draußen für sein Leben keine Garantie übernehmen könne. Gerlich fiel darauf nicht herein. Einem Haftgenossen erklärte er: „Ich weiß, man wird mich ermorden … Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, in der Öffentlichkeit zu erklären, dass ich, wie immer die Nachricht von meinem Tod lauten möge, niemals Selbstmord begehen werde.“

Der Publizist wusste zu viel. Er hatte detaillierte Informationen darüber, dass Goebbels mit Görings Hilfe den Reichstagsbrand inszeniert hatte. Er habe auch Zeugen dafür, dass Hitler seine Nichte Geli mit eigener Hand erschossen habe, weil sie von ihm schwanger gewesen sei, eröffnete er dem Mithäftling. Offiziell hatte man von einem Selbstmord des Mädchens gesprochen und eine Nachrichtensperre verhängt.

Glücklich vollendet in der Nähe Gottes

Am 30. Juni 1934 verbreitete sich im Gefängnis die Kunde vom Vernichtungsschlag Hitlers gegen Röhm und die SA-Führung. Da wusste Gerlich, dass seine Tage gezählt waren. Er hatte zu viel über die Zwistigkeiten zwischen der SA und den übrigen NS-Machteliten geschrieben und umfassendes Material über Putschgerüchte gesammelt. Seine Ahnung trog ihn nicht: Stunden später brachte man ihn nach Dachau ins KZ und erschoss ihn gleich bei der Einlieferung. Auf dem Münchner Ostfriedhof wurde seine Leiche mit etlichen anderen Mordopfern verbrannt; niemand weiß, welche der dort aufbewahrten Urnen seine Asche birgt.

Am Allerheiligentag desselben Jahres hatte eine Schneiderstochter im weit entfernten oberpfälzischen Konnersreuth eine Vision von den himmlischen Scharen. Unter den Auserwählten, glücklich vollendet in der Nähe Gottes, will die „Resl“ auch Dr. Fritz Gerlich erkannt haben.

(Christian Feldmann)