Skandale und Brückenbau
75 Jahre Friedenspreis des Buchhandels
Vor fünf Jahren kam kein Publikum in die Frankfurter Paulskirche – doch selbst in Pandemie-Zeiten wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Warum die Auszeichnung künftig noch wichtiger werden könnte.

Anne Applebaum, Salman Rushdie, Serhij Zhadan: So beeindruckend wie diese drei zuletzt Geehrten sind viele Persönlichkeiten, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben. Ihre Werke bewegen Menschen und stoßen Debatten an. Zum allerersten Mal wurde die Auszeichnung am 3. Juni 1950 vergeben, vor genau 75 Jahren.
75 Jahre, in denen Laudatio und Dankesrede des oder der Geehrten zu einem „Kanon der Meinungen“ wurden: So nennt es Martin Schult, Referent für den Friedenspreis im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der die Auszeichnung seit 1951 verleiht. Auch ältere Reden würden inzwischen abgerufen wie Podcasts – als nachdenkliches Format, das weniger polarisieren als anregen möchte.
Das Format trifft einen Nerv
Als Schult die Organisation des Friedenspreises vor gut 20 Jahren übernahm, sei manches daran altbacken erschienen, doch: „Heute passt das Format wieder.“ Viele Menschen wünschten sich, dass jemand erklären möge, was derzeit in der Welt geschehe – und bei Künstlerinnen, Schriftstellern, Philosophen oder Historikerinnen setze das schier unerklärliche Verhalten von Mächtigen offenbar neue Kreativität frei.
1996 erhielt der jüngst verstorbene Mario Vargas Llosa den
Friedenspreis – und sprach darüber, wie Literatur in digitalen Zeiten
bestehen könne. „Diese Rede klingt heute noch aktuell – und doch ganz
anders als vor 30 Jahren, als der Kontext natürlich ein anderer war“,
sagt Schult.
Applaus und versteinerte Mienen
Eine Debatte, die sich auf andere Art in das öffentliche Gedächtnis eingebrannt hat, war jene von 1998. Preisträger Martin Walser sagte: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.“ Während viele applaudierten, saßen zwei Gäste wie versteinert da: der Präsident des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, und seine Ehefrau – zwei Holocaust-Überlebende. Bubis sprach später vom „Versuch, Geschichte zu verdrängen beziehungsweise die Erinnerung auszulöschen“, und von „geistiger Brandstiftung“.
Diese Kontroverse war nicht die erste im Zusammenhang mit dem Friedenspreis. So traf die Ehrung 1980 für Ernesto Cardenal – Poet, Priester und Befreiungstheologe aus Nicaragua – nicht nur auf Zustimmung. Fünf Jahre später suspendierte Papst Johannes Paul II. den Nonkonformisten vom Priesteramt; erst 2019, knapp ein Jahr vor Cardenals Tod, hob der damalige Papst Franziskus diese Sanktion auf.
Philosophie zur Weltlage
Religion und Meinungsfreiheit – spätestens mit dem 11. September 2001, als beim Anschlag auf das World Trade Center in New York fast 3.000 Menschen starben, wurde daraus ein Dauerthema. Wenige Wochen danach entwickelte Friedenspreisträger Jürgen Habermas ein Erklärungsmodell für religiösen Fanatismus. Seine Rede hatte der Philosoph kurzfristig umgeschrieben – es handelte sich um eine der ersten philosophischen Stimmen zur damaligen Weltlage.
1950 begann alles mit einem Buch, das den Schriftsteller Hans Schwarz
tief bewegte: „Glaube an den Menschen“ von Max Tau, einem jüdischen
Verleger, der 1938 nach Norwegen geflüchtet war. Schwarz sah in ihm
einen „Botschafter zwischen zwei Welten“, der die jüngste Geschichte in
einer Weise beschrieb, zu der damals „allerhand Mut“ gehörte. „Leider
waren die Menschen bei uns damals noch nicht so weit, sich davon
überzeugen zu lassen“, schrieb Schwarz.
[inne]halten - das Magazin 12/2025

Geist der Freiheit
Für Kardinal Reinhard Marx ist Freiheit mehr als ein politisches Schlagwort - sie ist das zentrale Thema seines theologischen Denkens. Im Interview spricht er über ihre Wurzeln im chistlichen Glauben, über die Entwicklung der Kirche zur Verteidigerin von Freiheitsrechten und darüber, warum Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet.
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Favorit ist, wer zusammenführt
Ihm gelang es, einige Verleger davon zu überzeugen, dass Tau einen Friedenspreis verdient habe. Die deutschen Verleger müssten ihn stiften, so Schwarz, und damit einen „Akt guten Willens gegenüber der Außenwelt“ begehen. Tau erhielt den „Friedenspreis Deutscher Verleger“ schließlich in einem Privathaus bei Hamburg. Die Veranstaltung wurde – damals äußerst ungewöhnlich – live im Radio übertragen, da Laudator Adolf Grimme auch Intendant beim Nordwestdeutschen Rundfunk war.
Bis heute erreicht die TV-Übertragung viele Menschen, auch über die Mediatheken, sagt Schulz. Auf einen Favoriten oder eine Favoritin für dieses Jahr möchte er nicht tippen. Klar sei jedoch: „Wir brauchen wieder eine Person, die es vermag, zusammenzuhalten – niemanden, der dividiert.“
Paula Konersmann