Von akustischer Umweltverschmutzung
Mir ist die Welt zu laut, aber zum Glück gibt es die Inseln der Stille. Ein akustischer Spaziergang mit Frank Berzbach.
Inzwischen lebe ich länger in Großstädten als auf dem Land, wo ich aufwuchs. Es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Auf einem Waldspaziergang ist es sicher leiser als im Zentrum einer Stadt, aber wenn ich bei meinen Eltern im Garten sitze, dann höre ich Kreissägen, Rasenmäher, bellende Hunde, laute Motorräder und den Verkehr der nahe liegenden Umgangsstraße. Nur nachts ist es hier leiser, das bemerke ich am ruhigeren, ungestörteren Schlaf. Der Verkehrslärm in der Stadt ist präsenter, es gibt viele Baustellen. Dennoch ginge es an beiden Orten etwas leiser zu, wenn Menschen dafür mehr Sensibilität hätten. Es gibt nicht nur die «biologische» Umweltverschmutzung, sondern auch eine akustische: Mit unbedachtem «Lärmen» können wir die Welt verunreinigen.
Unnötige akustische Umweltverschmutzung
Ich sitze auf St. Pauli vor einem Café, der Frühling ist da und meine Frühstückspause verbringe ich gern draußen. In der Stadt lebt man wegen der gastronomischen und kulturellen Angebote; man hat kleinere Wohnungen, aber eben eine Vielzahl von Cafés und Bars. Mein Blick in die Zeitung wird harsch gestört. Zwei Männer der Stadtreinigung ziehen durch die kleine Straße, sie tragen Masken und Schutzbrillen und ihre Laubbläser verbreiten infernalischen Lärm. Das Paar am Nebentisch kann sich nicht mehr unterhalten, ihr Baby wird wach und fängt an zu schreien. Einige Gäste flüchten ins Café, aber durch die offene Front ist es dort nicht gerade leiser.
Als die Laubbläser endlich fort sind, schiebt ein Mann sein Fahrrad am Café vorbei, und im Korb auf seinem Gepäckträger liegt ein schuhkartongroßer Bluetooth-Lautsprecher. Die Musik ist so laut, dass er wohl das ganze Viertel ungefragt in eine Techno-Party verwandeln will – um 10 Uhr am Vormittag. Er sieht nicht gerade aus, als dass man mit ihm über die Lautstärke verhandeln könnte, sondern er hat sein Bewusstsein mit chemischen Substanzen in einen anderen Zustand versetzt. Seine laute Musik tut das leider aber auch mit meinem Gehirn – kein guter Zustand!
Der Wert der Ruhe
Lärm gehört zu den «Stressoren», gegen den sich der Mensch kaum wehren kann. Wir haben Augenlider, aber die Ohren sind leider ungeschützt. Auch die gängigen Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung sind keine Dauerlösung. Einzige Chance auf Besserung wäre die Einsicht, dass auch die relative Stille ein hohes Gut ist, und das Menschen sie brauchen.In der Stadt bietet mir eine offene Kirche eine Zuflucht. Dort einfach eine Zeit zu sitzen, bringt mich zu mir selbst zurück. Es ist wie eine Atempause von der dauernden Geräuschkulisse, die sich ohne «Sendepause» zur anstrengenden Lärmwand verdichtet. Die Stille eines Raumes oder Ortes lässt mich meine innere Stimme wieder hören; sie beruhigt meinen Atem und meine Gedanken. Es gibt eine Stille, die zu mir spricht.
Es ist wie mit dem Sprechen: Um mehr darüber zu erfahren, muss ich sporadisch schweigen. Um den Klang meiner Umwelt wieder wertzuschätzen, muss ich ihn temporär hinter mir lassen. Die Ruhe macht mich auch sensibler für die Geräusche, die ich selbst erzeuge – ich möchte damit für andere so wenig wie möglich zur Störung werden. Wer die Stille sucht, nimmt auch den Klang der Welt anders wahr, die Ohren öffnen sich. Unser Leben besteht nicht nur aus flachem Lärm, sondern auch aus heilsamen Geräuschen, auf die wir achten können. Die Vertrautheit der Kirchenglocken, der begeisterte Applaus nach einem guten Konzert, das Lachen von Kindern oder das feine Knacken des Kandis, wenn wir Tee darüber gießen …
[inne]halten - das Magazin 12/2025

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Für Kardinal Reinhard Marx ist Freiheit mehr als ein politisches Schlagwort - sie ist das zentrale Thema seines theologischen Denkens. Im Interview spricht er über ihre Wurzeln im chistlichen Glauben, über die Entwicklung der Kirche zur Verteidigerin von Freiheitsrechten und darüber, warum Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet.
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