Persönlichkeitsentwicklung
25.03.2025

Longevity-Trend: Länger leben durch Selbstoptimierung – was bringt es wirklich?

Immer mehr Menschen setzen auf Longevity, um möglichst gesund alt zu werden – mit Ernährung, Sport und modernem Gesundheits-Tracking. Gregor Karmann setzt auf Longevity ohne Dogma – und zeigt, warum Gelassenheit und soziale Kontakte genauso wichtig sind wie Sport und Ernährung.
    

Foto: © Drobot Dean - stock.adobe.com

La Pura Vida – das reine Leben! Das steht mit großen Buchstaben auf dem Handgelenk von Gregor Karmann. Auf seiner Hochzeitsreise nach Costa Rica hat er sein Lebensmotto gefunden. Die Menschen dort hätten einfach ihr Leben gelebt, beschreibt er. Auf einer Halbinsel in einem Dorf an der Grenze zu Nicaragua haben die Bewohner aus Säcken Schaukeln für die Kinder gebaut, es gab Kokosnüsse und Mangos. Ein Aha-Moment für ihn, bei dem er sich fragte: „Warum mach ich mir eigentlich immer so einen Stress?“ Der 33-Jährige will ein erfülltes – reines – Leben genießen, solange es geht. Deshalb achtet er schon heute auf Dinge, die zu einem längeren und gesunden Leben führen – aber ohne sich unter Druck zu setzen.

Gesund alt werden: Die Versprechen der Longevity-Szene

Vor drei Jahren hat er zum ersten Mal von dem Longevity-Trend gehört. Sein erster Gedanke: „Das habe ich studiert. Doch Gesundheitsmanagement hört sich natürlich nicht so cool an.“ Longevity bedeutet Langlebigkeit. Die Bewegung hat ihren Ursprung in den USA. Sie strebt nicht nur danach, das Leben zu verlängern, sondern auch die Jahre in guter Gesundheit zu maximieren. Die Bandbreite unter den Anhängern ist groß: Wissenschaftler, die den Alterungsprozess entschlüsseln wollen, Mediziner, die Strategien zur Prävention entwickeln, bis hin zu Tech-Millionären, die an ihrem eigenen Körper Experimente durchführen. Der US-amerikanische Unternehmer Bryan Johnson gehört zu den bekanntesten Vertretern. Um ihr Ziel zu erreichen, greifen Anhänger zu klassischen Ansätzen wie Sport, gesunder Ernährung und ausreichend Schlaf, aber auch zu umstrittenen Methoden wie genetischen Eingriffen, Blutplasma-Therapien oder KI-gestützter Körperüberwachung.

Alltag mit Longevity: So lebt Gregor Karmann

Gregor Karmann will sein Altern positiv beeinflussen – radikale Methoden lehnt er bisher aber ab. Er hat für sich fünf Bereiche definiert, auf die er achtet: Schlaf, Bewegung, Ernährung, Mindset und Vorsorgeuntersuchung. Sein Tag beginnt zwischen 5 und 6 Uhr. Nach dem Aufstehen wiegt er sich und trinkt ein Glas Wasser mit Zitronensaft. Danach macht er Sport – Kraft oder Ausdauer. Manchmal meditiert er noch, bevor er in die Eistonne steigt. Zum Frühstück gibt es einen Shake aus Obst, Nüssen, Banane, Kollagen-Pulver und Kreatin. Gegen 8 Uhr beginnt sein Arbeitstag. In seiner Mittagspause macht er noch einmal Sport oder geht spazieren. Zwischen 18 und 18.30 Uhr gibt es Abendessen. Er bezeichnet sich als Allesesser. Isst viel Gemüse, achtet auf Proteine und täglich gibt es etwas Fermentiertes, was er selbst herstellt. Zum letzten Mal auf einen Bildschirm schaut er um 20 Uhr, bevor er gegen 20.30 Uhr ins Bett geht. Zum Einschlafen liest er noch etwas.

Gregor Karmann Gregor Karmann Foto: © privat
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Selbstoptimierung oder Lebensqualität?

Während einige Longevity-Anhänger wie Bryan Johnson strenge Routinen verfolgen – so soll er seine letzte Mahlzeit des Tages bereits um 11 Uhr essen – geht Karmann das Thema entspannter an. „Ich habe so meine Prinzipien, aber nicht meine Routinen“, sagt er. Es darf Ausnahmen geben – wie die fettige Pizza –, aber sie sollten Ausnahmen bleiben, betont er. Tägliche Bewegung, gute Ernährung und guter Schlaf seien ihm wichtig, einen ausgearbeiteten Plan verfolgt er nicht. So entscheidet er morgens spontan, ob er ein Krafttraining absolviert oder zu einem Dauerlauf startet. Er will nicht einem Gesundheitswahn verfallen und nur daran denken, was er alles machen muss, um kein Jahr Lebenszeit zu verlieren: „Denn Stress ist auch schlecht für ein langes, gesundes Leben.“ Ihm sei es wichtig, daher mit Gelassenheit an das Thema heranzugehen. Das vermisst er bei anderen Vertretern der Longevity-Bewegung, die offensichtlich nicht flexibel reagieren. Früher – erzählt er - war er auch sehr streng mit sich und war dann sauer, wenn was nicht geklappt hat. Doch er hat für sich dann gemerkt: „Du beschränkst und stresst Dich aus den falschen Gründen“. Sein Tattoo „Pura Vida“ erinnert ihn daran, es entspannt anzugehen.

Die Medizinethikerin und ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, sieht im Interview eine Grenze zwischen gesunder Langlebigkeit und problematischem Longevity-Fanatismus dort, wo die Selbstoptimierung „die Qualität des Lebens im Jetzt einschränkt“. Wenn sich meine Gedanken beispielsweise nur darum kreisen, ob ich heute schon genug Nahrungsergänzungsmittel zu mir genommen habe, sieht Buyx das kritisch.

Medizinethikerin Alena Buyx Medizinethikerin Alena Buyx Foto: © TUM/Lara_Freiburger

Tracking: Warum Gelassenheit entscheidend ist

Eingeschränkt fühlt sich Karmann in seinem Alltag nicht. Es macht ihm Spaß zu sehen, welche Auswirkungen seine Lebensweise auf seinen Körper hat. An einer Hand trägt er einen schwarzen Oura-Ring – ein Erkennungszeichen vieler Anhänger der Longevity-Bewegung. Mit dem Gesundheitsring misst er seinen Schlaf: Wie lange habe ich geschlafen? Wie viele Tiefschlafphasen hatte ich? Wie war meine Atemfrequenz? Davon leitet er auch sein Trainingspensum für den Tag ab. Dabei verlässt er sich nicht nur auf diese Daten, sondern schaut auch auf sein subjektives Gefühl. Zusätzlich trackt er sein Gewicht und misst regelmäßig seinen Blutzuckerspiegel. Seine Lebensform gebe ihm viel Energie, sagt er: „Und wenn man das einmal hat, dann möchte man das auch nicht mehr hergeben.“ Die Vorstellung, auch im Alter noch genug Energie für Wanderungen, Marathons, einen größeren Hund und Abenteuer mit den Enkelkindern zu haben, motiviert ihn. Für dieses Gefühl diszipliniert er sich in seinem Alltag gerne.

[inne]halten - das Magazin 8/2025

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Zwischen Kontrolle und Loslassen: Wie viel Planung tut gut?

Einigen Menschen gibt es Sicherheit, sich im Alltag an Regeln zu halten und die Kontrolle zu behalten. Andere empfinden das als zusätzlichen Stress und Belastung, so Buyx. Es sei wichtig, nicht so zu tun, als wäre das für alle ein erstrebenswerter Lebensstil. So will der Theologe und Autor Pierre Stutz kein Leben führen, in dem man glaubt, alles im Griff zu haben. Verwundbarkeit gehört für ihn zu einem erfüllten Leben dazu, sagt er im Interview. Er sieht Lebensentwürfe, die das Ausklammern, kritisch: „Der Gedanke, dass alles allein auf unseren Schultern liegt, halte ich für unmenschlich.“ Für ihn ist es eine spirituelle Grundhaltung, dass wir nicht alles selbst in der Hand haben. Dabei möchte er nicht missverstanden werden: Er ermutigt Menschen, sich zu entfalten und einen gesunden Arbeits- und Lebensrhythmus zu leben. „Lass dich nicht leben“, sagt er im Interview. Gleichzeitig betont er aber, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben.


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Einsamkeit als Gesundheitsrisiko

Für Karmann gehört zu einem erfüllten Leben nicht nur körperliche Gesundheit, sondern auch ein stabiles soziales Umfeld. Dieser Punkt fehlt ihm bei vielen in der Longevity-Szene. Lang leben, aber es am Ende allein verbringen – ist das ein Gewinn? Für Karmann nicht, deshalb steuert er bewusst dagegen. Während viele Longevity-Anhänger vor allem ihre Biomarker und Routinen optimieren, kümmert er sich bewusst um Beziehungen. Er hält regelmäßig Kontakt zu seiner Familie und trifft sich mit Freunden. „Einsamkeit sei der größte Killer im Alter“, fasst er die Ergebnisse verschiedener Studien zusammen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Einsamkeit als globale Gesundheitsbedrohung ein. Gregor Karmann will im Alter nicht einsam sein – für ihn gehört dieser Aspekt deshalb zur Säule „Mindset“.

Theologe Pierre Stutz Theologe Pierre Stutz Foto: © Stefan Weigand

Gesundheit als neuer Glaube?

Auf seiner Homepage „Beyond100“ berichtet Gregor Karmann über seinen Longevity-Alltag und teilt seine Erfahrungen. Auch wenn der Titel (auf Deutsch „Über 100“) es vermuten lässt, ist es nicht sein Ziel, über 100 Jahre alt zu werden. Ihm geht es um ein gesundes Leben. Die Vorstellung, nicht mehr mobil zu sein, ist für ihn eine „schlimmere Vorstellung als das Sterben“.

Der US-Amerikaner Bryan Johnson will gar nicht erst Sterben. Jährlich soll er zwei Millionen Dollar in seine Unsterblichkeit investieren. Christen auf der ganzen Welt glauben daran, dass einem Menschen das schon vor über 2.000 Jahren gelungen ist: Jesus Christus soll den Tod überwunden haben und auferstanden sein. In den vergangenen Jahren haben die christlichen Kirchen in Deutschland an Einfluss verloren. Laut Zahlen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) sind weniger als die Hälfte der Menschen noch Teil der katholischen oder evangelischen Kirche. Die Professorin Alena Buyx verweist in diesem Zusammenhang auf Medizinsoziologen und Theologen, die darauf hinweisen, dass die Medizin zunehmend eine gesellschaftliche Lücke füllt – eine Lücke, die durch den schwindenden Einfluss des Glaubens in der Gesellschaft entstanden ist. Je weniger sich Menschen von kirchlichen Angeboten angesprochen fühlen, desto mehr suchen sie nach neuer Orientierung, beschreibt die Medizinethikerin. Einige der Longevity-Bewegung seien „missionarisch“ unterwegs, so Buyx. Sie halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass Menschen eine solche Idee an die Stelle dessen rücken, was früher ihr Glaube war.

Christen glauben, dass nach dem Tod das „ewige Leben“ auf sie wartet. Für Pierre Stutz bedeutet das, „in der Liebe Gottes aufgehoben zu sein und auch weiterhin mit allen liebenden Menschen verbunden zu bleiben“. Weil das Leben im Hier und Jetzt aber endlich ist, steht für ihn fest: Unsere Aufgabe ist es, es in Fülle zu leben. Er fragt sich: Wenn man den ganzen Tag darauf konzentriert ist, ein langes Leben zu haben – verpasst man dann nicht das Leben?


Innehalten-Hörtipp
Katharina Sichla
Artikel von Katharina Sichla
Redakteurin
Berichtet über aktuelle und bunte Themen rund um Kirche und Glaube.