Persönlichkeitsentwicklung
01.03.2025


Kolumne

Sich zu viel zu beklagen macht unglücklich. Was wir dagegen tun können.

Die Bahn zu spät, das Wetter nervt! - Wir beklagen uns oft. Doch könnte es sein, dass uns das Schweigen glücklicher macht? Frank Berzbachs Selbstversuch im Schweige-Retreat zeigt: Viele Ärgernisse lösen sich von selbst, wenn wir sie nicht aussprechen.

Nach einem Tag, an dem ich über viele Kleinigkeiten genörgelt habe, an dem ich unzufrieden gewesen bin, obwohl es kaum Anlass dazu gegeben hat, liege ich mürrisch im Bett. Auf dem Nachttisch liegt ein Buch, in dem ich gern stöbere: Sämtliche Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe. Heute trifft mich ein Gedicht und macht mich nachdenklich:

Trage dein Übel, wie du magst,
Klage niemand dein Missgeschick;
Wie du dem Freunde ein Unglück klagst,
Gibt er dir gleich ein Dutzend zurück!

Es gibt häufig belanglose Ereignisse, die mir gegen den Strich gehen. Und schon äußere ich meinen Missmut, stecke andere damit an. Wir haben gelernt, dass es hilft zu reden. Aber vielleicht habe wir auch verlernt zu schweigen, sich erst einmal zurückzuhalten. Viele Menschen plappern einfach darauf los, man kann ihnen beim negativen Selbstgespräch zuhören, ein leises kontinuierliches Schimpfen entsteht. Das Wetter, die Unordnung, die Warteschlange, die Bahn ...

Mein Aha-Moment im Schweige-Retreat: Wie Stille Probleme schrumpfen lässt

Mir fiel das zum ersten Mal während eines Schweige-Retreats auf. Von den langen Meditationszeiten tat mir der Rücken weh, das Essen schmeckte mir nicht, der Raum war hässlich – und zu gern hätte ich mich bei den anderen Teilnehmenden darüber beklagt. Der Weg war allerdings versperrt: Wir waren aufgefordert, drei Tage zu schweigen. Und dann stand ich, nach dem ersten Tag in der Stille, auf dem Weg zur frühmorgendlichen Meditation an der Klostermauer und schaute über die kleine Stadt. Mir kam die Erkenntnis: Es ist gar nicht so schlimm! Wenn ich niemand habe, um mich zu beklagen, werden die Ereignisse unwichtiger, kleiner.

Eine Nacht darüber schlafen: Warum Abwarten uns glücklicher macht

Im Schweigen erkennen wir grundlegende Eigenschaften der Kommunikation: Kommunikation kann klären und helfen – aber sie kann auch Belangloses steigern und unangemessen vergrößern. Seither versuche ich mir anzugewöhnen, erst einmal nicht zu sprechen, wenn mich etwas stört oder nervt – zumindest nicht sofort. Ich warte ab, ob es in zwei Stunden oder vielleicht am nächsten Tag noch eine Bedeutung hat. Das meiste hat nämlich gar keine Bedeutung mehr; ich habe es einfach vergessen und andere gar nicht erst damit infiziert.

Ob eine Bahn nicht pünktlich kommt oder ich in der Postfiliale länger warten muss, die Kälte, der Regen oder die Hitze, ob irgendwas nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, oder ob etwas anders kommt als erwartet – es ist gar nicht so wichtig. Es ist kein Wort wert. Indem ich nicht darüber spreche, halte ich es im Bereich des Belanglosen. Mir geht es besser, wenn andere gar nicht erst darauf eingehen, mich bemitleiden oder ins Lamento einstimmen.

Neun von zehn Ärgernissen oder Problemen verschwinden auf diesem Weg des Schweigens. Und wenn am nächsten oder übernächsten Tag mich immer noch etwas bedrückt, kann ich schon etwas geläutert und bedachter das Gespräch darüber suchen.

Weniger Beschwerden - und das Leben wird weniger beschwerlich

Zudem spielt es eine Rolle, ob man sich dem Klagen überhaupt hingeben kann: Wenn ich zu viel Zeit habe, etwas zu wichtig nehme, neige ich eher dazu, anderen mit meinen Befindlichkeiten die Energie zu entziehen. Goethe sah deutlich, dass jedes Sich-Beklagen im Gespräch eine Büchse der Pandora öffnen kann – wir äußern zu schnell, was uns nicht passt. Und übersehen dabei: Es passt eben auch ziemlich viel, wenn wir nur abwarten und genau hinschauen. Über Missliches zu reden, kann anstecken; darüber zu schweigen, kann manches kleinere Ärgernis vergessen lassen.

Zum Weiterlesen
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Dr. Frank Berzbach
Artikel von Dr. Frank Berzbach
ist freier Autor und unterrichtet Philosophie und Literatur an der TH Köln. Zuletzt erschien von ihm: Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags. bene!-Verlag, 2023. Mehr unter: www.frankberzbach.com