Glück als Unterrichtsfach: Wie Schulen Wohlbefinden fördern
Immer mehr Schulen führen den Glücksunterricht ein, um Schülern wichtige Lebenskompetenzen beizubringen. Ohne Noten lernen Kinder, ihre Stärken zu entdecken und mit Misserfolgen umzugehen. Ein Unterrichtsbesuch.
Zunehmender Stress, Leistungsdruck und psychische Belastungen bei Schülerinnen und Schülern - die Zahl der Studien und Umfragen nimmt zu, die das bestätigen. Beim jüngstem Präventionsradar der Krankenkasse DAK gaben dreiviertel der Kinder und Jugendlichen an, durch die gegenwärtigen Krisen ausgelöste Ängste zu verspüren. Parallel nimmt bundesweit die Zahl der Schulen zu, die das Fach "Glück" erproben. Mit speziell weitergebildeten Lehrkräften. Eine von ihnen ist Julia Lissel und sie stellt gleich zu Anfang klar.„Ich sage den Kindern im Glücksunterricht nicht: So werdet ihr glücklich!” Lissel unterrichtet am Gymnasium im sächsischen Radebeul "Glück", ein festes Zusatzfach für alle 5. Klassen dort. Die Bezeichnung sei etwas irreführend: „Besser erklärt es das Lernziel: Wohlbefinden."
Fortbildung: So werden Lehrer zu Glücksexperten
Die junge Lehrerin hat ihre einjährige Fortbildung zur zertifizierten "Glücklehrerin" über das gemeinnützige Heidelberger Fritz-Schubert-Institut gemacht. Gründer ist der frühere Schulleiter Ernst Fritz-Schubert, der 2007 erstmals an einer Schule "Glück" als Fach unterrichtete und das von ihm entwickelte Konzept seitdem weitergibt. Inzwischen durchlaufen am Institut jährlich rund 500 Lehrkräfte die Fortbildung, so Schubert. Die Homepage listet bundesweit über 130 Referenzschulen auf.
Die Fünftklässler in Radelbeul holen ihre Hausaufgaben heraus: "Meine 20 Stärken". Nicht jedem fiel es leicht: „Ich hab drei Tage dafür gebraucht...", erzählt ein Mädchen, ein Junge räumt ein: „Mir fiel nach 15 einfach nix mehr ein." Lehrerin Lissel lächelt: „Das ist doch völlig okay. Manchmal ist man sich auch gar nicht bewusst, was eine eigene Stärke ist. Dem einen fällt eine Sache superleicht, so dass er es für völlig normal hält - und für jemand anderes ist dasselbe total kompliziert. Da kann man sich dann gut unterstützen."
Institutsleiter Schubert beobachtet seit Längerem einen zunehmenden Erwartungsdruck von Gesellschaft und Eltern, dem Kinder ausgesetzt sind: „Das braucht dann ein Ventil. Manche Kinder können das nicht regulieren und reagieren mit Aggressivität." Es deckt sich mit Lissels Erfahrungen. Zu Beginn des Schuljahres fragte sie ihre Schüler, was für sie Glück sei: „Ein Kind antwortete: 'Wenn meine Eltern sich freuen, weil ich gute Noten schreibe.'
Ohne Noten: Im Glücksunterricht freier lernen
Der Glücksunterricht soll den Kindern helfen, sich besser mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, sich ihrer Stärken bewusst zu werden, aber auch Schwächen als etwas völlig Normales zu akzeptieren. „Kompetent scheitern lernen", nennt das Lissel: „Scheitern ist nichts Schlimmes. Und oft kann man sogar etwas daraus lernen - und dann kann das eine Stärke werden. Wisst ihr: Das Wichtigste ist, darüber zu reden. Fehler zu machen ist gut, denn durch sie lernen wir über unser Handeln nachzudenken."
„Ich mag am Glücksunterricht, dass wir hier so ganz frei von der Seele reden können", sagt die elfjährige Josefine und lächelt schüchtern. Es ist ein Fach ohne Noten und festen Lehrplan. „Wir haben hier einfach mal Luft, in Ruhe darüber zu sprechen, was alle gerade bewegt, wie es der Klasse als Gruppe geht - wie sich die Kleinen hier mit all dem Neuen zurechtfinden. Die brauchen dafür einfach Zeit, das merke ich immer wieder", berichtet Lissel.
Kindern lernen Gefühle zu äußern
Der Psychologe Tobias Rahm veröffentlichte im Juni eine Studie zum "Glücksunterricht" an 16 Braunschweiger Grundschulen, rund 500 Kinder nahmen daran teil. Im Rahmen des "GlüGS"-Projekts wurden im Unterricht drei Monate lang Themen wie Dankbarkeit, Entspannung, Angst oder die Wahrnehmung von Gefühlen behandelt. Rahm zieht eine positive Bilanz: „Bei den Kindern sind negative Gefühle zurückgegangen." Das ergaben seine Befragungen, auch unter Lehrkräften und unter Eltern. Eine Mutter habe etwa berichtet, dass ihr Kind nun besser über seine Gefühle reden könne.
Lissel ist in ihrem Unterricht auch wichtig, dass die Kinder sich der Bedeutung eines wertschätzenden Umgangs miteinander bewusst werden, welche positiven Effekte das haben kann. Dafür gibt Lissel eine neue Hausaufgabe auf: „Schreibt jemandem, der nicht zu eurer Familie oder euren Freunden gehört, eine Karte mit einem Kompliment, was ihr toll an ihm oder ihr findet. Ich bin gespannt, was ihr von den Reaktionen erzählt!" Im Lehrerzimmer sitzt eine Kollegin von Lissel: „Glück? Das unterrichte ich auch, im Ethikunterricht." Ob sich beide in die Quere kommen? „Iwo", ist die lachende Antwort, „ich mach' mit meinen Schülern Heidegger, wenn wir über Glück sprechen. Gibt ja viele Zugänge zu diesem Thema."