Der eigenen Sehnsucht folgen
Andreas Knapp und Melanie Wolfers – zwei Menschen, die aus etablierten Rollen ausbrachen und einen Neuanfang wagten. Dabei folgten sie ihrer inneren Berufung. Ihre Erfahrungen teilen sie in einem gemeinsamen Buch und machen damit Mut zur Veränderung.

Andreas Knapp steht mit einem Rucksack am Bahnhof in Paris. Alles, was er besitzt, trägt er bei sich. Alles andere hat er verschenkt, bevor er diesen Neuanfang wagte: Er wird Teil der Gemeinschaft der „Kleinen Brüder“. Zuvor war er als Priester in der kirchlichen Jugendarbeit tätig und später Direktor des Priesterseminars. Die Arbeit machte ihm Freude, sie bedeutete für ihn „Erfüllung“ und brachte „wunderbare Erfahrungen“. Gleichzeitig spürte er eine „zweite Tonspur“, die ihn begleitete. Er legte großen Wert auf soziales Engagement und den direkten Kontakt zu benachteiligten Menschen – doch innerhalb seiner kirchlichen Aufgaben blieb dies oft auf der Strecke. „Ich wollte nicht nur Spenden sammeln und Projekte gründen, sondern Solidarität konkret leben“, betont er. In Frankfurt begegnete er zum ersten Mal den Kleinen Brüdern – in einem Viertel voller Abbruchhäuser. „Ein Ort des Gebets in diesem Umfeld hat mich angesprochen.“ In seiner heutigen Gemeinschaft zählen neben Gebet und brüderlichem Zusammenleben auch das Teilen der Lebensumstände armer Menschen. Zwei Jahre dauerte sein Entscheidungsprozess. Schließlich entschied sich Andreas Knapp gegen eine führende kirchliche Position und stattdessen für eine bescheidenere, aber mehr Sinn stiftende Rolle in der Gemeinschaft der Kleinen Brüder. In Paris begann er zunächst als Putzkraft zu arbeiten.
Leben ist Veränderung
Einen solchen Neuanfang wagte nicht nur Andreas Knapp. Auch die Ordensfrau, Theologin und Philosophin Melanie Wolfers spürte den Ruf zur Veränderung und vollzog einen radikalen Umbruch. Gemeinsam hielten sie ihre Erfahrungen in einem Buch fest: „Atlas der unbegangenen Wege – Eine Reise zu dir selbst“. Unser Leben sei in ständiger Bewegung und Veränderung, sagen Knapp und Wolfers übereinstimmend. Es beginnt im Alltag: Jeden Tag begegnen wir neuen Menschen, und trotz aller Routinen wissen wir nie genau, wie der Tag verlaufen wird. Wir durchlaufen verschiedene Lebensphasen: Kindheit, Jugend, Pubertät, Erwachsenenalter, Berufseinstieg und schließlich den Ruhestand. Manchmal tun sich unerwartete Chancen auf, und unerwartete Ereignisse wie eine Krankheit oder der Verlust eines geliebten Menschen bringen tiefgreifende Veränderungen mit sich. Immer wieder stehen wir vor neuen Fragen, die Entscheidungen von uns fordern.
„Und sobald du die Antwort gefunden hast, dann ändert das Leben die Frage,“
zitiert Wolfers den Spruch eines Wand-Graffitis, das sie mal gesehen hat. Leben bedeutet Transformation.
Sehnsucht als Antrieb:
Der Ruf nach persönlicher Veränderung
In ihrem Buch leiten Knapp und Wolfers die Leserinnen und Leser durch die verschiedenen Schritte eines Veränderungsprozesses. Sie illustrieren diese auch anhand eigener Erfahrungen, indem sie persönliche Tagebucheinträge aus Zeiten ihrer Veränderungsprozesse veröffentlichen. Ein oft unterschätzter Aspekt sei der Anfang, sagt Andreas Knapp. Viele Menschen würden der inneren Unruhe, die sie spüren, nicht nachgehen. Angst halte sie davon ab und sie wollen über eine Veränderung gar nicht erst nachdenken. Doch wer seiner Sehnsucht nicht folgt, riskiert eine latente Unzufriedenheit, ist Knapp überzeugt. Das wollte auch Melanie Wolfers nicht hinnehmen.
Ausbruch aus der Komfortzone
Wolfers lebte in München, hatte eine „tolle Stelle“ als Studierendenseelsorgerin an der Universität München und war Lehrbeauftragte für Philosophie. Sie war glücklich mit ihrem Freundeskreis und in ihrer Wohnung. Kurz gesagt: Sie fühlte sich „wie ein Fisch im Wasser“. Und dennoch spürte sie das Gefühl: „Es muss doch noch mehr als alles geben.“ Ihre Sehnsucht, ihren Glauben in Gemeinschaft zu leben, ein Leben aus Stille und Gebet zu führen und sich gemeinsam für eine bessere Welt zu engagieren, wurde durch eine Begegnung mit den Salvatorianerinnen verstärkt. Innerhalb weniger Monate folgte sie ihrer inneren Stimme: Sie verließ München und zog nach Österreich, um sich dort der Ordensgemeinschaft anzuschließen. Auch wenn sie unsicher war, eines war ihr klar: „Wenn ich den Aufbruch jetzt nicht wage, dann frage ich mich in zehn Jahren, ob ich nicht an einer stimmigeren und passenderen Weise meines Lebens vorbeilebe.“ Mit diesem Zweifel wollte sie nicht leben. Bereut hat sie ihre Entscheidung nicht. Die Zweifel legten sich. Heute ist sie seit 21 Jahren Teil der Gemeinschaft.
Transformation und Spiritualität:
Der Weg zu innerer Erfüllung
Unsicherheiten gehören zu jeder Veränderung. Um den Mut aufzubringen, den nächsten Schritt zu wagen, rät Knapp dazu, sich an vergangene Erlebnisse zu erinnern – etwa den ersten Schultag oder den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung:
„Du hast mit Mut schon viele tolle Erfahrungen gemacht. Sonst wärst du gar nicht da, wo du jetzt bist.“
Zudem sei es hilfreich, sich die Frage zu stellen, ob man nicht hinter seinen Möglichkeiten bleibt, wenn man den Schritt nicht wagt.
Für die beiden Ordensmitglieder Knapp und Wolfers ist klar: Veränderungsprozesse sind auch spirituelle Prozesse. Gott hat in uns alle Gaben und Entfaltungsmöglichkeiten angelegt, sagt Knapp. Eine göttliche Kraft – der Heilige Geist – wirke in uns und führe uns dazu, immer mehr dem ähnlich zu werden, wie Gott uns gedacht hat.
Für Wolfers ist Sehnsucht daher mehr als nur ein Wunsch – sie hat eine „spirituelle Tiefendimension“: „Sie ist eine gottgeschenkte Kraft in unserem Herzen, die uns aufbrechen lässt hin zu einem erfüllteren Leben.“ Daraus folgt, dass die eigenen Gaben und Potenziale erkannt werden müssen, um der eigenen Berufung folgen zu können. Eine zentrale Leitfrage, um das zu erkennen, formuliert Wolfers so:
„Wo leuchten deine Augen auf – und die von anderen? Also: Wo bringst du auch Licht in die Welt anderer?“
Unsicherheiten bei Veränderungen – Tipps zum Umgang
- Sprich mit Menschen, die einen guten Blick fürs Leben haben, dir zur Seite stehen und auch kritische Fragen stellen.
- Erinnere Dich an gelungene Neuanfänge. An damalige Ängste und was dich befähigt hat, dennoch das Wagnis des neuen einzugehen. Habe im Blick, wonach Du Dich sehnst.
- Such Dir Räume der Stille und Zeiten, in denen Du in Dich hineinhorchst. Möglichkeiten dazu gibt es viele: allein Spazierengehen, Tagebuch schreiben, Gebet ...
(Tipps von Ordensfrau, Theologin und Philosophin Melanie Wolfers, www.melaniewolfers.de)
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