Krisen und Chancen
01.04.2024

Lebenshilfe

Wann ist ein Neuanfang dran und wie gelingt er?

An der Beziehung festhalten oder sich trennen, einen beruflichen Neustart wagen oder bleiben: Woher weiß ich, was dran ist? Ein Gespräch mit Birgit-Marie Henniger, systemische Therapeutin und evangelische Ordensfrau. Sie erklärt, warum es oft schwer fällt, neue Wege zu gehen, und wie Neuanfänge gelingen.

Foto: © AdobeStock

Schwester Birgit-Marie Henniger, woran merkt man, dass es an der Zeit ist, etwas Neues anzufangen?

Gut, wenn man es überhaupt merkt! Es ist nicht selbstverständlich, wahrzunehmen, dass es Veränderung braucht. Die meisten kommen ins Überlegen, wenn etwas nicht so läuft: Man ist müde, lustlos, hat keine Energie. Ich würde sagen, es ist höchste Zeit für Veränderung, wenn sich etwas zerstörerisch auswirkt, wenn es dem Leben entgegensteht. Auch wenn ich merke, dass ich unendlich viel Kraft brauche für mein Leben – dann ist Veränderung angebracht.

Geht einem neuen Anfang immer eine Krise voraus?  

Manchmal braucht es einen gewissen Druck oder eine Notwendigkeit, dass sich etwas verändert. Nicht alle Menschen sind proaktiv. Und deshalb würde sich bei manchen gar nichts verändern, wenn da nicht eine Krise käme. Eine Krise ist jedenfalls nicht nur negativ. Sie ist auch eine Chance, etwas zu verändern. Es gibt aber auch einen positiveren Ansatz für einen neuen Anfang: dass einen was lockt, interessiert, dass man Lust hat.

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Wie findet man etwas, das einen lockt?

Hilfreich ist ein Impuls, dem ich nachgehen möchte, und dazu ist es wichtig, ihn zu hören. Man muss dazu wach unterwegs sein und auch mal etwas ausprobieren. Dann bekomme ich vielleicht Impulse, die wieder etwas in Bewegung setzen. Da mischen sich die Motive auch: Das Alte ist vielleicht ausgereizt, und gleichzeitig ist da ein Antrieb, zu lernen. Manche Menschen sehnen sich nach einer Weiterentwicklung, um weiterzuwachsen, zu reifen, aus ihrer Komfortzone herauszugehen.

Sie sagten, dass es gut ist, wenn man spürt, dass Veränderung nötig ist. Tut man das nicht automatisch?

Nein, nicht unbedingt. Wir sind heute mit so vielem beschäftigt. Das ist häufig überfordernd, sodass wir gar nicht mehr herausfiltern können, was uns in Bewegung setzen könnte. Ein tieferes Interesse fehlt oft. Dazu muss ich erst innehalten und mich fragen: Wo bin ich eigentlich? Was fehlt mir? Was ist meine Sehnsucht? Ich muss mir gönnen, solche unbequemen Fragen zu stellen. Und damit komme ich auch auf die Spur, an welcher Stelle sich vielleicht etwas ändern könnte. Es macht wirklich vielen Menschen Angst, die Frage zu stellen: Was will ich mit meinem Leben? Da fängt bei manchen schon die Krise an. Ich kann nur alle Leute ermutigen, nach einer Antwort für sich zu suchen. Was könnte ein gutes Ziel sein, wie wird mein Leben fruchtbar?

Wie kann ich herausfinden, wohin ich mit meinem Leben will?

Auf jeden Fall braucht es Räume für so ein Fragen. Viele Menschen profitieren von Ritualen. Durch sie gelingt es auch manchen Fragenden, Antworten zu erspüren. Wir im Kloster nehmen uns zum Beispiel eine Zeit der Stille am Morgen, in der wir uns von der Bibel inspirieren lassen. Abends legen wir den Tag in Gottes Hand zurück: Was war, wofür bin ich dankbar?

Das Andere ist für mich, an dem anzuknüpfen, worüber ich im Alltag stolpere. Wenn mir so etwas begegnet, ist es eine gute Gelegenheit, nochmal tiefer zu spüren: Wenn ich hier unzufrieden bin, was wünsche ich mir denn eigentlich? Was fehlt mir, was müsste sich ändern, damit ich zufrieden sein könnte? Wo müsste ich neu anfangen?

Wann ist es Zeit zum Festhalten und wann zum Loslassen?  

Es ist gut, Zeichen und Andeutungen wahrzunehmen, wenn etwas zerstörerisch ist oder ich vielleicht krank oder traurig werde. Dann sollte ich genau hinsehen, ob ich nicht etwas ändern muss. Wenn Gewalt in der Familie ist, halten Frauen zum Beispiel oft an der Beziehung fest. Manchmal gilt es aber auch, durchzuhalten und nicht gleich aufzugeben. Etwas Falsches durchzuhalten, ist schlecht. Aber schnell aufgeben, weil man denkt, es müsste einfacher sein, finde ich auch nicht gut und therapeutisch nicht richtig. Als Priorin kann ich zum Beispiel auch nicht einfach hinschmeißen und sagen: Wenn es nicht so glattläuft, ist es wohl auch nicht Gottes Plan. Manchmal muss man auch durchhalten. Und ist es nicht auch normal, dass einen der Alltag auch nervt? Manchmal hat man ein Ideal und ist deshalb schon frustriert, wenn die Realität anders aussieht.

Eine gescheiterte Beziehung, ein unerfüllter Kinderwunsch, ein ersehnter Jobwechsel, aus dem nichts geworden ist: Wie kann man gut mit dem Schmerz umgehen, wenn die Lebenspläne nicht so aufgehen wie erhofft?

Zulassen, erlauben, dass es so ist. Wir müssen nicht von uns erwarten, gut damit umgehen zu können. Es kann helfen, Abschied zu nehmen oder zu trauern, ganz bewusst, vielleicht auch mit einem Ritual. Gut ist es, die Dinge ins Gebet zu nehmen. Und dann auch dankbar zurückzuschauen auf Gutes. Nicht alles ist nur schwierig. Unser Blick ist oft so schwarz oder weiß, es ist entweder gut oder schlecht. Vielleicht finde ich auch etwas dazwischen?

Ich darf außerdem barmherzig sein mit mir und den anderen. Das hat auch etwas mit Versöhnung zu tun. Kann ich mich aussöhnen, und was braucht es dazu? Wenn ich Abschied genommen habe, kann ich weiterschauen, die Zukunft in den Blick nehmen. Mich wieder nach vorne ausrichten. Und wenn mal etwas nicht so gelaufen ist, empfiehlt uns Jesus, den Staub von den Füßen zu schütteln, um weitergehen zu können.

Ist Veränderung ein innerer oder äußerer Schritt, oder braucht es immer beides?

Auf jeden Fall beides. Vielleicht wird eher aus einem inneren Schritt ein äußerer. Es kann aber auch andersherum sein. Da braucht es erst einen äußeren Schritt, ehe der innere Mensch nachkommen kann. Zum Beispiel bei dem heiklen Thema Vergebung. Manchmal bin ich innerlich noch nicht so weit, dass ich das will. Aber ich kann entscheiden, nicht in so einer verbitterten Haltung leben zu wollen. Ich kann mich trotzdem bei meinem Gegenüber entschuldigen, und mein innerer Mensch muss noch nachkommen.

Das Unbekannte macht oft Angst oder zumindest unsicher. Worin ist das begründet?

Man bewegt sich nicht unbedingt so gerne. Die Bibel ist voll von Menschen, die gerne wollten, dass sich etwas ändert, und dann doch Muffensausen bekommen haben. Es ist normal, dass einem das Angst machen kann. Manche brauchen viel Neues und Anregung, und andere sind eher ängstlichere Menschen. Neues löst trotzdem bei den meisten Menschen Unsicherheit, Bedenken oder Sorgen aus, wenn es ums Persönliche geht. Auch da finde ich: Es darf mich auch beunruhigen! Ich muss nicht denken: »Juhu, neue Situation!« Aber vielleicht hilft mir hier die Erfahrung anderer oder Unterstützung von außen. Finde ich irgendwo – zum Beispiel im Glauben – Halt, Kraft und Zuversicht für verunsichernde Situationen? Was stärkt mein Vertrauen in den Gott, der Gedanken der Liebe über uns hat?

Wie wichtig sind neue Anfänge im Leben?

Ich persönlich bräuchte sie von meinem Typ her nicht unbedingt . Und doch war es in meinem Leben immer wieder gut, wenn ich ein bisschen geschubst oder angefragt wurde. Neuanfänge gehören einfach dazu, so wie auch das Leben selbst in einem Rhythmus aus Tag, Nacht, Jahreszeiten und Lebensphasen aufgebaut ist, die ja einfach geschehen. Ich rede nicht so gerne von Neuanfängen. Für mich ist es eher das Bild eines Weges, auf dem es ganz unterschiedliche Dinge gibt. Ich glaube, dass das so angelegt ist im Menschen – dass er immer sehnsüchtig bleibt, auch unruhig, und Veränderung sucht. Das gehört zum Leben dazu.

(Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch: Sarina Pfauth, Debora Kuder, Die Kunst des Neuanfangs. Über den Mut, andere Wege zu gehen, bene! Verlag 2024, S. 116-123)

Pfauth, Sarina; Kuder, Debora Die Kunst des Neuanfangs
BENE! VERLAG, 2024
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