Interview mit Ordensfrau Melanie Wolfers
Zuversicht: Spürsinn für das Positive in der Zukunft
Viele Menschen sehen die aktuellen Krisen mit gemischten Gefühlen. Die Salvatorianerin und Podcasterin Melanie Wolfers wirbt in einem Buch für mehr Zuversicht.
Frau Wolfers, Klimawandel, Inflation, Ukrainekrieg – es gibt derzeit viele Gründe, voll Sorgen in die Zukunft zu blicken. Sie setzen dagegen trotz allem auf Zuversicht. Ist das nicht naiv?
Melanie Wolfers: Ich rede keinem naiven, blauäugigen Optimismus oder etwas Weltentrücktem das Wort. Vielmehr verstehe ich Zuversicht als etwas sehr Weltzugewandtes. Denn sie hilft uns dabei, uns den Problemen zuzuwenden und Krisen anzugehen. Gerade angesichts der vielen gesellschaftlichen und persönlichen Probleme, die damit verbunden sind, brauchen wir mehr denn je die Kraft der Zuversicht.
Können Sie das verdeutlichen?
Wolfers: Ich erzähle gerne die Fabel von den drei Fröschen, die in einen Sahnetopf gefallen sind. Der Krug ist so hoch, dass sie nicht rauskommen. Der erste Frosch denkt optimistisch: Ach, es wird schon jemand kommen und uns retten; er wartet tatenlos, geht unter und ertrinkt. Der zweite Frosch denkt pessimistisch: Hier hilft kein Einsatz; auch er geht unter und ertrinkt. Der dritte Frosch sagt: Oh, eine ernste Situation, hier hilft nur Strampeln. Und er strampelt so lange, bis aus der Sahne Butter geworden ist und er sich mit einem Sprung aus dem Krug befreien kann. Daran wird deutlich, was Zuversicht meint. Eine zuversichtliche Person erkennt den Ernst der Lage und die Schwierigkeiten, aber ohne sich davon lähmen zu lassen. Vielmehr entwickelt sie positive Zukunftsbilder, entdeckt Gestaltungsspielräume und nutzt diese auch – selbst, wenn sie noch so klein sind. Zuversicht ist eine Art Spürsinn für das, was die Zukunft an Positivem mit sich bringen könnte. Und die Tatkraft, das Eigene dazu beizutragen, dass das Erhoffte eintritt.
Wie kann man zu so einer zuversichtlichen Haltung finden?
Wolfers: Vor allem in Krisenzeiten sollte man immer auch die erfreulichen Seiten des Lebens aufmerksam wahrnehmen und wertschätzen. Das stärkt die Zuversicht. Eine weitere zuverlässige Quelle sind tragfähige Beziehungen. Wer auch für andere da ist, weitet seinen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Eine dritte Quelle zur Zuversicht ist der Fokus auf Dinge, die mir Freude machen. Eine vierte Quelle ist der Aufenthalt und die Bewegung in der Natur. Denn die Natur lässt uns erfahren, was es heißt, lebendig zu sein. Natur ist nicht nur Umwelt, sondern auch Mitwelt, und in ihr können wir spüren, dass wir lebendig sind. Eine weitere Quelle ist die Pflege einer spirituellen Haltung; sie lässt mich wach werden für die leise Gegenwart Gottes.
Dennoch konzentrieren wir uns meist auf negative Dinge ...
Wolfers: Leider ja, auch dazu eine kleine Geschichte: Ein Professor teilt den Studierenden ein Prüfungsblatt aus, auf dem nur ein schwarzer Punkt zu sehen ist. Die Studierenden sollen beschreiben, was sie sehen. Der Professor liest anschließend die Beschreibungen: Alle haben ausführlich den Punkt beschrieben – seine Struktur, seine Farbe, seine Position auf dem Blatt, aber niemand hat das weiße Papier beschrieben. So ist es auch im Leben. Wir konzentrieren uns auf die dunklen Punkte und übersehen, was uns alles an Möglichkeiten gegeben ist. Die Geschichte verdeutlicht, dass unser Gehirn gefahrensensibel ist: Es konzentriert sich auf das Negative, dadurch kommt es zu einer negativ verzerrten Wahrnehmung. Als Folge erscheint uns die Welt gefährlicher, dunkler, katastrophaler, als sie eigentlich ist. Deshalb ist es so wichtig, die erfreulichen Punkte des Lebens bewusst wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Viele Menschen schauen gerne in die Zukunft, auch aus einem Bedürfnis nach Kontrolle. Aus Ihrer Sicht ist das kontraproduktiv. Warum?
Wolfers: Natürlich spielt Kontrolle in gewissen Lebensbereichen eine große Rolle – etwa bei Vorsorgeuntersuchungen. In unserer Gesellschaft sitzen wir aber dem Trugschluss auf, dass wir alles kontrollieren können. Das schwächt unsere Widerstandskraft, mit Unabsehbarem und unabwendbarem Widrigem umzugehen. Denn das Leben lässt sich nicht kontrollieren, das erleben wir in diesen Jahren in besonderer Intensität. Der Wunsch nach Kontrolle untergräbt die Fähigkeit zu vertrauen. Vertrauen ist aber eine der wichtigsten Ressourcen von Zuversicht. So paradox es klingt: Wer sich von dem Wunsch verabschiedet, alles kontrollieren zu wollen, der wird mit mehr Vertrauen durchs Leben gehen. Das belegt die Hirnforschung: Immer, wenn ich ein vertrauensvolles Verhalten wiederhole, bilden sich entsprechende Nervenbahnen aus, die mich in Zukunft vertrauensvoller unterwegs sein lassen.
Das hat für manchen auch etwas mit Gottvertrauen zu tun. Was aber kann man Menschen sagen, die mit Gott wenig anfangen können?
Wolfers: In der Begleitung von jungen Erwachsenen gehe ich gerne mit ihnen auf Spurensuche: Welche vertrauensvolle Beziehung gibt es in deinem Leben? Wie kann das Vertrauen in dich selbst und in das Leben wachsen? Man muss nicht mit dem Namen Gott daherkommen, um Erfahrungen zu eröffnen, die aus meiner Sicht spirituelle Erfahrungen sind.
Hoffnung und Zuversicht liegen recht nah beieinander. Warum haben Sie ein Buch über die Zuversicht geschrieben?
Wolfers: Zuversicht und Hoffnung sind für mich gleichbedeutend. Viele verbinden mit dem Wort Hoffnung die falsche Vorstellung: Hände in den Schoß legen und hoffen, dass es gut ausgeht. Weil „Zuversicht“ nicht so oft missverstanden wird, scheint es mir ein passenderes Wort zu sein.
Zuversicht kann derzeit auch die Kirche gebrauchen. Wie viel Zuversicht haben Sie, dass die Kirche für alle drängenden Fragen wie Missbrauchsaufarbeitung und Zukunftsfähigkeit, Priestermangel, die Einbindung von Frauen gute Antworten findet?
Wolfers: Ich glaube daran, dass der Geist Gottes bewirkt, dass das Evangelium durch die Zeit getragen wird bis zum Ende der Zeiten. Dass der Geist Gottes auch in unserer Kirche wirkt. Derzeit bricht vieles zusammen. Man kann das als Todeskampf sehen, aber auch als Geburt einer ganz neuen Sozialgestalt von Kirche. Das ist meine Zuversicht.
In Ihren Büchern muss man genau hinschauen, um zu bemerken, dass Sie Ordensfrau sind. Ist das bewusst so?
Wolfers: Wir Salvatorianerinnen haben eine weihnachtliche Spiritualität: Sie umfasst das ganz normale menschliche Leben – ausgespannt zwischen der blutigen Geburt, die wir an Weihnachten feiern, und den letzten Atemzügen eines Menschen. Alles Menschliche kann zum Ort werden, um Gott zu begegnen. Deshalb setze ich von meiner Theologie und Spiritualität her im Leben an: Wenn ich vom Gott des Lebens sprechen möchte, dann muss ich vom Leben in seiner Schönheit und seinem Schrecken sprechen. Von dort ausgehend schaue ich, welches Licht die biblische Botschaft darauf wirft. Dafür ist es mir wichtig, als Melanie Wolfers, als Mensch Vertrauen aufzubauen. Die Menschen sollen spüren: Da ist eine, die weiß, wie das Leben schmeckt, weil sie selbst an Grenzen gekommen ist. Wenn ein solches Vertrauen aufgebaut ist – über meine Bücher, in Begegnungen, im Podcast –, dann können auch explizit die christliche Botschaft, meine Verankerung in diesem Glauben und dass ich Ordensfrau bin, Thema werden.
Ihre Bücher haben ein neutrales Cover – mit Illustration, Titel und Autorennamen. Andere Bücher werben dagegen mit Ordensleuten im Habit auf dem Cover. Einen kirchenfernen Leser könnte das auch abschrecken ...
Wolfers: Ich komme aus einer sehr säkularen Gegend, aus Flensburg. Dort und an vielen anderen Orten schafft ein Habit eher Abstand. Vor allem aber ist mir wichtig: Wir glauben an einen menschgewordenen Gott. Und dieser Jesus Christus ist weder am Königshof geboren noch im Tempel aufgewachsen. Er kam ganz normal daher.
Interview: Angelika Prauß