Raus aus dem Stimmungstief
5 Wege aus dem Winterblues
Antriebslosigkeit, gedämpfte Stimmung, „man mag nicht so recht“: Viele Menschen kennen den Winterblues, eine saisonale depressive Verstimmung. Was hilft dagegen? Und wann benötigt man professionelle Hilfe?
Dass der Sommer endgültig vorbei ist, merke ich nicht nur daran, dass die Tage kürzer werden, die Blätter von den Bäumen fallen oder ich meine Herbst- und Winterjacke aus dem Schrank holen muss ‒ ich spüre es vor allem an meiner Gemütslage, die immer wieder den Nebelschichten um mich herum ähnelt.
Viele Menschen haben im Winter Mühe, morgens aus dem Bett zu kommen. Sie sind müder, weniger leistungsfähig und hin und wieder trübsinnig. Grund dafür ist der Mangel an Tageslicht, durch den der Vitamin D-Spiegel im Körper abnimmt. Einerseits werden die Glückshormone im Körper reduziert und andererseits das Schlafhormon Melatonin vermehrt ausgeschüttet.
Dieser „Winterblues“ kommt bei vielen Menschen so verlässlich wie das jährliche Weihnachtsfest. Doch es gibt Wege, die mir und anderen im Umgang damit helfen:
1. Licht
Auch wenn es verlockend scheinen mag, sich im Winter mit heißer Schokolade und einer Decke aufs Sofa zurückzuziehen: Um gegen den Winterblues anzugehen, ist es wichtig, raus ins Licht zu kommen! Pfarrerin Kathrin Bolt nennt dies auch „Licht sammeln“. Im Blogbeitrag „Schneckenhaus-Sehnsucht“ schreibt sie: „Zwischendurch will und muss ich das Schneckenhaus verlassen, um nicht ganz eingehüllt zu werden von der Dunkelheit. Schließlich ist für uns Menschen kein Winterschlaf vorgesehen.“ Neulich verspeiste sie daher ihr Sandwich in der Mittagspause nicht am Bürotisch, sondern an einem sonnigen Platz an einer Hauswand. Ihr Fazit: „Es hat richtig gut getan.“ Sie rät, das Gesicht so oft wie möglich ins Sonnenlicht oder zumindest ins Tageslicht zu halten, auch in den kalten Monaten mittags draußen zu essen und möglichst jeden Tag einen kleinen Spaziergang zu machen.
Alternativ kann eine Tageslichtlampe dabei helfen, Sonnenstrahlen zu imitieren und so Vitamine, Wärme und Glücksmomente zu empfangen. Und wenn die Tage spät hell und früher dunkler werden, kommt durch Kerzenschein ein bisschen Licht und Hoffnung in die Dunkelheit. Nicht zufällig werden in vielen Kirchen vor Weihnachten sogenannte Rorate-Gottesdienste mit hunderten von Kerzen gefeiert.
2. Bewegung
Ich habe gemerkt: Schon das kleinste bisschen Bewegung an der frischen Luft bringt meinen Kreislauf in Schwung und hilft mir, Antriebslosigkeit zu überwinden. Dabei muss es nicht immer der teure Skiurlaub sein: Auch Eislaufen, Winterwandern oder Schlittenfahren ermöglichen mir und vielen Menschen schöne Momente im Freien.
Wem es draußen zu kalt ist, der kann sich auch drinnen bewegen: zum Beispiel beim Yoga, beim Schwimmen oder mit ein paar Turnübungen. Wichtig ist, eine Sportart zu finden, die zu einem passt und Freude bereitet. Es genügt, klein anzufangen, denn jede Minute, die man sich bewegt, macht schon einen Unterschied.
Habe ich morgens gar keine Energie, dann mache ich ein paar Hampelmänner und schüttele mich, um wach zu werden für den Tag. Tagsüber stehe ich immer wieder vom Schreibtisch auf, um mich zu strecken und zu dehnen. Und sehe ich eine Treppe, dann benutze ich diese anstelle des Aufzugs.
3. Musik
Viele Studien haben versucht, die positive Wirkung des Chorsingens zu belegen. Auch ich liebe es, im Chor mit anderen gemeinsam zu singen. Denn dabei muss ich mich selbst gut spüren und mich auf meine Chorkolleginnen neben mir einlassen; so bringen wir gemeinsam unterschiedliche Genres zum Klingen. Dazu ist die wöchentliche Probe für mich ein Motivationsschub, das Haus auch abends in der Kälte und bei Dunkelheit zu verlassen.
Mich beim Singen in Gemeinschaft als Teil eines größeren Ganzen zu erleben und Resonanz zu spüren, stärkt meine Lebensfreude.
In vielen Gegenden ist es ein schöner Brauch, sich zum Adventsingen zu treffen. Ob mit Freunden oder Familienmitgliedern zu Hause, mit Blasmusik auf Adventsmärkten oder in großen Konzertsälen: Hauptsache, man lässt Musik ins Herz und summt ein bisschen mit. Ich verspreche, es hilft gegen den Winterblues! Und wer den Hit „Last Christmas“ im Radio oder Supermarkt nicht mehr hören will, kann sich selbst eine Playlist am Smartphone mit ermutigenden Lieblingsliedern für die Winterblues-Tage erstellen.
4. Gespräche
„Der Winter ist nicht meine liebste Jahreszeit“, sagt Beat Grögli, Dompfarrer in St. Gallen. Er kenne die Antriebslosigkeit des Winterblues gut. Was ihm über die dunkle Jahreszeit hinweg hilft? „Gute Gespräche! Der Austausch mit anderen.“
Die Erfahrung von Verbundenheit mit anderen Menschen wärmt.
Kürzlich bekochte uns eine Freundin mit wärmender Tomatensuppe und Ofengemüse. Wir sprachen über Gott und die Welt und irgendwann sagte sie: „Ich habe ganz vergessen, wie schön es ist, Menschen einzuladen.“ Wir waren uns schnell einig: Die kalte Jahreszeit eignet sich besonders gut dafür, Menschen zu beherbergen. Als Gastgeschenk nehmen die Eingeladenen dann idealerweise ein offenes Ohr mit sowie die Freude am Austausch, der Wärme und Abwechslung ins Haus bringt.
Für zwischendurch eignen sich auch Telefonate. Bei der Telefonseelsorge sind Menschen rund um die Uhr telefonisch erreichbar: In Deutschland unter der Nummer 0800 1110111, in Österreich unter der Nummer 142 und in der Schweiz unter 143 erreichbar.
5. Akzeptanz
Und schließlich geht es darum, den Winter als das zu akzeptieren, was er ist: eine Jahreszeit, die auch wieder vergeht und dem Frühling Platz macht. Sobald die ersten Frühlingsblumen sprießen und mehr Sonnenstrahlen zu sehen sind, kommen in der Regel die Energie und Lebensfreude von alleine zurück.
„Im Umgang mit dem Winterblues hilft mir Glaube daran, dass es einen Sinn und einen Weg gibt, trotz allem“, sagt Beat Grögli. Er hat gelernt, mit der kälteren Jahreszeit – und dem dazugehörenden Winterblues – zu leben.
Also versuche ich all das zu schätzen, was nur im Winter schön ist: heißen Tee oder Punsch trinken. Einen Adventsmarkt besuchen. Raureif auf den Bäumen und der Wiese beobachten. Über ein schneebedecktes Feld gehen. Danach in der Stube aufwärmen. Eine Kerze anzünden. In eine Decke eingekuschelt ein Buch lesen. Denn ich weiß: Sobald der Frühling kommt, werden all diese Dinge ihren Zauber verlieren.
Depression? Hilfe holen!
Diese fünf Wege mögen helfen, einen Umgang mit dem Winterblues zu finden. Aber Achtung: Der Winterblues darf nicht mit einer Depression verwechselt werden. Letztere besteht unabhängig von der Saison das ganze Jahr über und kann sich zum Beispiel in einer depressiven Stimmung, Antriebslosigkeit, in Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, sozialem Rückzug, Erschöpfung, Appetitmangel usw. äußern. „Wenn diese Symptome über längere Zeit auftreten oder man die Welt nur noch schwarzsieht und Suizidgedanken auftauchen, sollte man sich professionelle Hilfe holen“, rät Beat Grögli. Erste Anlaufstelle ist ein Arzt oder eine Psychotherapeutin. In Notfällen kann man sich an die nächste psychiatrische Klinik wenden oder den Notruf wählen.