Ein Schnaps für Tone: Wie ein außergewöhnliches Totengedenken Menschen verbindet
An einem Berg in Vorarlberg erinnert eine originelle Geste an einen tragisch verunglückten Sportler – und lädt zum Austausch ein.
Am Vormittag schon einen Schnaps zu trinken, kostet Überwindung. Für ein außergewöhnliches Totengedenken habe ich jedoch eine Ausnahme gemacht. Zusammen mit meiner Frau war ich auf dem Weg zum Karren bei Dornbirn, der einen fantastischen Blick über den Bodensee bietet. Bei der letzten Rast vor dem Gipfel entdeckten wir an einem Baum neben einer Art Vogelhäuschen ein Bild. Die mit einem Kreuz versehene Tafel erinnerte an „Tone“, der vor einigen Jahren kurz vor Weihnachten hier am Berg ums Leben kam. Das Foto zeigte einen sympathischen, sportlichen Mann, voll Kraft strotzend, der offenbar bei einer Skitour in dieser Region sein Leben lassen musste. Neugierig öffneten wir das vermeintliche Vogelhäuschen und waren höchst erstaunt, als sich an einem Scharnier ein Brett bewegte und kunstvoll angeordnet sechs Schnapsgläser zum Vorschein kamen. Dahinter eine fast gefüllte Flasche, eine offensichtliche Einladung, auf den „Tone“ ein Stamperl zu trinken und ihm so die Ehre zu erweisen.
Gespräche am Erinnerungsort
Wie könnte man einem so originellen Totengedenken widerstehen? Meine Frau füllte zwei Gläser und im Gedenken an den Verunglückten prosteten wir uns zu. Während wir vorsichtig den Mechanismus wieder verschlossen, hörten wir von hinten eine Stimme: „Ich hoff, ihr habts auf den Tone angestoßen!“ Drei Frauen kamen zügigen Schrittes auf uns zu, zwei jüngere und eine ältere. Nachdem wir versicherten, in würdiger Gesinnung von dem Obstler genossen zu haben, kamen wir ins Gespräch. Es war die Ehefrau von Tone mit ihren beiden erwachsenen Töchtern, die wir bei ihrem wöchentlichen Besuch der Erinnerungsstätte getroffen hatten. Während sie eine Kerze für den Ehemann und Vater entzündeten, erzählten sie uns von seinem tragischen Tod, aber auch davon, welch ein begeisterter, mitunter auch waghalsiger Sportler er war und wie er in seiner Familie und seinen Freunden fortlebt. Dass er bei Gott eine neue Heimat gefunden hat, daran zweifelten die drei Frauen nicht.
Trauer teilen und verwandeln
Dafür, dass er auch hier auf Erden gebührend bedacht wird, sorgt nicht zuletzt das außergewöhnliche Marterl mit dem Schnaps. Auch wenn dadurch der Schmerz über den Verlust nicht verschwindet, die Aktion der Töchter und ihrer Mutter bringt Menschen miteinander ins Gespräch, schafft einen Ort, wo erfahrenes Leid geteilt werden kann, mitunter sogar in ein Lächeln verwandelt wird. Bei mir hat das Erlebnis auch Spuren hinterlassen. Die Idee, Menschen, die sich nach meinem Tod einmal an mich erinnern, mit einem Schnapserl zu belohnen, geht mir nicht mehr aus dem Sinn.
Max Kronawitter, Theologe und Filmemacher