Multiple Sklerose: Die Krankheit mit 1000 Gesichtern
„Eines Morgens wachte ich auf, und alles war anders.“ Mit nur 35 Jahren erhält Sarah Bacher die Diagnose "Multiple Sklerose", kurz MS. Ein Beitrag zum Welt-Multiple-Sklerose-Tag am 30. Mai.

Am 05. April 2023 wacht Sarah Bacher auf, streckt sich im Bett und merkt: „Mit meinem Körper stimmt etwas nicht!“ Die rechte Körperhälfte ist taub. Ihr Mann fährt sie mit Verdacht auf einen Schlaganfall in die nächstgelegene Notaufnahme. Dort stellt sich heraus: Sarah Bacher ist an Multipler Sklerose, kurz MS, erkrankt.
Meist tritt MS im früheren Erwachsenenalter auf. Frauen sind dreimal so häufig betroffen wie Männer. Sarah Bacher (Jahrgang 1987) und ihre Symptome passen ins Bild. Eine sogenannte Lumbalpunktion, bei der Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal entnommen wird, bringt Klarheit.
MS ist eine chronisch fortschreitende, neurologische Erkrankung. Das körpereigene Abwehrsystem greift dabei fälschlicherweise körpereigene Substanzen im zentralen Nervensystem an und schädigen dieses. In Sarah Bachers Fall bedeutet die MS große Schmerzen, Empfindungsstörungen und eine eingeschränkte Feinmotorik der rechten Körperhälfte. „Je nach Tagesverfassung klicke ich beim Computer mit der Maus immer daneben oder kann keine schweren Sachen mehr heben, weil mir die Dinge wieder aus der Hand fallen“, schildert sie.
Am Schlimmsten sei jedoch die Müdigkeit, „Fatigue“ genannt. Zwischen 15 und 16 Uhr fällt ihr Körper in eine Erschöpfung, so dass sie beispielsweise nicht mehr richtig zuhören kann und sich hinlegen muss. Weil es die „typische“ MS nicht gibt, spricht man auch von der Krankheit mit 1000 Gesichtern, so die Schweizerische MS-Gesellschaft.
„Jeder Tag ist anders. Ich stehe morgens auf und weiß nicht, was mich körperlich erwartet“, sagt Sarah Bacher. Dazu kommt die Ungewissheit, wie die Krankheit sich weiterentwickeln wird. Seit etwa zwei Jahren stagnieren die Symptome bei Sarah Bacher, doch jederzeit kann ein neuer Schub auftreten: „Sicher ist nur, dass sich nichts mehr verbessert.“ Beschwerden, die sich nach einem Schub innerhalb eines Jahres nicht zurückbilden, bleiben. Täglich nimmt Sarah Bacher Tabletten, die einen weiteren Schub verhindern sollen, Schmerzmedikamente und Nahrungsergänzungsmittel.
Sarah Bacher ist durch die Erkrankung nicht mehr gleich leistungsfähig wie zuvor. Zunächst war sie krankgeschrieben, probierte dann einen Wiedereinstieg in Teilzeit – und wurde schließlich arbeitslos. Zum ersten Mal in ihrem Leben keiner geregelten Arbeit nachzugehen, empfindet sie als große Belastung – aber auch als Chance: „Ich kann besser auf meinen Körper und meine Seele achten“, sagt sie. Nun gilt es, ihren Selbstwert auch unabhängig von ihrem Beruf zu definieren.
Ich kann besser auf meinen Körper und meine Seele achten.
Warum MS entsteht, ist nicht genau bekannt. Genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse spielen zusammen. Sarah Bacher hat für sich eine Antwort gefunden auf die Frage, warum es genau sie getroffen hat: „Ich war mein Leben lang auf der Überholspur und machte keine Pause. Ich habe viel erlebt in meinem Leben, habe eine Drogengeschichte hinter mir – irgendwann sagte mein Körper: Stopp. Durch die MS musste ich ruhiger werden und das, was ich erlebt habe, verarbeiten. Das ist meine persönliche Deutung.“
Instagram-Video mit Sarah Bacher
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Quellen der Kraft
Trotz der lebensverändernden Diagnose strahlt Sarah Bacher eine große Zuversicht aus. Sie verrät, was ihr Kraft in der Krankheit gibt:
- Freundschaften: „Einige Freundschaften gingen in der Krankheit auseinander. Vermutlich aus Überforderung haben einige Freunde nie nachgefragt, wie es mir ging – doch der Austausch mit anderen tut mir gut.“
- Zwei Katzen: „Mit meinen beiden Katzen verbringe ich viel Zeit. Die Tiere leben im Moment und machen sich keine Sorgen um Vergangenheit oder Zukunft - das beruhigt mich.“

- Psychotherapie „Die regelmäßigen Gespräche mit meiner Therapeutin sind sehr wertvoll für mich!“
- Reisen: „Ich durfte schon viel von der Welt sehen, aber ich will noch mehr sehen und andere Menschen und Kulturen kennen lernen.“
- Offener Umgang mit der Diagnose
- Die größte Kraftquelle ist jedoch ihre Partnerschaft: „Das ist mehr als Leidenschaft und Sex, wir sind seelenverwandt“, sagt Sarah Bacher und spricht von Vertrauen und Liebe zu ihrem Mann. Zunächst sei es für ihren Mann schwer gewesen, sich in sie hineinzufühlen. Denn die Krankheit sieht man ihr nicht auf den ersten Blick an. „Es war ein steiniger Weg. Doch mit vielen ehrlichen Gesprächen haben wir es geschafft. Wir sind so stark wie noch nie.“
Sarah Bacher gibt nicht auf. Sie hat eine Weiterbildung als Coach absolviert und möchte nun Menschen begleiten, denen es ähnlich geht wie ihr und die sich zum Beispiel nach lebensverändernden Diagnosen wie MS oder in der zweiten Lebenshälfte neu orientieren möchten. (Startseite |Bacher Coaching)
Podcasttipp:
Dieser Artikel basiert auf einem Interview mit Sara Bacher, das im Podcast „Fadegrad“ gehört werden kann und hier zu finden ist: Multiple Sklerose: Als sich mein Leben über Nacht veränderte - Fadegrad - Inspiriende Lebensgeschichten, direkt & ohne Tabus.