Krisen und Chancen
24.10.2025

Der Blick durchs Schlüsselloch – Warum wir im Glauben einen Rahmen brauchen

Durch ein Schlüsselloch in Rom wird der Petersdom sichtbar – und ein Bild für das Leben: Wo Glaube und Rituale Halt geben, wird das Wesentliche erkennbar.
    

Foto: © IMAGO / Nexpher Images

Das „Schlüsselloch“ gehört zu den Publikumsmagneten auf dem Aventinischen Hügel in Rom. Vor allem im Sommer bilden sich vor dem „Buco di Roma“ oft lange Schlangen. Touristen aus aller Welt wollen das überraschende Bild einfangen. Wenn man mit einem Auge durch das Schlüsselloch des großen Gartenportals blickt, entdeckt man dahinter den Petersdom. Mich hat es immer erheitert, die Touristen nach ihrer Entdeckung zu beobachten, denn fast jedem zaubert der ungewöhnliche Blick ein Lächeln ins Gesicht. Das überraschende Auftauchen der Petersbasilika durch ein Schlüsselloch fasziniert. Der Blick wird fokussiert auf ein Detail. Wesentliches wird herausgestellt, verziert durch einen ungewöhnlichen Rahmen und abgegrenzt von der Umgebung.

Der Rahmen als Sinnbild –
Wie wir dem Leben Struktur geben

Wie sehr der Rahmen ein Bild aufwertet, ist nahezu in jeder Wohnung sichtbar: Bilder, Fotos oder Kunstwerke werden gerne eingefasst und damit hervorgehoben. Ähnliche Rahmen erzeugen zudem einen Zusammenhang zwischen Bildern und setzen sie zu einem Ganzen zusammen. Auch unser Leben erhält durch die Rahmen, die wir ihm geben, eine Struktur. Je nachdem, wie wir sie wählen, setzen wir den Fokus, grenzen ab und heben hervor. Ob bei einem Geburtsfest oder bei einer Verlobung: Der Rahmen macht aus einem Termin ein Fest, aus einem Datum ein Ereignis.
    

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Rituale des Glaubens –
Eingebettet ins große Ganze

Wir Christen haben nicht nur für die großen Ereignisse des Lebens vertraute, festliche Abläufe. Unser ganzes Dasein von der Wiege bis zur Bahre ist eingebettet in einen großen Rahmen: Geburt, Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit, all diese Höhepunkte einer Biographie reihen sich wie die Perlen einer sorgfältig geknüpften Kette. Die letzte Perle ist das Begräbnis. Derart in eine Struktur eingebunden zu sein, verleiht Sicherheit.

Der Wunsch vieler Menschen, die nicht mehr christlich verankert sind, zur Verabschiedung ihrer Angehörigen einen angemessen feierlichen Rahmen zu finden, führt oft zu großer Unsicherheit. Die Suche nach möglichst individueller und privater Gestaltung der Trauerfeier entfacht manchmal sogar Streit zwischen den Zurückbleibenden, wie ich in den letzten Monaten erleben musste.


[inne]halten - das Magazin 23/2025

Glauben wir an denselben?

Ein christlicher, ein jüdischer und ein muslimischer Theologe im Gespräch

Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.

Der göttliche Rahmen – Mehr als nur Tradition

Ich bin froh, dass meine Familie bei einem Trauerfall das Rad nicht neu erfinden muss. Von dieser Welt verabschiedet zu werden, wie es schon seit Generationen gemacht wird, finde ich tröstend. Das Ritual macht deutlich, dass man bei aller Eigenheit in ein großes Ganzes eingeflochten ist. Ein festlicher Rahmen, der sich mit den voraus- gegangenen Stationen des Lebens zu einer Einheit verbindet. Den Rahmen sollte man deshalb nicht unterschätzen. Das hat mich schon vor Jahren das römische „Schlüsselloch“ gelehrt. 

Max Kronawitter, Theologe und Filmemacher