Beziehung
10.06.2025

Wie Essen verbindet: Die Rolle bewusster Ernährung für Liebe, Beziehungen und Gemeinschaft

In ihrem neuen Buch „Hinter dem Tellerrand“ zeigt Journalistin Sira Huwiler-Flamm, wie Essen unser Leben prägt – als Ausdruck von Liebe, kultureller Identität und sozialem Miteinander.
    

Foto: © Jovaduplex – stock.adobe.com

Essen ist für viele Menschen so selbstverständlich wie das Zubettgehen am Abend. Zugleich sichert es das Überleben - ohne Nahrungsaufnahme kann kein menschlicher Organismus existieren. Zudem weiß jeder, dem beim Gedanken an eine süße, leuchtend rote Erdbeere vom Feld das Wasser im Mund zusammenläuft: Essen ist mehr als reine Daseinsvorsorge. Es weckt Emotionen, prägt Kulturen und beeinflusst das tägliche Miteinander.

In ihrem ersten Buch "Hinter dem Tellerrand. Warum uns erst Essen zu Menschen macht", das jetzt erschienen ist, geht die Journalistin Sira Huwiler-Flamm der gesellschaftlichen Bedeutung des Essens nach. Für das gut 220 Seiten starke Werk reiste sie dreieinhalb Jahre lang durch die Welt, sprach mit Wissenschaftlerinnen und schaute Spitzenköchen über die Schulter. Herausgekommen sind 20 Thesen, die in einem lockeren, leicht verständlichen Stil die vielschichtige Rolle des Essens beleuchten.

Genuss spricht alle Sinne an

„Genuss spielt in meinem Leben eine große Rolle", erklärt die Soziologin im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Ich bin damit aufgewachsen - alle in meiner Familie lieben Essen, bei uns wurde immer frisch gekocht. Das mache ich bis heute gern." Ihre Beziehung zum Essen wurde auch von ihrem Vater, einem Schweizer, geprägt, und von ihrer thailändischen Stiefmutter. Huwiler-Flamm selbst lebt heute in Südwestdeutschland in der Nähe zum Elsass.

„Wenn ich unterwegs bin, bringe ich typische Gewürze oder Kräuter der Region mit", sagt die 38-Jährige. Am liebsten kocht sie nach eigenen Worten Thaicurry mit frischem Koriander und Thaibasilikum, den sie auf dem Balkon anbaut. „Genuss spricht alle Sinne an - es geht nicht nur ums Schmecken. Es beginnt schon beim bewussten Wahrnehmen und Betrachten. Etwa beim Schlendern über einen Markt und dem Aufnehmen von Düften." Genuss sei sowohl im Sternerestaurant möglich als auch im einfachen Wirtshaus.
    

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Tradition und Religion am Esstisch

Ein Gegenbeispiel für Genuss ist für die Autorin das schnelle Verzehren eines aufgebackenen Croissants im Fahrstuhl auf dem Weg zur Arbeit. Auch das gehöre zum Alltag hinzu, doch die Welt des Essens sei weitaus vielfältiger. „Was wir essen und was wir für genießbar halten, wird durch unsere Kultur und unsere Religion geprägt", ergänzt Huwiler-Flamm. Das gelte auch für Nichtgläubige.

So wird bis heute in vielen deutschen Kantinen freitags traditionell Fisch serviert - eine Praxis, die sich aus dem Christentum ableitet: Freitags, also am Tag der Kreuzigung Jesu, wird auf Fleisch verzichtet. Ebenso vermeiden in Indien selbst Nicht-Hindus den Verzehr von Rindfleisch, während in muslimisch geprägten Ländern auch Nicht-Muslime meist auf Schweinefleisch verzichten. Die Hintergründe solcher Traditionen erklärt Huwiler-Flamm in ihrem Buch.

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Geist der Freiheit

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Die soziale Kraft der Mahlzeit:
Wie Essen Beziehungen stärkt

Doch Essen ist nicht nur Verzicht - es ist auch Ausdruck von Liebe, so eine ihrer Thesen. Aus kaum etwas spreche so viel Liebe wie etwa aus Omas selbst gebacken Pfannkuchen oder einem Begrüßungsmahl für Gäste. In Liebesbeziehungen spiele Essen ebenfalls eine große Rolle. Die Paar- und Sexualtherapeutin Heike Melzer, auf die sich Huwiler-Flamm bezieht, beschreibt Essen neben Sexualität als einen zentralen „Kitt" für gelingende Beziehungen - beides seien sinnliche Erlebnisse, die das Belohnungssystem im Gehirn aktivieren. Und eine US-Studie zeigt: Paare nehmen in den ersten Beziehungsjahren durchschnittlich bis zu acht Kilo zu.

Huwiler-Flamm, Sira Hinter dem Tellerrand
WESTEND, 2025
22,00 €
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Zwischen Diätwahn und Esskultur:
Warum Verzicht nicht der Weg ist

Essen kann jedoch auch Leid verursachen, etwa bei Menschen mit Essstörungen, die sich bestimmte Lebensmittel verbieten oder von Schuldgefühlen geplagt werden, wenn sie sich einen „Ausrutscher" erlaubt haben. In der heutigen Gesellschaft, so Huwiler-Flamm, gehöre Diätverhalten fast zur Norm.   Als Autorin, die auch für Zeitschriften schreibt, hat viele Frauen interviewt, die sich - teils erfolgreich, teils weniger - strenge Ernährungsregeln auferlegt haben. Oft folge auf extremen Verzicht ein Heißhungeranfall, begleitet von schlechtem Gewissen bis hin zu Selbsthass. Ihr Rat: Genuss sollte niemals verboten werden - sinnvoller sei es, sich mit den tieferliegenden Ursachen des eigenen Essverhaltens auseinanderzusetzen.

Gleichzeitig gilt: Nicht jeder Mensch hat überhaupt die Möglichkeit zu genießen. Nicht wenigen fehlt auch hierzulande das Geld dafür; der Hunger wird zum Alltag. Umgekehrt landen allein in Deutschland jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Um dieser Verschwendung entgegenzuwirken, hat die Journalistin praktische Tipps gesammelt, wie sich Reste sinnvoll weiterverwerten lassen - etwa in einfachen Gerichten am Folgetag. Mit ihrem Buch möchte sie zum Nachdenken anregen - ohne erhobenen Zeigefinger. Ihre zentrale Botschaft: „Essen ist etwas ganz Besonderes, das Respekt verdient hat".

KNA
Artikel von KNA
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