Wohnungssuche mit Hindernissen: Ein Hauch von Ubuntu am Niederrhein
Der Wohnungsmarkt ist hart umkämpft. Wer eine Wohnung sucht, muss sich abheben, anpreisen und anbiedern. Oder: Zusammenhalten. Angela Krumpen erzählt von einer unerwarteten Wendung bei einer Wohnungsbesichtigung.
Das darf doch nicht wahr sein! Endlich gibt eine Vermieterin uns – einem jungen Mann aus Westafrika und mir – einen Besichtigungstermin. Und das sogar exklusiv. Doch als wir zehn Minuten zu früh klingeln, sind eine andere Ehrenamtliche und ihr Schützling aus dem Iran bereits mitten im Gespräch mit der Vermieterin. Ich gestehe, dass ich tief geseufzt und gedacht habe: Wie blöd, jetzt machen wir uns hier auch noch selbst Konkurrenz.
Seit 2556 Tagen, also seit sieben langen Jahren, suche ich mit und für diesen jungen Mann eine Wohnung, ein Zimmer, ein Gartenhaus – was auch immer. Noch immer wohnt er im Männerwohnheim, teilt sich ein acht Quadratmeter winziges Dachzimmer mit einem weiteren Geflüchteten.
Wer uns hilft, dem helfen wir
Kennengelernt habe ich ihn vor fast acht Jahren. Damals war ich Elternvorsitzende an einer weiterführenden Schule. Wir machten uns Sorgen um immer mehr Kinder, die über „Bauchweh“ klagten, aber in Wahrheit Hunger hatten. Also organisierten wir ein kostenloses Frühstück.
Spenden gab es schnell – doch uns fehlten Menschen für die Arbeit. Schließlich fanden wir sie unter den vielen geflüchteten Menschen, die 2015 angekommen waren und in Turnhallen auf Behördentermine warteten. Nicht ohne ein Versprechen: Wer uns half, dem wollten wir helfen.
Arbeit ja, Wohnung nein
Wenn es um Arbeit ging, konnten wir unser Versprechen halten. Wer einige Monate lang zuverlässig und pünktlich frühmorgens Kakao gekocht und Brote geschmiert hatte, dem konnten wir gut eine Arbeitsstelle vermitteln. Auch der junge Mann aus Westafrika bekam nach sechs Monaten und einem Zeugnis für sein Ehrenamt eine feste Vollzeitstelle, die er bis heute ausübt.
Doch bei Wohnungen? Vor allem für junge, schwarze Männer? In unserer Kleinstadt am Niederrhein ist das bis heute ein schier unlösbares Problem. Seit Jahren frage ich deshalb unter meinem eigenen Namen bei Vermietern an. Doch jedes Mal, wenn ich sagte, für wen ich suche, war der Weg zu Ende.
Ubuntu – ein Wort für Gemeinsinn und Menschlichkeit
Nicht sofort, aber über die Jahre mag ich nicht mehr an Zufall glauben. Erst recht nicht, als 2022 – nach dem Überfall auf die Ukraine – plötzlich jede Menge Wohnungen zur Verfügung standen. Alltagsrassismus tut weh! Er sorgt dafür, dass ein gutes Leben nur für Menschen mit der „richtigen“ Hautfarbe möglich ist.
Vielleicht, weil es diesmal um einen jungen Afrikaner ging, musste ich unwillkürlich an Ubuntu denken. Ubuntu – ein Wort aus der afrikanischen Tradition, das Gemeinsinn und Menschlichkeit bedeutet. Es ist mir auf meinen Reisen und Recherchen in verschiedenen afrikanischen Ländern begegnet. Desmond Tutu, der Friedensnobelpreisträger, erklärt es so: „Ich bin, weil wir sind, und weil wir sind, deshalb bin ich.“
Wie oft wünsche ich mir mehr Ubuntu in unserer Welt.
Mit der Konkurrenz kooperieren
Zurück zur Wohnungsbesichtigung: Distanziert und angespannt stehen wir zu viert anschließend vor dem Haus. Der Mitbewerber kann besser Deutsch, verdient mehr Geld. Ich weiß schon, wer diese Wohnung bekommen wird.
Als ich meine unschönen Gedanken bemerke, rufe ich mich zur Ordnung und sage in die Runde: „Ganz schön albern, dass wir uns jetzt auch noch Konkurrenz machen. Ich heiße Angela.“ Plötzlich bricht das Eis, und wir lachen uns – noch ein bisschen verlegen – an.
„Ich habe eine wilde Idee“, sagt die andere Ehrenamtliche und schlägt einen Tausch vor: Ihr deutlich vermögenderer Schützling nimmt diese Wohnung, und der junge Mann, für den ich suche, zieht in die dadurch freiwerdende.
Auf einmal ist allen geholfen. Ein Hauch von Ubuntu gesellt sich zu uns, in den nassen, kalten Niederrheinabend.