Beziehung
04.04.2025

Raus aus dem Buddelkasten!

Warum zerbrechen enge Geschwisterbeziehungen? Ursula Ott geht aus Anlass des Weltgeschwistertages am 10. April dem Phänomen auf den Grund – und zeigt Wege aus Streit, Konkurrenz und Sprachlosigkeit.

Foto: © Gabriele Rohde - stock.adobe.com

„Wenn mein Bruder morgen an der Tür steht und fragt, kannst du mir eine Niere spenden – dann schlage ich die Tür zu und dreh zweimal den Schlüssel rum.“ Puh, was für ein Satz. Ich sitze in der Praxis eines befreundeten Arztes, warmherziger, lustiger Typ Anfang 60. Seit einiger Zeit ist das Praxisschild ausgetauscht. Wo „Peter und Dieter Meyering“ stand, steht jetzt nur noch „Dieter Meyering“. Zwei Brüder, die ein Herz und eine Seele waren und sogar eine Praxisgemeinschaft, sind heute bis aufs Blut zerstritten.

Wenn Geschwister zu Fremden werden:
Warum so viele Bruder-
und Schwesterbeziehungen zerbrechen

Wie kann es passieren, dass man sich ausgerechnet mit der Person, die einen am besten kennt, so entzweit? Die Person, mit der man denselben Schulweg entlang getrottelt ist, dieselben Märchen gehört und heimlich „Raumschiff Enterprise“ geguckt hat? Das wollte ich wissen und habe für mein Buch viele Brüder und Schwestern getroffen, aber auch viele Psychologen und Juristinnen. Und den erfahrenen Therapeuten Michael Bruckner, der lange die katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Düsseldorf geleitet hat. Er begleitete mich durch anderthalb Jahre Geschwisterrecherche.

Ich habe in dieser Zeit verstanden und gefühlt: Geschwister können beste Freundinnen und Verbündete sein. Aber leider auch beste Feinde. Weil sie oft alte Rechnungen aus der Kindheit offen haben oder in alten Rollen verharren, die heute gar nicht mehr passen. Anwälte nennen es das „Buddelkastensyndrom“ – als säße man mit 60 noch gemeinsam im Sandkasten.
    

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Laut einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Kantar/emnid  2023 durchführte, sagte von 1013 Befragten jeder vierte, zumindest mit einem der Geschwister sei der Kontakt schwierig. Sieben Prozent haben den Kontakt zu den Geschwistern komplett abgebrochen.

So wie Dieter, mein befreundeter Arzt. Die einst florierende Gemeinschaftspraxis kam in eine Schieflage, als der eine immer mehr, der andere immer weniger Patienten schaffte. Der Konflikt eskalierte, als Peter einer Patientin angeblich empfahl, eine Brustoperation zu revidieren – „die mache ich Ihnen schöner als mein Bruder“. Ganz zum Bruch kam es aber erst, als die Mutter starb. Man stritt um Beerdigungskosten, um Blumenbuketts und um den Ablauf: Wer soll was sagen am Grab? Wer steht wo auf der Todesanzeige? Aber letztlich, das gibt Dieter selber zu, geht es nur um eines: „Wir konkurrieren bis heute, wer Nummer eins in Mamas Herz war.“ Allein die Kinderfotos, sagt er: „Von Peter gibt es drei Alben, von mir nur ein halbes!“

Ein extremes Beispiel, gewiss, aber gerade wenn die Eltern sterben, knallt es ganz schön oft unter Geschwistern. Weil man sich sowieso schon durch Trauer und Abschied im emotionalen Ausnahmezustand befindet. Weil die Eltern, die alles zusammengehalten haben, jetzt wegfallen als Manager der Beziehungen. Oder weil es bei der Testamentseröffnung eine böse Überraschung gibt. „Da kriegt man weniger als erhofft und denkt bitter: So wenig war ich den Eltern also wert,“ sagt der Sozialpsychologe Kai Jonas, oder: „Aha, Martin war also der Lieblingssohn.“ Das tut weh.

[inne]halten - das Magazin 8/2025

Leid und Freude

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Geschwisterkonflikte verstehen und lösen:
Vom Buddelkastenstreit bis zur späten Versöhnung

Jonas empfiehlt Geschwistern unbedingt, schon frühzeitig mit den Eltern zu sprechen über das Erben und Vererben. Damit es später keine schweren Enttäuschungen gibt. Und er warnt: „Absolute Gerechtigkeit gibt es sowieso nicht.“ Auch wenn das fast alle Eltern wollen:  die Kinder absolut gleich und gerecht behandeln. Aber die eine braucht mehr Geld, der andere mehr Zuwendung. Am besten, man verabschiedet sich früh vom Mythos der Gerechtigkeit.

Frühzeitig reden: mit den alten Eltern und mit unseren Brüdern und Schwestern. Mit den Eltern ist es oft schwer – sie sind, traumatisiert von Krieg und Vertreibung, eine schweigsame Generation. Manchmal waren sie deshalb auch keine guten Eltern. Die Autorin Sabine Bode, deren Bücher „Die vergessene Generation“ und  „Kriegsenkel“ sich millionenfach verkauft haben,  sagte mir im Interview: „Unsere Eltern hatten oft wenig Liebe – und um das bisschen haben wir Geschwister auch noch miteinander streiten müssen.“ Aber wir Kinder, die Babyboomer, wir können das besser. Wir haben oft sprechende Berufe ergriffen, sind Sozialarbeiterinnen oder Lehrer geworden, Coaches oder Journalistinnen. Viele von uns haben gelernt, über unsere Gefühle zu reden.

Ursula Ott. Ursula Ott. Foto: © Lena Uphoff


Und so habe ich auch viele Geschwister getroffen, die herausgefunden haben aus ihrem Zwist. Zum Beispiel drei Schwestern, die zusammen den Friseursalon der Mutter fortführen wollten und dabei an ihren alten Rollen festklebten: Kerstin, die Macherin. Iris, die Perfektionistin. Und Mathilda, das süße Nesthäkchen, das am liebsten die Augen aufschlug und wartete, bis die Großen alles regeln. Die drei suchten sich eine Mediatorin und einen Finanzberater – und entschieden, dass schließlich nur eine den Laden übernimmt. Inzwischen feiern sie friedlich und gemeinsam zu dritt im „Salon Gabi“ Geburtstage und Kommunion.


Bravo, Kerstin! Raus aus den alten Rollen! Sie passen oft nicht mehr mit 50 oder 60. Psychologen raten, sich regelmäßig mit den Geschwistern zu treffen. Erzählen, alte Fotos gucken, verstehen. Ach, das hast du mit Papa erlebt? Und da warst du stolz auf Mama? Jedes Kind, sagt Familienberater Bruckner, hat eigentlich andere Eltern. Und jedes Kind übernimmt andere Anteile von ihnen.


Wir Babyboomer haben jetzt einige Aufgaben vor uns. Die eigenen Kinder sind aus dem Haus, wir wollen für uns selber eine gute Schlusskurve in der Berufstätigkeit finden, und wir wollen die alten Eltern gut versorgen. Dafür brauchen wir viel Energie, und wie schade ist es, sie mit  „Buddelkastenstreit“ zu vergeuden. Und wie klug, wenn die längste Beziehung unseres Lebens, die zu unseren Geschwistern, uns dabei stärkt.

Ursula Ott, geboren 1963, ist Chefredakteurin von „chrismon“, dem evangelischen Magazin und erfolgreiche Buchautorin. Alle Lesungen unter www.ursulaott.de.
Zum Weiterlesen
Ott, Ursula Gezwisterliebe
BTB, 2024
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