Freundschaft und Liebe sind nichts für Feiglinge
Jemandem rundum vertrauen zu können ist eine wunderbare Erfahrung. Und zugleich bleibt Vertrauen immer auch ein Wagnis, denn wir geben Kontrolle auf. Und nie sind wir verletzbarer als in Freundschaft und Liebe.

Auf der Suche nach einem Freund verlässt der kleine Prinz seinen Stern. Auf dem siebten Planeten, den er betritt, der Erde, begegnet er einem Fuchs. Wenn du einen Freund haben willst, dann zähme mich, sagt der Fuchs. Der kleine Prinz versteht nicht, was das meint. Es bedeute, sich einander vertraut zu machen, erklärt der Fuchs und fährt fort: „Wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen andern unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.“ Indem sich der kleine Prinz Tag für Tag ein Stückchen näher an den Fuchs heransetzt, machen sich der Kleine Prinz und der Fuchs miteinander vertraut. Unmerklich schwindet ihre Angst und Vertrauen baut sich auf.
Vertrauen baut sich schrittweise auf
In seiner bekannten Geschichte „Der kleine Prinz“ verdeutlicht Saint-Exupéry: Vertrauen fällt nicht einfach vom Himmel! Es ist und bleibt ein Wagnis, einander zu vertrauen. Einerseits brauchen wir Sicherheit in unseren Beziehungen, um uns öffnen zu können. Andererseits aber wächst die Gewissheit: „Ich kann auf dich bauen“ allein in dem Maß, als wir das Risiko eingehen, jemandem Vertrauen zu schenken.
Vertrauen ist wie das Gehen über eine Brücke, die gerade erst – und zwar Schritt für Schritt – gebaut wird.
Wir müssen den jeweils nächsten Schritt wagen und damit das Risiko eingehen, möglicherweise auf die Nase zu fallen. Wenn wir erleben, dass sich der mutige Vertrauensvorschuss bewährt, so kann das Vertrauen weiter wachsen. Vertrauen verdankt sich also einem mutigen Brückenschlag, und Nähe ist das Ergebnis von riskierter Verletzlichkeit! Dies gilt für jede Beziehung – ob im Arbeitskontext, in der Nachbarschaft, in Freundschaften oder in der Liebe.
Lieben heißt verletzlich sein
„Sich verlieben“ heißt im Englischen „to fall in love“. Diese Redewendung nimmt das Verletzungs-Risiko sprachlich auf. Ähnlich deutet der Satz „Ich mag dich leiden“ an, dass Liebe und Verletzlichkeit zwei Seiten einer Medaille bilden. Und in der Tat: „Niemals sind wir so verletzlich, als wenn wir lieben!“ (Sigmund Freud) Denn je mehr uns jemand bedeutet, umso näher lassen wir ihn oder sie an uns heran. Umso berührbarer sind wir. Und umso sensibler und verwundbarer.
Konkret: Wenn ich aus Liebe meine Schutzschilde ablege und jemanden nahe an mich heranlasse, kann ich das Glück von Zärtlichkeit und Nähe erleben –, aber zugleich kann mir eine Kränkung tief unter die Haut gehen. Wer täglich neu auf die Liebe des Partners baut, der vielleicht treu ist bis in den Tod – oder einen morgen schon betrügt –, lässt zu, dass er enttäuscht oder verletzt werden kann. Und wenn ein geliebter Mensch leidet oder gar stirbt, zerreißt es unser Inneres.
Pointiert gesagt: Freundschaft und Liebe ist nichts für Feiglinge! Sie brauchen immer wieder eine gehörige Portion Mut.
Das schöne Wagnis von Freundschaft und Liebe
Großartig beschreibt C. S. Lewis den Zusammenhang von Liebe und dem Mut, verwundbar zu sein: „Liebe irgendetwas, und dein Herz wird mit Sicherheit durch einen Schleudergang gehen und vielleicht gebrochen. Wenn du sicherstellen willst, dass ihm nichts passiert, darfst du es niemanden schenken, nicht einmal einem Tier. Verpack es sorgfältig in Hobbys und ein wenig Luxus, meide jede Verwicklung. Verwahre es sicher in der Schatulle oder dem Sarg deiner Selbstsucht. Aber in dieser Schatulle, sicher, dunkel, unbeweglich, ohne Luft, wird es sich verändern. Es wird nicht gebrochen werden, es wird unzerbrechlich, undurchlässig, hoffnungslos. Lieben heißt, verletzlich zu sein.“
Ob wir wollen oder nicht: Vertrauen und Liebe schenken ist bisweilen ganz schön schwierig. Aber es ist eben auch schön schwierig, denn darin gewinnt das Leben eine neue Schönheit und Stimmigkeit.
Aus: Melanie Wolfers, Trau dich, es ist dein Leben. Die Kunst, mutig zu sein, bene! Verlag 5. Auflage 2023, 78-87