Kalligraphie-Ausstellung mit Friedensbotschaft
In der Münchner Karmeliterkirche begegnen sich zurzeit die drei abrahamitischen Religionen in der Kunst der Kalligraphie. Vor dem Hintergrund des Nahost-Konfliktes kommt der Ausstellung „Einander sehen“ eine besondere Bedeutung zu, meint Andreas Renz, der die Schau als Beauftragter des Erzbistums München und Freising für den interreligiösen Dialog mitorganisiert hat, im Interview.

Paul Hasel: Welches Ziel verfolgen Sie mit der Kalligraphie-Ausstellung?
Andreas Renz: Dialog wird ja oft verkürzt auf das Miteinander-Sprechen. Natürlich ist diese Form des Dialogs wichtig, wenn wir über Fragen des Glaubens sprechen. Aber ebenso wichtig ist es, sich ganzheitlich zu begegnen. Dazu gehören alle Sinne, die wir haben. Auch das Sehen. Deswegen muss man den Dialog ebenso auf der ästhetischen Ebene führen. Wir hatten 2021 schon eine Ausstellung mit dem Künstler Shahid Alam. „Gott ist schön. Gott liebt die Schönheit“ war damals der Titel der Schau. Das ist ein Ausspruch aus der islamischen Tradition, der bei uns im Christentum nicht so deutlich zum Ausdruck kommt. Auf diese Ausstellung gab es viele positive Rückmeldungen, was uns dazu veranlasst hat, noch einmal etwas mit dem Kalligraphen Shahid Alam zu machen. Dieses Mal lautet das Motto der Ausstellung „Einander sehen“. Dabei wollen wir die Begegnung und das Einander-Wahrnehmen ins Zentrum stellen, um herauszufinden, wie der andere einen sieht. Das soll uns dann auch dazu anregen, sich selbst neu zu sehen. Das ist das Ziel der Ausstellung.

Shahid Alam ist nicht irgendein Kalligraphie-Künstler. Was zeichnet ihn aus?
Renz: Shahid Alam gehört tatsächlich zu den bekanntesten Kalligraphen in der islamischen Welt. Er kommt aus Pakistan, lebt aber schon seit über 50 Jahren in Deutschland. Er stammt aus einer traditionellen Kalligraphen-Familie, hat aber erst hier bei uns sein kalligraphisches Werk begonnen. Es ist ihm persönlich ein großes Anliegen, mit seinen Werken Brücken zu bauen und über diese ästhetische Erfahrung Menschen für den Dialog zwischen den Religionen zu interessieren. Und weil die Ausstellung vor drei Jahren gut angekommen ist, hat er erneut zugesagt, seine kalligraphischen Künste einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Welche Inhalte setzt Shahid Alam kalligraphisch um?
Renz: Zu sehen sind kalligraphisch gestaltete Texte in arabischer Schrift aus Thora, Neuem Testament und Koran auf Holztafeln, Papier und Glas. Auch Texte großer deutscher Dichter wie Goethe, Schiller oder Rilke setzt Shahid Alam in arabischer Übersetzung kalligraphisch eindrucksvoll in Szene. Mich hat besonders die Darstellung des Alif fasziniert, das ist der erste Buchstabe des arabischen Alphabets. Das Alif ist Sinnbild für den Anfang der Schöpfung. Die Botschaft dabei ist, dass wir alle Geschöpfe des einen Schöpfergottes sind und Verantwortung haben für unsere Schöpfung. Am meisten angesprochen hat mich aber, dass Shahid das Kreuz Jesu darstellt. Das ist für einen muslimischen Künstler absolut ungewöhnlich. Allerdings zeigt der Künstler nicht den Corpus Christi, sondern er legt auf das Kreuz den arabischen Namen von Jesus, Isa. Das berührt mich als Christen sehr, weil es im Koran heißt, dass Jesus von seinen Gegnern gekreuzigt werden soll, es ihnen aber nicht gelungen sei, weil Gott eingegriffen und Jesus gerettet habe. Es ist natürlich eine andere Botschaft als die aus dem Neuen Testament, in der Jesus durch das Kreuz zur Auferstehung gelangt. Trotzdem halte ich die Darstellung für beachtenswert, sie ist für christliche Besucher sicher sehr ergreifend.

Der Gaza-Krieg und der Nahost-Konflikt polarisieren die Menschen in unserem Land mehr denn je. Ein gemeinsames Friedensgebet in München wurde bereits abgesagt. Welche Bedeutung hat die Ausstellung aus Ihrer Sicht in diesen politisch unruhigen Zeiten?
Renz: Wir haben die Ausstellung bewusst nicht alleine initiiert, sondern gemeinsam mit der jüdischen Janusz-Korczak-Akademie und dem Münchner Forum für Islam. Verschiedene Gesprächsfäden sind zwischen jüdischer und muslimischer Seite bereits abgerissen, bei diesen beiden Institutionen ist das Vertrauen aber weiterhin da, weil es über viele Jahre hinweg aufgebaut worden ist. Wir hoffen, dass durch diese Ausstellung das gegenseitige Vertrauen weiter vertieft werden kann. In Begleitveranstaltungen kommen zum Beispiel jüdische und muslimische Menschen in Form von Lesungen oder musikalischen Darbietungen zu Wort. Uns ist klar, dass wir die politischen Probleme nicht lösen können. Trotzdem ist mit den Kalligraphien eine Botschaft verbunden: dass Frieden möglich ist, wenn wir das wollen. Zum Beispiel wird die jesuanische Feindesliebe oder die „Ode an die Freude“ von Schiller kalligraphiert. Hinter beiden steckt die universale Friedensbotschaft, dass alle Menschen Geschwister sind. Wir hoffen, dass auf diese Art und Weise ein Akzent gesetzt werden kann gegen die Polarisierung in unserer Gesellschaft und die Kriege, die es weltweit gibt.
Die interreligiöse Kalligraphie-Ausstellung „Einander sehen“ in der Münchner Karmeliterkirche ist eine Kooperation des Fachbereichs „Dialog der Religionen“ im Erzbischöflichen Ordinariat und der Freisinger Domberg-Akademie. Sie ist bis 09. Juni täglich von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung gibt es ein vielfältiges Rahmenprogramm, unter anderem einen Workshop mit dem Kalligraphie-Künstler Shahid Alam am 25. Mai. Alle wichtigen Informationen zu den Begleitveranstaltungen finden sich auf der Homepage der Domberg-Akademie.