Fünf Skurrilitäten aus der Zeit-Geschichte
Wenn die Uhrenumstellung wieder ansteht, lohnt sich ein Blick in die kuriose Geschichte der Zeitmessung.
Alles zu seiner Zeit, weiß schon die Bibel. Nun schlägt wieder die Stunde der Uhrenumstellung. Das mag manchen stören – doch immerhin braucht man heute anders als früher keine Chronometer mit zwei Ziffernblättern mehr.
Nun ist das Gestöhne wieder groß: Die nächste Zeitumstellung naht, am letzten Oktober-Wochenende werden die Uhren um 3 auf 2 Uhr zurückgedreht, die (künstliche) Sommerzeit weicht wieder der Winterzeit, die auch als wahre Ortszeit oder Normalzeit bezeichnet wird. Vielen Menschen geht das Hin und Her der Stunden auf den Zeiger, sie klagen über Biorhythmus-Störungen. Ein Blick in die Geschichte mag trösten. Denn früher war längst nicht alles besser, jedenfalls nicht in Sachen Zeitumstellung.
Davon weiß Caroline Rothauge zu berichten. Die Historikerin ist Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Jüngst hat sie den „Prix Gaia“ erhalten, der als „Nobelpreis der Uhrenindustrie“ gilt. Der Preis wird jährlich vom weltgrößten Uhrenmuseum verliehen, dem Musee international d’horlogerie im schweizerischen La Chaux-de-Fonds. Rothauge bekam die Auszeichnung für ihre umfassende Forschung über die Geschichte der Zeit und ihrer Messung. Die Wissenschaftlerin hat nun fünf Skurrilitäten aus der Zeit-Geschichte zusammengetragen:
„Auf ein paar Stunden kommt es nicht an“
1. Sinn und Zweck der Einführung einer Einheitszeit wurden im Deutschen Kaiserreich Ende des 19. Jahrhundert ausgiebig diskutiert. Hochrangige Politiker wie Leo von Caprivi waren davon alles andere als überzeugt. Als Reichskanzler und Präsident des preußischen Königlichen Staatsministeriums zeigte er sich noch 1891 unbeeindruckt von den Argumenten von Eisenbahnbeamten und Militärs. Truppendispositionen würden durch das Rechnen in unterschiedlichen Ortszeiten nicht beeinträchtigt. „Der Transport von Armeekorps von einem Kriegsschauplatz auf den anderen“ nehme doch Tage in Anspruch, da werde es „selbst auf ein paar Stunden nicht ankommen“, so Caprivi.
2. Schul- und Gerichtsuhren wurden um 1900 oft um zehn bis 15 Minuten zurückgestellt, um das rechtzeitige Erscheinen von Schülern und Schülerinnen oder vorgeladener Personen zu gewährleisten. Auch stellte man die öffentlichen Uhren in vielen Städten im Vergleich zu der auf den Bahnhofsuhren angezeigten Zeit um fünf bis 15 Minuten vor, damit Reisende ihren Zug nicht verpassten. Parallel zu lokalen Ortszeiten wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts nämlich zunächst regionale „Bahn-“ beziehungsweise „Normalzeiten“ eingeführt und 1893 deutschlandweit die „Mitteleuropäische Zeit“. Zum Überblick wurden Uhren mit zwei Zifferblättern oder mit zwei Minutenzeigern ersonnen.
Hast am Herd
3. Ebenfalls um 1900 hatten Ratgeber Konjunktur, darunter solche, die eine zeitgenössisch als „zweckmäßig“ bezeichnete Zeiteinteilung propagierten. In Kochbüchern finden sich Hinweise auf „schnell zu machende Speisen“ und es gab Publikationen wie die „Vierzig-Minuten-Küche“. Doch Hast am Herd schmeckte nicht jeder und jedem. So warnte ein Haushaltsratgeber aus dem Jahr 1900: „Bei der Zubereitung der Speisen tut man gut, nicht zu vergessen, daß verlorene Zeit in der Küche nicht wieder durch Eile eingebracht werden kann.“
4. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich eine Vielzahl von Akteuren für eine Reform des Gregorianischen Kalenders ein, im Kaiserreich auch die Deutsche Evangelische Kirchenkonferenz. Radikalere Vorschläge wie der eines „Industrie-Kalenders“, der 13 Monate zu fast immer 28 Tagen für ein Jahr vorsah, erzielten keinen breiten Konsens. Aber eine Mehrheit der Reformwilligen konnte sich auf eine Festlegung des Osterfests einigen. Es sollte fix auf den ersten Sonntag nach dem 4. April fallen. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch am Widerstand von orthodoxer und katholischer Kirche. Unter anderem deswegen ist Ostern bis heute beweglich.
Eine eigene Zeit als Machtdemonstration
5. Nach dem Zweiten Weltkrieg existierten in Deutschland mehrere offizielle Einheitszeiten – je nach Besatzungszone. Hinzu kamen jeweils unterschiedliche Sommerzeiten mit divergierenden Anfangs- und Enddaten, die zum Teil um ganze zwei Stunden von der Mitteleuropäischen Zeit abwichen. Diese Zustände wurden als chaotisch wahrgenommen, von vielen Deutschen aber auch deshalb abgelehnt, weil sie sie als Machtdemonstration der Besatzer begriffen. Nach ihrer Gründung schafften beide deutsche Staaten diese Sommerzeit-Regeln ab. In Bundesrepublik und DDR traten erst 1980 wieder Sommerzeit-Verordnungen in Kraft.
Und heute? Wird sich zeigen, wie lange die Zeitumstellung noch bestehen bleiben wird. Denn inzwischen gibt es in der EU Bestrebungen, sie abzuschaffen. Kommt Zeit, kommt Rat ...
Christopher Beschnitt