Kultur und Wissen
20.08.2024

„Ehrfurcht vor Gott": Ein vergessenes Bildungsziel im Fokus

Bei einer Veranstaltung im Münchner Literaturhaus haben der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer und sein Mitarbeiter Thomas Gottfried ihr neues Buch mit dem Titel „Ehrfurcht vor Gott. Über das wichtigste Bildungsziel einer modernen Gesellschaft“ vorgestellt. Die Autoren beabsichtigen damit, eine neue Wertediskussion anzuregen.

v.l.: Pfarrer Rainer Maria Schießler, Thomas Gottfried, Martin Goppel (KEG), Joachim Herrmann (CSU) und Prof. Dr. Klaus Zierer bei der Buchvorstellung in München. v.l.: Pfarrer Rainer Maria Schießler, Thomas Gottfried, Martin Goppel (KEG), Joachim Herrmann (CSU) und Prof. Dr. Klaus Zierer bei der Buchvorstellung in München. Foto: © SMB

„Ehrfurcht vor Gott“ ist ein Prinzip, das in den Verfassungen vieler deutscher Bundesländer verankert ist. Besonders die Bayerische Verfassung hebt diesen Aspekt seit 1946 als eines der obersten Bildungsziele hervor. Laut Pfarrer Rainer Maria Schießler, der das Geleitwort des Buches verfasst hat, meint Ehrfurcht vor Gott „Ehrfurcht vor dem Leben. Es heißt, dass es keine Lebensform und keine Lebensart gibt, die mir nicht Respekt abgewinnen würde, sofern sie nicht die Freiheit des anderen ein- oder begrenzt.“

In der heutigen Zeit, in der religiöse Themen oft ins Abseits gedrängt werden, scheint der Begriff für viele an Bedeutung verloren zu haben. Zu altmodisch für manche der Ehrfurchtsbegriff, zu unwichtig für andere der Glaube an Gott. Dies gilt jedoch nicht für die Autoren Zierer und Gottfried, für die dieses Bildungsziel auch in einer zunehmend säkularen Gesellschaft aktueller ist denn je. Zwar seien weite Teile der modernen Gesellschaft davon überzeugt, dass Glaube keine Rolle mehr spielt, doch das sei ein Irrtum: Viele der heutigen Herausforderungen und Konflikte hätten auch einen religiösen Hintergrund, argumentiert Zierer. 


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Zustimmung zum Bildungsziel sinkt

„Wir verkennen, dass die Auseinandersetzung mit Ehrfurcht vor der Natur, vor der Schöpfung und vor Gott eigentlich das Fundament einer aufgeklärten Gesellschaft ist, denn wir können nur dort Erkenntnisse sammeln, wo Ordnung besteht, wo etwas Höheres erkennbar ist, anders gesagt: wo auch Gott sichtbar ist“, so der Hochschullehrer, der den Fokus auf „Ehrfurcht vor Gott“ deshalb für zeitgemäß hält. Die Zustimmung zu diesem Bildungsziel sei bei seinen Lehramtsstudierenden in den vergangenen Jahren immer mehr gesunken, gibt Zierer zu. Diese könnten jedoch mit einem verbesserten Verständnis von Begriffen wie „Ehrfurcht“ und „Gott“ von der Bedeutung des Prinzips überzeugt werden.

Dazu könnte auch das Buch beitragen, in dessen Mittelpunkt die Überzeugung steht, dass „Ehrfurcht vor Gott“ weit über die Grenzen religiöser Erziehung hinausgeht. Es ist eine Haltung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – nicht nur in seiner Beziehung zu Gott, sondern auch zu seiner Umwelt und zu seinen Mitmenschen. Die Ehrfurcht fördere eine tiefe Wertschätzung für das Leben und die Schöpfung und bilde damit eine Grundlage für ein verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Handeln. 

Reform des Religionsunterrichts gefordert

Die Autoren plädieren dafür, dieses Ziel wieder stärker in den Bildungsauftrag von Schulen zu integrieren, um eine stabile moralische Basis zu schaffen, auf der junge Menschen ihr Leben aufbauen können. Dem Religionsunterricht, dem die Autoren eine „Identitätskrise“ attestieren, kommt dabei aufgrund der inhaltlichen Nähe zur „Ehrfurcht vor Gott“ eine Leitfunktion zu, er soll künftig stärker an den Qualitätskriterien der empirischen Bildungsforschung ausgerichtet werden.

Schlüssel liegt im interreligiösen Dialog

Bei der Buchvorstellung äußerte sich auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann zur Bedeutung des Bildungsziels und betonte, dass „Ehrfurcht vor Gott“ nicht nur eine religiöse, sondern auch eine demokratische Dimension habe. Das Bildungsziel sei überkonfessionell zu verstehen und schließe die Achtung der Menschenwürde sowie der religiösen Überzeugungen anderer ein. Den Schlüssel zur Erreichung dieses Bildungsziels sieht Herrmann im interreligiösen Dialog: „Die Bürgerinnen und Bürger, gleich welcher Religion, müssen wissen und verstehen, was in Kirchen, Synagogen und Moscheen passiert“.

Insbesondere jungen Menschen müsse der Respekt vor Gläubigen beigebracht werden, auch wenn sie selbst nicht an einen Gott glauben. Dies sei wichtig für den gesellschaftlichen Frieden. Herrmann nahm dabei Bezug auf die Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus, in der der Respekt vor Andersgläubigen gefehlt habe, woraufhin als eine der Lehren daraus die „Ehrfurcht vor Gott“, neben der „Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen“, ihren Weg in die Verfassung fand. Diese Bildungsziele gelten also nicht nur für Gläubige, sondern für alle Bürger, wie auch die gesamte Verfassung für alle Bürger gilt.

Zum Nachlesen
Zierer, Klaus; Gottfried, Thomas Ehrfurcht vor Gott
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Wanja Ebelsheiser
Artikel von Wanja Ebelsheiser
Volontär
in einer Redaktion des Magazins „Innehalten“