Mehr als nur Buchstaben schreiben
Die Handschrift geht verloren
Heißt es „Fata“ oder „Vater“? Schreiben will gelernt sein, macht aber immer mehr Kindern Probleme. Nicht nur, was die Rechtschreibung angeht, sondern auch der Schreibakt selbst. Am 23. Januar ist „Tag der Handschrift“.

Die gewellte Linie nachfahren, mal hoch, mal herunter, mit möglichst gleichmäßigem Druck auf dem Stift: Schwungübungen wie diese können bereits ein Kita-Kind auf das Schreiben in der Schule vorbereiten. Aber auch das freie Ausprobieren mit Zettel und Malstift gehört dazu: „Was zunächst einmal wie wildes Krickelkrakel aussieht, ist der Startpunkt für die Entwicklung einer individuellen Handschrift“, sagt Tal Hoffmann, Leiterin des Schreibmotorik-Instituts. Diese entwickelt sich demnach bereits ab einem Alter von etwa drei Jahren, wenn Kinder das erste Mal zu Stiften greifen und mit dem Kritzeln beginnen.
Mit der Hand auf Papier zu schreiben – eine Grundfertigkeit wie die Uhr lesen und den Schuh zubinden zu können – lässt allerdings genau wie diese Fähigkeiten immer mehr nach. Zum „Tag der Handschrift“ am 23. Januar machen Verbände und Pädagogen darauf aufmerksam: Jedes dritte Mädchen und jeder zweite Junge kämpft laut Studien mit einer unleserlichen Schrift oder einer verkrampften Stifthaltung. Auch das Schreibtempo hat demnach nachgelassen: 79 Prozent der Lehrkräfte berichten von verschlechterten Kompetenzen von Schulanfängern beim Handschreiben, so das Ergebnis der STEP-Studie 2022, die das Schreibmotorik-Institut gemeinsam mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) durchgeführt hat.
Schreibprobleme lösen sich nicht von selbst
„Probleme mit dem Handschreiben beginnen bereits im Kindergartenalter und verflüchtigen sich leider meistens nicht einfach von selbst, sondern bleiben über die Schulzeit hinweg bis ins Berufsleben bestehen, wenn keine gezielte Förderung stattfindet“, erklärt Hoffmann. Dies werde immer wichtiger, da viele Kinder zu Hause nicht die nötige Unterstützung erfahren – sei es, weil die Eltern ebenfalls nur wenig mit der Hand schreiben oder aus Kulturen mit anderen Schriftsprachen zugewandert sind.
Doch warum muss man überhaupt selbst mit Hand und Stift Buchstaben und Wörter produzieren können? Reicht im Zeitalter der Digitalisierung nicht das Tippen und Wischen auf dem Smartphone oder Tablet? „Durch die Feinmotorik beim Schreiben werden Verknüpfungen im Gehirn geschaffen, die für das Denken grundlegend sind“, sagt Stephanie Ingrid Müller, Leiterin des Mediastep-Instituts in Erlangen. Dafür seien auch die ersten sechs Lebensjahre maßgeblich.
Feinmotorik an Sprachentwicklung gekoppelt
Erwiesen sei etwa, dass man sich Dinge, die man selbst mit der Hand geschrieben habe, besser merken könne. „Das Schreiben mit der Hand ist die hochkomplexeste Feinmotorik, die wir Menschen überhaupt entwickeln können. Und sie ist an die Sprachentwicklung gekoppelt“, so Müller, die auch Lehrkräfte aus- und fortbildet und Eltern zum Schreibenlernen berät. „Wenn ich die Sprache nicht gut kann, dann werde ich auch nicht gut schreiben können. Die zwei Komplexe – also die neuronalen Areale, die für Sprache im Gehirn zuständig sind und die, die für Feinmotorik zuständig sind – müssen im frühen Kindesalter beide entwickelt werden und sich dann Richtung Schule miteinander verknüpfen“, erklärt sie.
Wichtige Bedingung für die feinmotorische Entwicklung sei die grobmotorische Entwicklung, also Bewegung im Kleinkindalter. „Das baut sich auf wie ein Haus: Diese verschiedenen Bewegungen differenzieren sich, greifen ineinander und am Schluss kann sich die Feinmotorik der Hand auch entwickeln.“ Sowohl grob- als auch feinmotorische Fertigkeiten ließen bei Kindern allerdings mehr und mehr nach; etwa stolperfrei rückwärts gehen könnten die wenigsten. „Die Kinder sind nicht schlechter geworden, die bringen alles mit auf die Welt. Es liegt an den Settings“, so Müller.
Handschrift wird nicht wieder verlernt
Außerhalb der Schule werde kaum noch mit der Hand geschrieben; allerorten tippen die Menschen in Handys, Laptops oder Tablets. Tippen oder Wischen könne den komplexen Vorgang des Schreibens mit der Hand aber nicht ersetzen, so die Pädagogin, die auch Digitalcoachin des Bayerischen Sozialministeriums ist.
Wer einmal richtig gelernt habe, mit der Hand zu schreiben und dies auch angewendet habe, verlerne das nicht mehr, sagt sie. Aber die Kinder, wie sie jetzt heranwachsen, „die haben das noch nicht im Gehirn als Spur“. Beim Tippen und noch mehr beim Wischen würden viel weniger Fingerbewegungen benötigt als beim Schreiben auf Papier. Dieser Bewegungsablauf sei sehr viel komplexer und setze ein „neuronales Feuerwerk“ in Gang.
Sieben verschiedene Schriftarten an Schulen
Was die Sache nicht einfacher macht: die uneinheitlichen Schriftarten, die an Deutschlands Schulen gelehrt werden. „Wir lehren in 16 Bundesländern sieben verschiedene Arten zu schreiben. Wenn ein Kind das Bundesland oder sogar nur den Wohnort wechselt, muss es unter Umständen eine neue Schrift lernen“, kritisiert die Expertin.
Sie plädiert auch für ein Umdenken beim Schreibenlernen: Bis in die 1980er Jahre lernten die Kinder zunächst die verbundene Schrift. Mitte der 1980er Jahre änderte sich das. „Damals nahmen die Printmedien zu und dann hat man immer mehr Flyer und Plakate und was auch immer gedruckt. Und man dachte, es sei einfacher, den Kindern erst die Druckschrift und dann die verbundene Schrift beizubringen. Das war eine Fehlentscheidung“, findet Müller.
Kein Aufsatz ohne Rechtschreibkünste
Die verbundene Schreibschrift bilde die Sprache ab: „Wer sie kann, der hat überhaupt kein Problem, die viel einfachere Druckschrift zu lernen. Umgekehrt ist es aber hochproblematisch.“ In Verbundschrift werde die Sprache in Silben geschrieben. „Das entspricht unserer Sprache, weil wir in Silben sprechen, und so sollten die Kinder das ja auch in der Schule lernen.“ Zudem merke sich das motorische Gedächtnis die verbundene Schreibbewegung besser.
Müller wendet sich auch dagegen, die Kinder etwa in der ersten Klasse in ein Aufsatzheft schreiben zu lassen, ohne dass die Rechtschreibung dabei eine Rolle spiele: Man wolle den Kindern damit die Freude am Schreiben erhalten, so das Argument für dieses Konzept, das in vielen Schulen üblich ist. Müller ist anderer Meinung: „Man sollte von Anfang an lernen, wie ein Wort richtig geschrieben wird. Sonst werden im Gehirn die neuronalen Verknüpfungen falsch verdrahtet. Das kann lebenslange Rechtschreibprobleme zur Folge haben.“
(Nina Schmedding/KNA)