Melanie Wolfers - Was die Zuversicht nährt - Folge 4
Im Großen und Ganzen verbunden
Spirituelle Gedanken und Texte aus Melanie Wolfers Buch "Zuversicht - Die Kraft, die an das Morgen glaubt".
Kaum etwas spendet mehr Zuversicht und stiftet so viel Sinn und Halt wie Spiritualität und Glaube! Viele erfahren eine spirituell geübte Aufmerksamkeit als Kraftquelle. Insbesondere in Krisenzeiten erleben sie es als heilsam, sich immer wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren: den Duft eines geliebten Menschen einatmen, die Sterne betrachten, den Geschmack eines knusprigen Brotes genießen, in die Stille eintauchen.
Blick in die Zukunft
Während in schweren Zeiten der Blick in die Zukunft mit Sorgen erfüllt, holt einen die Präsenz im Augenblick aus der Grübelschleife heraus. Manchmal blitzt in solchen Augenblicken das Wunder des schlichten Da-seins auf: die staunenswerte Tatsache, dass ich gerade jetzt am Leben bin, und welch großes Geschenk das Lebendigsein darstellt. Und wer präsent ist, ahnt bisweilen, in der Gegenwart von etwas Größerem zu sein; im göttlichen Jetzt. „Der Augenblick ist das Gewand Gottes“, formuliert der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber.
Darin liegt eine spirituelle Grunderfahrung, die viele Religionen miteinander verbindet, die aber auch zahlreiche Menschen machen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen: Ich spüre, in diesem Universum nicht allein auf mich gestellt zu sein, sondern weiß mich verbunden mit einem großen Ganzen. Ich bin eingebettet in einen Zusammenhang, der über alles Begrenzte hinausreicht. Ich lebe in einer unsichtbaren Ordnung, deren Mitte nicht ich selbst bin. Und ich kann einen unermesslichen Sinn erfahren, wenn ich mit dieser Mitte in Verbindung stehe.
Mit Gott auf Du und Du stehen
Natürlich: Eine solche Resonanz-Erfahrung lässt sich kaum in Worte fassen! Die christliche Tradition glaubt, dass der göttliche Zusammenhang, in den wir eingebettet sind, „Liebe“ heißt. Dass diese Liebe ansprechbar ist. Und dass wir von der Liebe Angesprochene sind. Wir also mit Gott auf Du und Du stehen. So verschieden die religiöse Grunderfahrung auch benannt wird, sie kann deutlich machen: Unser Dasein ist letztlich ein Geschenk. Leben, Atmen und Fühlen sind alles andere als selbstverständlich! Geht einem dies auf – und zwar nicht nur intellektuell, sondern auch emotional und existenziell –, kann dies ein wirklich tiefes Empfinden von Hoffnung und Zuversicht wachrufen. Es ist bemerkenswert, dass die Bibel in der Hoffnung ein Kennzeichen und Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens sieht. Was meint christliche Hoffnung? Und wie verändert sie den Umgang mit Krisen?
Christliche Hoffnung
Der christlichen Hoffnung wird oft unterstellt, dass sie wie ein Tranquilizer eingesetzt wird, um Angst oder Kummer zu betäuben oder um die Hände in den Schoß zu legen. Und in der Tat: Sie kann auf diese Weise missbraucht werden, und die Geschichte hält genügend Beispiele dafür parat. Doch recht verstanden setzt die christliche Hoffnung den entgegengesetzten Impuls frei! Drei Hinweise dazu: Als Erstes zeigt ein Blick in die Bibel, dass die christliche Hoffnung kein billiges Trostpflaster auf die Wunden der Welt klebt. Vielmehr hat sie den Schmerz des Lebens und die Ohnmacht des Sterbens ungeschminkt vor Augen. Ja, selbst das letzte Wort jenes Menschen, von dem die Christinnen und Christen glauben, dass er in tiefster Verbundenheit mit Gott gelebt hat, ist ein markerschütternder Schrei zum Himmel: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, ruft Jesus in der Dunkelheit seines Sterbens. (Markus 15,34)
Zugleich drückt die Bibel in ver-schiedenen Bildern die Hoffnung auf Auferstehung, auf ein „Leben in Fülle“, ein „Leben in Gott“ aus. Wie diese Wirklichkeit aussieht, weiß niemand, und alle Bilder bleiben vage Versuche, diese Hoffnung auszudrücken. Doch dass unser endliches Leben mit seiner Schönheit und seinem Schrecken im Unendlichen geborgen ist – darin kommen die biblischen Bilder überein. Und darin findet der christliche Glaube seine Mitte. Eine solche Hoffnung wirkt wie ein Licht, das hilft, sich der ängstigenden Dunkelheit zu stellen, und das einen neuen Morgen verspricht.
Solidarität ist der menschlichste Ausdruck des Glaubens
Drittens: Die Hoffnung auf Auferstehung bietet keinen Weg an, Not und Ausweglosigkeit, Leiden und Sterben theoretisch zu verstehen. Sie kann aber einen Weg eröffnen, diese zu bestehen – und das vor allem in solidarischer Sorge um diejenigen, die um ihr Leben betrogen werden und vom Leid am meisten betroffen sind. Denn aus christlicher Perspektive ist Solidarität der menschlichste Ausdruck des Glaubens. Darauf macht Jesus mit seiner überraschenden Erzählung aufmerksam, worauf es am Lebensende ankommt: Es wird nicht gefragt, welche Glaubenssätze man im Kopf, sondern ob man für andere ein Herz hatte. (vgl. Matthäus 25,31–46)
Es wird nicht gefragt, zu welcher Religion oder Kultur man gehört, sondern ob man sich als Mitglied der einen universalen Menschheitsfamilie verstanden und entsprechend gelebt hat. Die christliche Hoffnung geht mit der Weigerung einher, Leid und Unrecht als schicksalhaftes „So ist es eben und so war es immer“ hinzunehmen. Sie wirkt wie ein Anti-Resignativum, das vor Bequemlichkeit oder falscher Gelassenheit bewahrt.