Achtsamkeit
04.10.2025

Ein Präsident, der die Stille raubt

Ohne die sozialen Medien und das Fernsehen hätte es Donald Trump wohl nie an die Spitze einer Weltmacht geschafft – ohne politisches Programm und trotz oder sogar wegen seiner Skandale und offensichtlichen Lügen. Er versteht es eben meisterhaft, andere Menschen nicht in Ruhe zu lassen und aufzuregen. Auch bei unserem Kolumnisten Alois Bierl gelingt ihm das viel zu oft.
    

Es ärgert mich selbst. Aber vor dem Schlafengehen schaue ich doch noch einmal auf den einschlägigen Nachrichtenseiten nach, was insbesondere der US-amerikanische Präsident so von sich gegeben hat. Und wieder einmal bin ich dann auf seine Masche hereingefallen. Denn Donald Trump handelt ja nicht nach einer schlüssigen politischen Logik, sondern nach einer Medienlogik: Mit irgendetwas muss er ständig auf den Bildschirmen auftauchen. 

Er ist gleichzeitig Programmdirektor, Nachrichtenredakteur und Talkmaster im Gespräch mit sich selbst. Medien leben davon, dass sie ständig mit einer Überraschung um die Ecke kommen – und das versteht der durch das Fernsehen groß gewordene Präsident meisterhaft. Egal, wie absurd oder widersprüchlich die Botschaften sind, sie sichern ihm die Aufmerksamkeit, die er krankhaft zu benötigen scheint. Dass er dabei unberechenbar ist, gehört zu seinem Geschäftsmodell, denn sein Publikum kann immer unvorhersehbare Kehrtwendungen erwarten. Auf seine Art ist er ein Master of Suspense, ein Meister der Spannung, auch wenn seine Masche vulgär und billig ist. 

Manchmal wundere ich mich und bin beschämt, darauf immer noch hereinzufallen. Dabei ist dem Präsidenten panische Ablehnung genauso willkommen wie begeisterte Zustimmung. Schließlich sind die Algorithmen der großen Klick-Konzerne so angelegt, dass sich die Verbreitung vervielfacht, wenn die Nutzer etwas in Wallung bringt.

Bösartigkeit gehört zum Big Business

Etwas Besseres als die zwanghafte Neigung eines Präsidenten, ständig etwas scheinbar Spektakuläres, für gewöhnlich aber nur Bösartiges, Gehässiges und Verwirrendes in die Welt hinauszublasen, kann dem Big Business der sozialen Medien also gar nicht passieren. Er bedient zuverlässig das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Aufregung. Da kommt dann einmal ein KI-generiertes Bild als Papst Donald heraus, die Annexion Grönlands oder die Prahlerei, dass er einen viel größeren roten Atombombenknopf habe als der little rocket man, der kleine Raketenmann in Nordkorea. Den findet er eine Zeit lang danach wiederum ganz sympathisch und ziemlich fähig.

Genüsslich und scheinbar naiv schürt der große rocket man aus dem Weißen Haus gleichzeitig Unsicherheiten, Ängste und Machtphantasien seines Publikums. Die garantieren ihm, dass auch sein nächster Post auf X begierig erwartet und verbreitet wird und die Öffentlichkeit vor sich her treibt. Er entfesselt Leidenschaften, die Futter für ideologische Extremisten sind, die er oft gar nicht ernst zu nehmen scheint. Hauptsache, sie erledigen sein Geschäft, ständig im Mittelpunkt zu stehen.
     

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Philosoph Blaise Pascal gegen
Präsident Donald Trump

Und ich tue ihm vor dem Schlafengehen auch noch den Gefallen, mich über ihn zu ärgern und seine Interessen zu bedienen – einfach dadurch, dass ich diesem Mann meine Aufmerksamkeit zuwende und glaube, dass ich ständig über ihn auf dem Laufenden sein muss.

Neulich bin ich in einem Buch wieder auf den angestrichenen Satz des französischen Philosophen Blaise Pascal gestoßen. Ein ziemlich einfacher Satz: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Im 21. Jahrhundert heißt das auch, dass sie nicht einfach ihre Endgeräte ausschalten können, ohne sofort auf Entzug zu sein und verzweifelt Stoff für den nächsten Schuss zu suchen. 

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Ich merke ja selbst, wie schwer das ist. Pascal gibt auch keinen Hinweis, wie das geht, ruhig in seinem Zimmer zu bleiben. Mir gelingt es am besten, wenn ich mich einfach dem Wunsch nach Stille und Untätigkeit überlasse und mir sage: Nein, du räumst jetzt nichts auf, schlägst stattdessen auch keine Zeitung auf, blätterst nicht in einem Buch, hörst keinen Podcast und verlierst dich keinesfalls beim Tippen und Wischen auf deinem Handy, das ich dann in einer Schublade wegsperre. Wie von selbst geht der Atem dann ruhiger, der Blick aus dem Fenster wird aufmerksamer und das Gehör schärfer, ohne angestrengt zu sein. 

Dann merke ich, was für ein kostbares und auch immer knapper werdendes Gut die unaufgeregte Stille ist – ein unschätzbares Seelenkapital, das mir Donald Trump abgaunern möchte, damit dann Platz für ihn und sein geltungssüchtiges Ego ist, das andere zwingen will, sich ständig mit ihm zu beschäftigen. Und ich freue mich über jeden „langweiligen“ Abend, an dem ihm das nicht gelingt und ich einfach ruhig in meinem Zimmer sitze.

Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter und Kolumnenautor
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.