Achtsamkeit
30.03.2024

Arbeit und Spiritualität: Gottes Spuren im Berufsalltag entdecken

Der Berufsalltag von Gunther Bös, Personalleiter in der Automobilindustrie, ist oft ziemlich hektisch und unübersichtlich. Wie Spiritualität für ihn zu einem inneren Kompass wird und wie er diese im Beruf zu praktizieren sucht, können Sie hier lesen.

Foto: © Thorben_AdobeStock

Vor vielen Jahren erlebte ich, wie ein junger Muslim in der Personalabteilung nachfragte, ob er in seinen Schichtpausen den Gebetsteppich am Arbeitsplatz ausrollen und seine Tagesgebete verrichten dürfe. Die Anfrage wurde abgelehnt. Heute stellen Unternehmen eigene Ruheräume zur Verfügung. Wer will, findet jetzt Rückzugsmöglichkeiten für spirituelle Übungen und Gebete.

Spiritualität und Glaube waren als Tabuthemen lange aus der Arbeit ausgesperrt. Dann kam neben der physischen die psychische Gesundheit in den Fokus betrieblichen Gesundheitsmanagements. Seitdem werden arbeitgeberfinanzierte Atemtechnik- und Meditationskurse angeboten. Viele Organisationen haben entdeckt, dass Sinnerfüllung im Job („Purpose“) wichtig ist. Manchmal führt das sogar bis zur Gleichsetzung vom Sinnfinden in der Arbeit mit dem Lebenssinn. Menschen aus dem Silicon Valley (Kalifornien) berichten, wie sie „ganz“, „spirituell" und „verbunden" wurden durch ihre Arbeit. Menschen „Seelennahrung bieten" benennt eine Personalverantwortliche den Kern der Personalarbeit.

Konsequente Trennung von Spiritualität und Arbeit auf der einen Seite – völlige Verschmelzung anderseits: Kann es einen mittleren Weg geben, in dem Spiritualität in der Arbeit gelebt werden kann, ohne den eigenen Glauben am Werktor abzugeben, aber auch ohne die Arbeit oder das Unternehmen selbst zur „Religion“ zu machen?


Anzeige

Was ist Spiritualität?

Für mich persönlich ist Spiritualität ist die Ausrichtung meines Lebens auf einen höheren Sinn. Spiritualität also als eine Art innerer Kompass, der mir die Richtung für mein Leben weist. Er gibt mir Antwort auf die Fragen: Woraus lebe ich? Woraufhin lebe ich? Wie lebe ich? Spiritualität kann mir helfen, Gott zu spüren und seine Liebe auch direkt zu empfinden.

Mein Arbeitsalltag ist meist ziemlich hektisch und oft unübersichtlich. Kein Wunder, dass ich mich da schon einmal verlaufe und die Ausrichtung aus dem Blick verliere. Dann hilft es mir, wenigstens einen Augenblick lang Zeit zu haben, um auf den Kompass zu schauen und mich neu zu orientieren.

Den Kompass der spirituellen Ausrichtung nutze ich nicht nur am Sonntag. Die göttliche Wirklichkeit schwebt nicht als „alter Mann mit weißem Bart“ über den Wolken, sondern lässt sich im Alltag entdecken.

„Gott in allem suchen und finden" formulierte Ignatius von Loyola (1491-1556), der Gründer des Jesuitenordens. Das gilt es jeden Tag umzusetzen, zum Beispiel in der Begegnung mit den Mitmenschen.

Ich bin ganz Ohr

Die Art und Weise, anderen Menschen zu begegnen, ist mir ein tägliches Übungsfeld geworden. Es beginnt mit der Qualität der Kommunikation. Während einer Videokonferenz Post abzuarbeiten und zu telefonieren – nach dem Motto „Lass die da doch reden“ – ist keine gelungene Kommunikation. „Liebende gegenseitige Mitteilung“ (wie Ignatius „Kommunikation“ definiert) zeigt sich in aufmerksamem und wohlwollendem Zuhören.

Schwieriger wird es bei Konflikten. Da heißt es dann, beim Streit über die Urlaubsplanung oder die Aufgabenverteilung im Team nicht über den konkurrierenden Kollegen oder die ungerechte Chefin zu reden, sondern mit ihm oder ihr. Es hilft, mir zunächst meine eigene Position und Bedürfnisse klarzumachen, dann die unangenehmen Vorgänge oder Störungen offen und auf Augenhöhe anzusprechen und schließlich in einen fragenden und suchenden Austausch zu gehen. Oft können so gute nächste Schritte gefunden werden.

Von Tiefenbohrungen und Stoßgebeten

Eine Kultur der Pausen unterstützt mich dabei, in vielen Momenten achtsamer und zugewandter sein zu können. Selbst in unserer schnelllebigen Zeit, bei einem dichtgedrängten Arbeitstag mit vielen Ablenkungen ist kurzes Innehalten, eine Raum-Zeit für Gott möglich: vor einem wichtigen Gespräch, einem Teammeeting oder einer Präsentation.

Die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl († 1964) bringt für dieses kurze Innehalten mitten im Alltag ein Bild: Sie spricht von einer „Tiefenbohrung“. Dabei kommt es nicht auf die investierte Zeit an, sondern auf die Intensität. Diese spontane Hinwendung zu Gott im Laufe des Tages ist jederzeit möglich. Es können auch „Stoßgebete“ vor einer schweren Situation sein, die daran erinnern, Erdung und Fundament zu haben.

In Krisen zeigt sich besonders deutlich, wie Menschen miteinander umgehen und von welcher inneren Haltung aus das geschieht. Im Zweifel gilt es, für die Menschen zu entscheiden und nicht für die Strukturen. Als einmal eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen im Unternehmen wegfiel, fragte ich mich als Personalverantwortlicher: Wie gehe ich mit den betroffenen Menschen um? Nehme ich ihre Sorgen ernst? Es bleibt eine sehr schwierige Situation für die Betroffenen. Ich versuchte, ihnen in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat aktiv zu helfen, eine passende Alternative im Unternehmen und wenn nötig außerhalb zu finden.

Mein spiritueller Werkzeugkasten

Um im Arbeitsalltag die Gegenwart Gottes zu erleben, bedarf es geistlich-meditativer Einübung („Exerzitien“). Meine Übungen nehme ich überwiegend aus dem spirituellen Werkzeugkasten der Jesuiten bzw. der ihnen nahestehenden Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL).

Eine Grundübung besteht darin, mit allen Sinnen wahrzunehmen: sehen, hören, riechen, schmecken, tasten. Eine besondere Aufgabe ist es, mit meinen eigenen Gefühlen in Berührung zu kommen. Wenn ich in einem Konflikt bin, kann ich spüren, dass Emotionen hochkochen. Beim Wiedersehen mit einem geliebten Menschen sind es ganz andere Gefühle wie etwa Freude, Leichtigkeit, Geborgenheit. Indem ich mit allen Sinnen und ohne Wertung wahrnehme, kann ich mehr bei mir sein und so auch besser mit anderen und letztlich mit Gott in Beziehung sein.

Eine besondere Aufgabe ist es, mit meinen eigenen Gefühlen in Berührung zu kommen.

Einmal im Jahr ziehe ich mich für ein paar Tage an einen stillen und abgeschiedenen Ort zurück, um schweigend den Lärm in mir abklingen zu lassen und das Wahrnehmen mit allen Sinnen zu üben. Oft sind diese spirituellen Schweigetage mit Erfahrungen innerer Klärung verbunden und einer spürbaren Vertiefung der Selbst- und Gottesbeziehung. Aber auch im Alltag nehme ich mir täglich Zeit zu meditieren. Die Meditation kann in Atemübungen, Betrachtung einer Bibelstelle oder einem kurzen Tagesrückblick bestehen.

Gemeinschaft bereichert und inspiriert

In der GCL als globaler Gemeinschaft von Menschen, die mitten im Beruf stehen und auf der Suche nach Gottesbegegnung sind, kann ich mich in regelmäßigen Gruppentreffen austauschen. Wenn wir einen beruflichen Erfolg feiern, nehme ich die Verbindung zwischen den Menschen und mit dem Geist der Lebendigkeit wahr. Wenn etwas schiefläuft, versuche ich es als Übungsfeld für mich zu sehen im Bewusstsein, von einem größeren Ganzen getragen zu sein. Ich schöpfe in der Gruppe immer wieder neue Kraft für meinen Berufsalltag.

Unterstützung bekomme ich auch von erfahrenen geistlichen Begleitern. Mit meinem Begleiter führe ich alle drei bis vier Wochen ein Gespräch, bei dem ich Erfahrungen auf meinem spirituellen Weg reflektieren kann und weiterführende Impulse erhalte.

Spiritualität bleibt ein Abenteuer

Es ist nicht immer einfach, den Willen Gottes zu erkennen: Was ist gut und stärkt mich auf dem Weg hin zu Gott? Was ist schädlich? Wechsel des Jobs, des Arbeitsortes, des Unternehmens sind wichtige Lebensfragen. Spiritualität kann bei der Unterscheidung der inneren Impulse und bei der Entscheidung helfen.

Das Einlassen auf die Spiritualität ist immer auch ein Abenteuer. Wenn ich die Übungen vollziehe, lasse ich mich überraschen von dem, was sich zeigt. Ich lasse mich führen. Dazu braucht es eine gute Portion Vertrauen in den Prozess und in den liebenden Gott.

Spiritualität und Arbeit müssen keine strikt getrennten Bereiche bleiben. In und mit der eigenen der Arbeit kann ich meinem Leben Sinn geben und am Schöpfungswerk Gottes mitwirken, ohne gleichzeitig die Arbeit absolut zu setzen und mich völlig in ihr zu verlieren. Wenn ich in der Arbeit immer wieder den tieferen Sinn spüren und mich gut mit den Menschen verbinden kann, dann bin ich Gott auf der Spur.

(Gunther Bös)

Dr. Gunther Bös
Artikel von Dr. Gunther Bös
Geschäftsführer und Personalleiter in der freien Wirtschaft; ehrenamtlicher geistlicher Begleiter in der katholischen Kirche