Persönlichkeitsentwicklung
18.11.2024

Hoffen und Bangen

„Da kann man nichts machen, ist der gottloseste aller Sätze“, sagte Dorothee Sölle. Doch was bedeutet christliche Hoffnung in Krisenzeiten? Hilft der Glaube, mit Leid und Unsicherheiten umzugehen und neue Kraft zu finden?

Foto: © nattapon – stock.adobe.com

Die Kraft der Sonnenblume beeindruckt mich – und zwar so sehr, dass sie sogar titelgebend wurde für mein Buch: „Zuversicht. Die Kraft, die an das Morgen glaubt“. Denn die Sonnenblume wendet sich noch in der Nacht in jene Richtung, wo die Sonne aufgeht. Ähnlich machen es Hoffnung und Zuversicht.

Christliche Hoffnung ist kein Trostpflaster

Es ist bemerkenswert, dass die Bibel in der Hoffnung ein Kennzeichen und Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens sieht. Ganz in diese Richtung weist auch Dorothee Sölles markante Aussage: Da kann man nichts machen, ist der gottloseste aller Sätze. Doch was meint christliche Hoffnung? Und wie verändert sie den Umgang mit Krisen?

Der christlichen Hoffnung wird oft unterstellt, dass sie wie ein Beruhigungsmittel eingesetzt wird, um Angst oder Kummer zu betäuben oder um die Hände in den Schoß zu legen. Und in der Tat: Sie kann auf diese Weise missbraucht werden, und die Geschichte hält genügend Beispiele dafür parat. Doch recht verstanden setzt die christliche Hoffnung den entgegengesetzten Impuls frei! Drei Hinweise dazu:

Als erstes zeigt ein Blick in die Bibel, dass die christliche Hoffnung kein billiges Trostpflaster auf die Wunden der Welt klebt. Vielmehr hat sie den Schmerz des Lebens und die Ohnmacht des Sterbens ungeschminkt vor Augen. Ja, selbst die letzten Worte Jesu sind ein markerschütternder Schrei zum Himmel, wenn er in der Dunkelheit seines Sterbens ruft: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus 15,34)

Zugleich drückt die Bibel in verschiedenen Bildern die Hoffnung auf Auferstehung, auf ein „Leben in Fülle“, ein „Leben in Gott“ aus. Wie diese Wirklichkeit aussieht, weiß niemand, und alle Bilder bleiben vage Versuche, diese Hoffnung auszudrücken. Doch dass unser endliches Leben mit seiner Schönheit und seinem Schrecken im Unendlichen geborgen ist – darin kommen die biblischen Bilder überein. Und darin findet der christliche Glaube seine Mitte. Eine solche Hoffnung wirkt wie ein Licht, das hilft, sich der ängstigenden Dunkelheit zu stellen, und das einen neuen Morgen verspricht.

Drittens: Die Hoffnung auf Auferstehung bietet keinen Weg an, Not und Ausweglosigkeit, Leiden und Sterben theoretisch zu verstehen. Sie kann aber einen Weg eröffnen, diese zu bestehen – und das vor allem in solidarischer Sorge um diejenigen, die vom Leid am meisten betroffen sind.

Denn aus christlicher Perspektive ist Solidarität der menschlichste Ausdruck des Glaubens.

Darauf macht Jesus mit seiner überraschenden Erzählung aufmerksam, worauf es am Lebensende ankommt (vgl. Matthäus 25,31–46). Es wird nicht gefragt: Welche Glaubenssätze hattest du im Kopf?, sondern: Hattest du ein Herz für andere? Es wird nicht gefragt: Zu welcher Religion oder Kultur hast du gehört?, sondern: Hast du dich als Mitglied der einen universalen Menschheitsfamilie verstanden und entsprechend gelebt? Die christliche Hoffnung geht mit der Weigerung einher, Leid und Unrecht als schicksalhaftes „So ist es eben und so war es immer“ hinzunehmen. Sie wirkt wie ein Anti-Resignativum, das vor Bequemlichkeit oder falscher Gelassenheit bewahrt.

„Und wie ist das bei Ihnen, Melanie Wolfers?“

Als Christin und Ordensfrau werde ich manchmal gefragt, ob mir mein Glaube hilft, mit Krankheit und Sterben, mit Leid und Unrecht gelassener umzugehen. Dann zitiere ich gerne das Gedicht „Herbst“ von Rainer-Maria Rilke. Dieses Gedicht nimmt Ruhe und gibt Ruhe. Es drückt die bleibende Spannung aus von Hoffen und Bangen.

In dem Gedicht heißt es: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten … Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.“ Eine Wendung nimmt das Gedicht, als es den Blick auf etwas Tieferes richtet: „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Als Christin hoffe ich, dass nichts und niemand ins Leere fällt, sondern gehalten und aufgehoben ist in einer größeren, umfassenderen Wirklichkeit. Und dass auch ich selbst nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Daher muss ich schmerzhafte und absurde Erfahrungen nicht bis aufs Letzte verstehen oder bewältigen. Und muss auch nicht alle Krisen meistern! Vielmehr dürfen Situationen und Erfahrungen fremd und schmerzhaft bleiben – dank der Hoffnung: „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Praxistipp: Ein Stoßseufzer

Kommt Ihnen manchmal unbewusst der Stoßseufzer „Ach ja!“ über die Lippen? In dem Fall lohnt es sich, auf Ihre zwei Worte zu lauschen. Im „Ach!“ drückt sich die Klage aus über Ausweglosigkeit und Angst, Ohnmacht und Leid ... Und im „Ja“ schwingt mit ein gestammeltes: „Ja, es ist, wie es ist.“ – Ein Stoßseufzer voller Weisheit, der eine heilsame Richtung angibt.

Für mich persönlich wandelt sich dieser Stoßseufzer oft in ein Gebet: Im Ach! halte ich Gott klagend Menschen hin, die unter Schwerem leiden, und auch meine eigene Not. Im Ja stammle ich: „Es ist, wie es ist. Dir, Gott, vertraue ich es an. Ich hoffe, dass meine Klage und die Klage so vieler nicht im Leeren verhallt, sondern dass jenseits der Dinge ein Herz ist, das alle Widersprüche vereinen kann.“

Wie die Sonnenblume der Dunkelheit trotzen

Zuversicht und Hoffnung fallen uns nicht einfach in den Schoß. Sie sind eine Haltung, die wir einnehmen und einüben können. Und dies fordert unsere besten Kräfte! Zugleich ist es auch ein Geschenk, wenn man in schweren Zeiten Tag für Tag Vertrauen und Zuversicht in sich vorfindet. Und wenn sich nach einer langen Nacht ein heller Streifen am Horizont zeigt.

Im Prozess der Zuversicht ist also unser Tun gefordert und unsere Bereitschaft, geschehen zu lassen. Eine aktive Einstellung dem Leben gegenüber und eine kontemplative, empfangsbereite Haltung. Darin liegt eine Grundregel für ein von Hoffnung und Zuversicht getragenes Leben: Dass ich alles tue, was in meiner Macht liegt, und offen bin für Rettendes. Dass ich wie die Sonnenblume noch im Dunklen aktiv den Kopf in jene Richtung wenden, wo die Sonne aufgeht, und mich dem Geheimnis von Nacht und Tag überlasse.

Also: Machen wir es wie die Sonnenblume!

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