Kraft durch Erfahrung: Peer-Mentoring für Krebspatientinnen
In einem einzigartigen Programm der Uniklinik Düsseldorf begleiten selbst betroffene Mentorinnen Krebspatientinnen. Dies schafft Raum für ehrlichen Austausch über Ängste und Hoffnungen.
Diagnose Krebs - "es zieht einem den Boden unter den Füßen weg". Das sagt Christine Henssen. Die 79-Jährige ist Peer-Mentorin an der Uniklinik Düsseldorf; das heißt, sie begleitet Krebspatientinnen. Das Besondere: Henssen ist selbst an Krebs erkrankt, mit 69 bekam sie zum ersten Mal die Diagnose Brustkrebs. Sie weiß also, wovon sie spricht. Von einem in Deutschland "einzigartigen Unterstützungsprogramm" spricht die Uniklinik. Wenn die 55-jährige Jenniefer Münch es mit eigenen Worten sagt, klingt es so: "Ich würde wirklich jeder Frau raten, das in Anspruch zu nehmen, weil der Austausch ein ganz anderer und das Verständnis ein anderes ist." Münch erkrankte im vergangenen Jahr zum wiederholten Mal an Brustkrebs und wird nun von einer Peer-Mentorin betreut.
Mentoren geben Halt in schwierigen Zeiten
Ihr erstes Treffen war in einem Düsseldorfer Cafe, in dem sie sich "gemütlich, häuslich niedergelassen" haben. Seitdem tauschen sie sich aus über die vielen Fragen, die im Laufe der Zeit aufkommen. Auch ein gemeinsamer Termin beim Sozialen Dienst stand am Anfang der Begleitung an. Münch wollte ungern allein dorthin gehen - musste sie auch nicht. "Dass ich jemanden an meiner Seite habe", war für die dreifache Mutter ein gutes Gefühl. Freunde und Familienmitglieder seien da nicht die richtigen Gesprächspartner. "Es muss auch mal eine schlechte Zeit geben", sagt Münch. Damit täten sich Familie und Freude oft schwer, so ihre Erfahrung.
Das Peer-Mentoring setzt genau an diesem Punkt an. Im Herbst 2022 bildete die Initiatorin des Projekts, Annette Hopp, die ersten Mentorinnen und Mentoren aus. Das Team ist gemischt, sowohl vom Alter als auch von der Art der Krebserkrankung: Die Mentoren sollen möglichst gut zu den Erkrankten passen. Sie treffen sich einmal im Monat, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und neue Impulse für die Arbeit zu erhalten. Auch persönliche Gespräche mit Hopp sind Teil der professionellen Begleitung der Ehrenamtlichen. Die Gruppe soll weiter wachsen; regelmäßig bildet Hopp neue Mentoren aus.
Online-Portal erweitert Programm
Anfang Oktober wird das Angebot nun erweitert, ein Onlineportal geht an den Start. So könne die Unterstützung durch die Mentoren noch niederschwelliger angeboten werden, erklärt Hopp. Auf dem Portal seien die Mentoren mit Bildern, Namen und Art der Krebserkrankung aufgeführt. Die Kommunikation erfolgt nach einer Kontaktanfrage über einen datenschutzkonformen Messengerdienst. Die Idee stammt von der Schweizer Krebsliga, die eine landesweite Beratung anbietet. Die Düsseldorfer Plattform startet zunächst für Patientinnen und Patienten der Uniklinik. Eine Ausweitung schließt Hopp nicht aus.
Positive Impulse durch Mentoring
Carmen Böhme war 38 und hatte zwei kleine Kinder, als sie das erste Mal an Brustkrebs erkrankte. Und doch habe sie die Erkrankung nicht aus der Bahn geworfen: "Da war ich jung und unbedarft", sagt sie heute, 13 Jahre später. Inzwischen ist sie eine der Peer-Mentorinnen. Vier Patientinnen begleitet sie aktuell durch die Zeit der Erkrankung und Behandlung. Eine von ihnen ist Jenniefer Münch. Das Verhältnis der beiden ist eng, der Kontakt regelmäßig. Nicht immer ist zwischen ihnen die Krebserkrankung Thema: "Wir tauschen uns natürlich auch über private Sachen aus."
Auch Katharina Brugnano hat Brustkrebs. "Freunde möchten etwas für einen tun", sagt sie - aber manchmal könnten sie das einfach nicht. Immer wieder werde sie gefragt, wie es ihr denn gehe. "Jeder fühlt sich ja veranlasst, irgendetwas zu sagen, von dem er sich Erleichterung erhofft." Darin zeige sich die Hilflosigkeit der Angehörigen, pflichtet ihr Mentorin Henssen bei.
Das erste Treffen der beiden fand in der Uniklinik statt. Schnell war das Eis gebrochen, als es nach wenigen Minuten um ein - vermeintlich - eher oberflächliches Thema ging: Kosmetik. Praktische Tipps etwa zum Kaschieren von Blässe halfen Brugnano, wie sie sagt, sich weniger verletzlich zu fühlen. Da das Gesicht durch den Verlust von Kopfhaar, Augenbrauen und Wimpern an Kontur verliere, seien Hinweise auf gute Visagistinnen mehr als eine Kleinigkeit. All das gebe ein Gefühl von Zugehörigkeit und wecke neues Selbstbewusstsein, erläutert Henssen.
Und das ist es, worum es ihr geht und was Brugnano gut tat. "Das nahm das ganze Dramatische raus", sagt Brugnano. Der Besuch einer von Henssen empfohlenen Kosmetikerin habe ihr zusätzlich viel Kraft gegeben, weil sie sich selbst um etwas kümmern konnte. So fand die 70-Jährige "ein Stück Normalität im Umgang mit der Erkrankung".
Gemeinschaft und Normalität
Normalität: Dieses Wort fällt bei Katharina Brugnano immer wieder. Und dieses Wort steht sinnbildlich für das Ziel des Peer-Mentorings. Ängste, Nöte und Sorgen haben in den Gesprächen ihren Raum. Und die Erfahrungen der Mentoren helfen dabei, all das nicht zu dramatisieren, sondern so gut wie möglich zu normalisieren.
Henssen sagt selbst über sich, sie habe das "sogenannte Helfersyndrom". Hilfe und Unterstützung bietet das Peer-Mentoring an der Uniklinik. Die ehrenamtlichen Mentoren haben ein eigenes Logo entworfen: Zwei Personen, die sich an der Hand halten, getragen von einer großen Hand. Das Motto: "can[cer] support" (dt.: kann unterstützen/Krebs-Unterstützung). Als sie vom Peer-Mentoring erfuhr, war für Henssen klar, dass sie andere Krebspatientinnen unterstützen möchte. Selbst ihre eigene erneute Erkrankung hielt sie davon nicht ab. Ihre Aufgabe als Mentorin gebe ihr Kraft, mit der sie "das Alte aufräumen und das Neue wieder verkraften" könne. "Es gibt mir positive Impulse."