Sylvia Kroll
Getragen durch Beziehungen
Sylvia Kroll hat Höhen und Tiefen erlebt – von einer Kindheit im Heim bis zur Professur in Berlin. Doch eine Konstante zog sich durch ihr Leben: starke Beziehungen. Ob in der Familie, in der Kirche oder in der Seelsorge – sie fand Halt, gab Orientierung und half anderen in Krisen.

In ihrer Gemeinde St. Antonius Eichwalde ist sie nur „die Sylvia“. An der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin (KHSB) war sie Frau Professor Doktor Sylvia Kroll. Bestimmt hätte vieles anders kommen können, sagt die 67-Jährige, wenn sie auf ihr Leben zurückschaut: „Ich hatte oft Glück. Man könnte auch sagen: Gott hatte seine Hände stets im Spiel.“ Ihre Kindheit verlebte die gebürtige Magdeburgerin im Kinderheim St. Josef in Wanzleben. Dann, mit 14 Jahren, kam sie als Pflegekind zum Ortspfarrer Georg Walter. Dass sie von da an im Pfarrhaus aufwuchs, betrachtet sie als Segen.
Glaube in der DDR: Zwischen Einschränkungen und neuen Perspektiven
Als Christin in der DDR waren Abitur und Studium nur schwer möglich. Auf Initiative des späteren Weihbischofs Theodor Hubrich konnte Sylvia Kroll dennoch klinische Psychologie in Berlin studieren. Über die katholische Studentengemeinde begegnete sie jungen westdeutschen Männern und Frauen. „Dadurch ist die geistige Enge des Lebens in der DDR etwas aufgebrochen worden“, sagt sie.
Der Mauerfall eröffnete plötzlich Möglichkeiten, von denen sie vorher nur träumen konnte. „Wir konnten schon 1991 in Berlin die KHSB gründen, aufbauend auf den Erfahrungen der kirchlichen Ausbildungsstätten in Ostberlin und Magdeburg.“ Dort war Sylvia Kroll später selbst als Professorin mit dem Schwerpunkt Hilfen zur Erziehung tätig.
Hilfe in Krisen: Schwangerschaftskonfliktberatung und seelische Wunden
Bleibende Eindrücke hat ihre Tätigkeit als Beraterin in einer Ostberliner Caritas-Beratungsstelle hinterlassen. Sie kam mit Frauen ins Gespräch, die besondere Krisen durchlebten. „Sie haben einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen oder ihr Kind nach der Geburt weggegeben oder es aus Verzweiflung an fremden Orten liegen gelassen“, erzählt Kroll. Bei alldem gehe es um existenzielle Krisen mit traumatischen Folgen für die Frauen und um vergebene Chancen für die Kinder.
Die ostdeutsche Katholikin war eine Zeit lang im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) Sprecherin für den Sachbereich Soziales. „Damals“, erinnert sie sich, „tobte die Debatte um den Ausstieg von Kirche und Caritas aus der Schwangerschaftskonfliktberatung. Es galt, einen Weg zu finden, in der die Kirche ihr Gesicht wahren kann, aber auch den reellen Nöten von Müttern gerecht wird.“
Aus den Gesprächen mit Frauen, die zu DDR-Zeiten abgetrieben hatten, wusste sie: „Es ging ganz leicht: Die Frauen sind zur Gynäkologin gefahren und haben den Abbruch durchführen lassen. Aber danach waren sie mit ihrer Entscheidung komplett allein.“ Sylvia Kroll kam zu dem Schluss: „Schwangerschaftskonfliktberatung heißt, nicht nur vor dem Abbruch für die Frau da zu sein, sondern auch danach. Gott ist Tröster und Wegweiser auf allen Wegen des Lebens.“ Der Perspektive der Frau räumt Kroll einen hohen Stellenwert ein. Dennoch habe sie auch „das Kind im Blick“, sagt sie, und erachte die derzeit geltende Beratungslösung für erhaltenswert.
Kirche im Wandel
Dass die Kirche ihr Potenzial, in der Gesellschaft Orientierung zu geben, zunehmend einbüßt, tut ihr weh. Daran sei die Kirche aber zum großen Teil selbst schuld „wegen des Missbrauchs von Menschen, die sich ihr zur Seelsorge anvertraut haben“, sagt Kroll. Manchmal werde sie gefragt: „Wie können Sie noch in die Kirche gehen?“ Da verweist sie gern auf die Bibel. Dort sei von unermesslichen Sünden die Rede, aber auch von Trost und Hoffnung. „Mein Satz ist immer: Trotz allem – es lohnt sich.“ Dass Gott in der Eucharistie gegenwärtig ist, hält Sylvia Kroll für den Kern ihres Glaubens.
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Ost- und Westkirche: Unterschiede, die sie geprägt haben
In ihrer Gemeinde St. Antonius in Eichwalde hat sie die „Offene Kirche“ initiiert, in der sich Menschen verschiedener Konfessionen treffen können. Ein Besucher habe sie gefragt, worin für sie der Unterschied zwischen ihrer katholischen und einer evangelischen Kirche bestehe. Kroll ging in die Sakristei und schaltete das Licht aus. „Alles war dunkel, bis auf das Ewige Licht. Für uns, habe ich erklärt, bedeutet das: Christus ist gegenwärtig – immer.“ Wenn Sylvia Kroll die katholische Kirche im Westen Deutschlands erlebt, trauert sie manchmal ihren DDR-Erfahrungen nach. „Die Kirche war unser Schutz- und Aktivraum. Wir haben zusammengehalten, mehr das Gespräch gepflegt und weniger die Sitzungskommunikation“, sagt sie. In der westdeutschen Kirche habe sie eine Anti-Haltung gegenüber der hierarchischen Kirchenstruktur erlebt, die sie so nicht kannte. „Den Bischof zu kritisieren, daran dachte hier keiner, denn er war Teil der Gemeinschaft.“
In Momenten, in denen Trauer oder Ärger zu überwiegen drohen, hat Sylvia Kroll ein klares Vorgehen: „Bei mir gibt’s eine Grundregel, die mein Pflegevater mir beibrachte: erstmal eine Nacht drüber schlafen.“ Eine andere Botschaft, der sie viel abgewinnen kann, heißt: „Wenn du willst, dass sich etwas ändert, dann schau, was du selbst beitragen kannst.“ Außerdem sagt sie: „Ich wünsche jedem Beziehungen, durch die er getragen wird.“ Das könne die Familie oder ein Seelsorger sein. „Und der Herrgott“, sagt sie lachend, „der ist ja auch noch da.“
Stefan Schilde