Der Ehemann im falschen Körper – Was Transgender für eine Ehe bedeutet
In der kirchlichen Lehre gibt es nur zwei Geschlechter: Mann und Frau, nach Gottes Abbild geschaffen. Doch was passiert, wenn der Ehemann eigentlich eine Transfrau ist? Die Schmittkes haben sich neu gefunden und den Glauben dabei nicht verloren.
Eine Reihenhaussiedlung in Kirchheim bei München: Auf ihrer Terrasse sitzen zwei ältere Damen. „Ilse und Beate“ ist auf die Holzbank graviert. Ein Geschenk zur goldenen Hochzeit letztes Jahr, unter anderem von der evangelischen Pfarrerin und ihrem katholischen Kollegen im Ort. Das Jubiläum hatten die Schmittkes mit einem ökumenischen Gottesdienst begangen. Ein Fest, um zu feiern, was nicht selbstverständlich ist. Denn seit ihrer Hochzeit hat sich vieles geändert, erinnert sich Beate: „Ich wurde im falschen Körper geboren und hab das auch etwa 38 Jahre mit mir herumgeschleppt.“ Irgendwann wurde der innere Druck so groß, dass sie sich outete. Sie wollte endlich sein, was sie dem Gefühl nach schon immer war: eine Frau.
Der Weg zur Geschlechtsangleichung: ein mutiger Schritt
2004 lässt sie mit 52 Jahren die geschlechtsangleichende Operation durchführen. Aus Bruno wird Beate. Ehefrau Ilse unterstützt sie dabei, obwohl sie fast drei Jahrzehnte nichts von der Transidentität ihres Mannes wusste. „Das war eine harte Geschichte“, erinnert sich die heute 74-Jährige. Die Zeit nach dessen Offenbarung am Dreikönigstag 2001 war die schlimmste ihres Lebens. „Wir haben miteinander gelitten und Kämpfe ausgetragen.“ Am Anfang habe sie sich betrogen gefühlt, sagt Ilse. Bis dahin hatte sie gedacht, sie führe eine ganz normale Ehe. Harmonie, Streit, Sex, Kinder – so wie bei den Nachbarn und Freunden halt. Vielleicht sogar ein bisschen besser, immerhin war man seit rund 30 Jahren ein Paar. Und dann: Brunos Enthüllung. „Da muss man emotional erst wieder hineinfinden“, sagt Ilse.
Mit Ihrem Coming-Out beginnt für Beate ein neues Leben. Das Gefühl, Frau sein zu wollen, kannte sie seit der Pubertät. Trotzdem führte sie das Leben eines heterosexuellen Mannes. Über ihre Gefühle konnte sie mit niemandem sprechen. „Ich hatte Angst alles zu verlieren: Familie, Job – auch materiell hat man sich ja etwas gemeinsam aufgebaut.“ Dass diese Angst nicht unbegründet war, erfährt sie nach ihrem Outing in einer Selbsthilfegruppe von anderen Betroffenen. „In der Regel war es da so, dass die Beziehungen das bei denen nicht überstanden haben.“
Transgender und Glaube: Katholischen Kirche „keine Heimat“
Tiefgläubig war Beate trotz ihres katholischen Elternhauses nie, Kirche hat zum Familienleben der Schmittkes aber immer mit dazugehört. Zugleich hat sie innerlich lange mit Gott gehadert: „Warum muss ich das ertragen? Hätte ich nicht gleich im richtigen Körper auf die Welt gekommen? Das sind alles Fragen, die man seinem Herrgott stellt.“ In der Zeit ihres Outings und der Geschlechtsangleichung in den frühen Nullerjahren wird in Deutschland gerade die eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht. Bischöfe wie der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger engagieren sich stark gegen die Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Eine Debatte, die Transfrau Beate schockiert. „Wer sich so gegen Homosexuelle abgrenzt, was gibt’s dann erst für Probleme für Leute wie mich?“ Brunos Kirche kann keine Heimat für Beate sein, beschließt sie und entscheidet sich, aus der Kirche auszutreten.
Akzeptanz in den Kirchengemeinden vor Ort
Den Brief schickt Beate anstelle vom Amt aber versehentlich an die örtliche Pfarrei. Als der dortige Pfarrer das Gespräch mit ihr sucht, ist es der Beginn einer engen Freundschaft mit dem Ehepaar Schmittke. Austreten wollte Beate seitdem nie wieder. Und das, obwohl die Haltung der Katholischen Kirche gegenüber Transpersonen bis heute eindeutig ist: In der kirchlichen Lehre gilt nach wie vor die binäre Geschlechtlichkeit – Mann oder Frau. Geschlechtsumwandlungen schließt auch Papst Franziskus in „Amoris laetitia“ aus. Demnach habe der Mensch die Aufgabe, sein Menschsein zu behüten, und das bedeute wiederum „es so zu akzeptieren und zu respektieren, wie es erschaffen worden ist“. Selbst wenn man im falschen Körper geboren wurde.
Das Lehramt spielt für Ilse Schmittke aber nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger als die theoretische Ablehnung ihrer Partnerschaft durch Rom ist ihr die praktische Akzeptanz sowohl in der katholischen Gemeinde in Heimstetten als auch in der evangelischen. „Für uns sind Glaube und Kirche im Kleinen wichtig, wo man aufgefangen und betreut wird.“ Über die Haltung der Kirche im Großen – die Dogmatik, den Katechismus, den Papst – darüber denkt sie kaum nach. „Da würde ich Probleme bekommen.“
Unterstützung für das Transgender-Paar
Für Ilse ist es wichtig, den Menschen jenseits des Geschlechts in den Blick zu nehmen. So wie sie es bei Beate gelernt hat – auch wenn es nicht immer leicht war. Es war ein Prozess des Trauerns, des Verzeihens und des neu Kennenlernens. Zwischenzeitlich haben die Schmittkes sogar einige Jahre getrennt gelebt. „Ich vermisse schon den Mann“, gesteht Ilse, aber heute sei das für sie nicht mehr dramatisch. „Ich habe mit Beate eine andere Person gewonnen, mit der ich die gleichen Interessen und tiefes Vertrauen teile.“ Außerdem können die Schmittkes sich auf ihr Umfeld verlassen: Die zwei Kinder, die Familien, die Nachbarn, die Freunde – fast jeder steht hinter dem Ehepaar. Nicht alles ist wie früher, aber sie hatten viel Glück. Auch da sind sich Ilse und Beate sich einig.