Beziehung
11.12.2024


Franziskus’ Revolution der Liebe

Mit „Amoris laetitia“ hat Papst Franziskus 2016 eine neue Ära in der katholischen Lehre eingeleitet. Das Schreiben stellt die Freude an der Liebe in den Mittelpunkt und bricht mit alten Tabus. Theologin Martina Kreidler-Kos erklärt, warum dieses Dokument eine kleine Sensation ist, und wie es die Sicht auf Beziehungen und Sexualität in der Kirche nachhaltig verändert hat.

Foto: © Vasyl – stock.adobe.com

Wer sich mit dem Thema Liebe aus katholischer Sicht befasst, kommt an dem päpstlichen Schreiben Amoris laetitia aus dem Jahr 2016 nicht vorbei. „Gott sei Dank“, sagt Martina Kreidler-Kos, die Theologin und Leiterin des Seelsorgeamtes im Bistum Osnabrück, die 2017 ein Buch zu Amoris laetita veröffentlicht hat. „Weil zum ersten Mal in einem lehramtlichen Schreiben die Liebe im Mittelpunkt steht.“ Und zwar auf eine positive, wertschätzende und realistische Art und Weise. Deshalb ist es Kreidler-Kos eine Herzenssache, die Erkenntnisse aus dem Schreiben unter die Leute zu bringen. Das Schreiben sei damals eine „kleine katholische Sensation“ gewesen, sagt sie.

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Papst Franziskus’ positive Botschaft

Amoris laetitia bedeutet ins Deutsche übersetzt „Die Freude der Liebe“. Das sind nicht nur die ersten Worte des Schreibens, sondern auch die Grundhaltung des gesamten Textes. „Mir hat damals ein alter Jesuit gesagt, er hätte sich nicht vorstellen können, dass jemals ein kirchliches Dokument die Freude an und mit der Liebe thematisiert“, sagt Kreidler-Kos. Das Schreiben denkt die Bischofssynoden weiter, die sich in den Jahren zuvor mit dem Thema Familie auseinandergesetzt hatten. Es sei schon etwas Besonderes gewesen, dass Papst Franziskus dieses Thema für die ersten Bischofssynoden in seinem Pontifikat gesetzt habe, sagt Kreidler-Kos. „Wenn er es hätte bequem haben wollen, dann hätte er das Thema tunlichst vermieden.“ Doch Franziskus habe die Notwendigkeit gesehen, dieses Thema anzufassen. Nicht zuletzt war es der Versuch, ein „für den Menschen absolut zentrales Thema wieder positiv im Rahmen der Kirche und des Glaubens zu besprechen“, sagt Kreidler-Kos. Schließlich hätten seit Humanae vitae, der Pillen-Enzyklika von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1968, „die Leute alles rund um das Thema Liebe und Sexualität mit sich selbst ausgemacht“, so Kreidler-Kos. Denn darin verbot der damalige Papst die künstliche Empfängnisverhütung, was zu einem großen Aufschrei in der Kirche und in der allgemeinen Öffentlichkeit führte.

Lehr-Wandel: Von Augustinus zu Franziskus

Doch was ist nun das Neue an Amoris laetitia? Seit Augustinus hat sich in der katholischen Lehre die Vorstellung festgesetzt, dass Sexualität etwas Schlechtes sei, das rigide geordnet werden müsse. Es bestand die Vorstellung, dass eheliche Sexualität ausschließlich dem Zeugen von Nachwuchs dienen dürfe. Das Zweite Vatikanische Konzil erkannte an, dass Sexualität auch Ausdruck der Liebe und des Glücks in einer Partnerschaft ist. Und Papst Franziskus geht in Amoris laetitia noch einen entscheidenden Schritt weiter. „Für ihn ist Sexualität nicht mehr nur eine Grundbedingung für Nachkommenschaft, sondern ein Geschenk Gottes, das die Menschen auch genießen dürfen“, sagt Kreidler-Kos.

Barmherzigkeit statt Verurteilung

Gleichzeitig hat der Papst einen realistischen Blick auf die Liebe. Ihm ist klar, dass sich die Liebe „in einem andauernden Weg des Wachstums“ (AL 134) befindet und gepflegt werden muss. „Er sieht solche Dinge wie: Liebe braucht geschenkte Zeit“, sagt Kreidler-Kos. Ihm sei aber auch klar, dass viele Familien, gerade in ärmeren Ländern, keine Zeit füreinander und für ihre Kinder haben. Er sieht die Herausforderungen der Familien in der heutigen Zeit, die auch zum Scheitern von Ehen führen. Papst Franziskus erkennt in Amoris laetitia an, dass man die Menschen dafür nicht verurteilen darf, sondern dass man sie unterstützen und ihre Bedingungen verbessern müsste. So erwähnt Franziskus fast beiläufig in einer Fußnote, dass wiederverheiratete Geschiedene die Eucharistie empfangen dürfen, was zu heftigem Gegenwind unter einigen Bischöfen geführt hat. Doch „die Ermutigungen, die in dem Schreiben stecken, wurden aufgegriffen und an keiner Stelle zurückgenommen“, so Kreidler-Kos. Papst Franziskus wollte mit Amoris laetitia mehr Barmherzigkeit in der kirchlichen Morallehre zulassen.

Wertschätzung von Beziehungen

„Zum ersten Mal konnte sich ein Papst vorstellen, dass es in der Liebe nicht nur schwarz und weiß gibt“, sagt Kreidler-Kos. Priester und Bischöfe sollten moralische Gesetze nicht anwenden „als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“ (AL 305). Und: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, [...] sie zu ersetzen“ (AL 37). Er traut den Menschen also zu, dass sie in ihrer Situation bestmöglich handeln, und gesteht indirekt ein, dass „Kleriker oftmals nicht wissen, mit welchen Dingen Menschen in einer Partnerschaft konfrontiert sind“, so Kreidler-Kos. Mit Amoris laetitia gab es eine „Luftveränderung“ in der katholischen Welt, sagt sie. Die Menschen schauen wertschätzender, freier und liebevoller auf Beziehungen. Kreidler-Kos’ Resümee zu dem Schreiben: „Gott steht auf der Seite der Liebenden und die Aufgabe der Kirche ist es, diese zu unterstützen.“

Jasmin Lobert