Vom Anfang bis zur Apokalypse - Folge 2
Jahwist, Priesterschrift und Planetarium
Unser Kollege, Chefreporter Alois Bierl, wird in einem Jahr die komplette Bibel lesen. Jede Woche lässt er uns an diesem spannenden Experiment und seinen Erfahrungen teilhaben.
Das fängt ja verwirrend an. Dass es zwei verschiedene Schöpfungserzählungen im ersten Buch der Bibel gibt, hatte ich parat. Sogar dass die erste in Genesis 1 etwa 500 Jahre später entstanden ist als die zweite in Genesis 2. Ich war sogar ganz stolz darauf, dass ich mich aus Studienzeiten noch erinnerte, dass Genesis 2 dem sogenannten Jahwisten zugeschrieben wird, weil er den Gottesnamen Jahwe gebraucht. Die allerersten Zeilen der Bibel entstammen dagegen dem Textkonvolut der Priesterschrift.
Dass die im Babylonischen Exil entstanden ist, habe ich nachschlagen müssen, ebenso dass manche Exegeten den Jahwisten mittlerweile nicht mehr als eigenständige und unabhängige Quelle anerkennen. Und schon bin ich in der Gefahr, dass ich mehr Kommentare zu einzelnen Stellen lese, als die Bibel selbst, bei Einzelheiten hängenbleibe. Gleichzeitig bin ich über das bisschen Vorwissen und die Kommentare froh, weil ich dann nicht an rätselhaften Einzelheiten hängen bleibe, für die mir kluge Leute eine Erklärung geben können. Immerhin eines kann ich mir selbst zusammenreimen: Als die jüdischen Gelehrten den Kanon des Alten, des Ersten Testaments festlegten waren ihnen offenbar beide Erzählungen gleich wichtig, so dass sie lieber ein bisschen verwirren als eine davon streichen wollten.
Die Bibel lässt Freiheit und Widersprüche zu
Die Bibel ist ein Buch, das Freiheit und Widersprüche zulässt. Mir hat sie außerdem gleich auf den ersten Seiten einen Schauder über den Rücken gejagt. Ich habe an die Planetarien gedacht, die ich ab und zu besuche. Meistens sind da Filme zu sehen, die den Ursprung der Welt erklären. Ich schaue sie immer gebannt und gleichzeitig mit großem Unbehagen an. Zuerst sind riesige Gaswolken zu sehen, ein paar Minuten später verkrustetes Gestein, da sind schon ein paar Jahrmillionen verstrichen. Gleich darauf kommen mächtige Meereswogen und unvermittelt ein Schnitt auf riesige Farnwälder. Da sind schon wieder Jahrmillionen vergangen und weit und breit ist kein Mensch zu finden. Es scheint ihn gar nicht zu brauchen, Schöpfung gibt´s auch so.
Das Erschrecken darüber, dass Gott, der nicht Zeit und Raum ist, diese unfassbare Zeit und diesen unbegreiflichen Raum werden lässt, sitzt mir nach jedem Planetariumsbesuch in den Knochen. Und noch mehr, dass er irgendwann Menschen in diese Schöpfung setzt, die mit ihrem kleinen Intellekt bloß begreifen, dass sie Gott und sich selbst in dieser stofflichen Welt aus Zeit und Raum nie ganz verstehen können. Trotzdem versuchen sie es unablässig.
Mich ergreift es, dass Gott im ersten Buch der Bibel Adam und Eva die Freiheit lässt, in der Komfortzone des Paradieses zu bleiben oder nach Erkenntnis zu fragen. Die tut weh, sehr sogar. Und doch ist der Sündenfall ein Glücksfall, „glückliche Schuld“, wie es in der Osterliturgie heißt. Denn aus dem Paradies machen sich die zerbrechlichen Menschen auf einen Weg - und auf viele Umwege. Er führt sie durch die Geschichte, die im Reich Gottes münden soll. Dieser gleichzeitig treue und unfassbare Gott ist sogar auf diesem Weg dabei. Er spricht zu Männern und Frauen und die Bibel hält fest, wie sie diesen Gott verstehen, oft genug missverstehen. Und jetzt drängt es mich unwiderstehlich, in dieser Geschichte weiterzulesen, völlig egal, welcher Abschnitt nun vom Jahwisten oder aus der Priesterschrift stammt.