Vom Anfang bis zur Apokalypse - Folge 16
Die Könige sind fertig - POZEK bleibt
Unser Kollege, Chefreporter Alois Bierl, wird in einem Jahr die komplette Bibel lesen. Jede Woche lässt er uns an diesem spannenden Experiment und seinen Erfahrungen teilhaben.
Auf der letzten Seite des 2. Buch der Könige habe ich an eine gute Bekannte denken müssen: eine immens fleißige evangelische Theologie- und Altorientalistikstudentin. Bei einer Plauderei über das Bibellesen hat sie mir gestanden, dass sie ebenfalls eine durchgehende Lektüre angefangen hatte, „aber nach den Königsbüchern war Schluss, da war ein toter Punkt“. Sie hatte im Studium so viel mit einzelnen Textstellen zu tun, dass sie das volle Bibelprogramm einfach nicht mehr untergebracht hat und froh ist, wenn sie die Heilige Schrift nicht aufschlagen muss. Ein bisschen stolz bin ich schon, dass ich den „toten Punkt“ meiner Bekannten hinter mir habe, sogar die darauf folgenden Chronikbücher. Allerdings muss ich auch keine Prüfungen mehr ablegen. Niemand zwingt mich, gerade diese oder jene Stelle auszudeuten, selbst zu übersetzen und darüber zu schreiben. Da fällt es leichter, im Lektürefluss zu bleiben.
Lange, weit entfernte Zeiträume
Aber zugegeben, ich habe mich selbst überwinden müssen, in diesen Fluss hineinzusteigen und ihn nicht wieder zu verlassen. Es gibt kaum einmal mit langem Spannungsbogen erzählte Geschichten. Es sind oft genug nur Bruchstücke aus einer Historie, die vielleicht 2000 Jahre vor Christus beginnt. Sie stammen aus einer oft nicht mehr verständlichen Kultur und Gesellschaft. Die Versuchung auszusteigen, ist immer wieder da. Es wundert mich deshalb nicht, dass laut einer Umfrage von 2019 rund 70 Prozent der Deutschen nie in die Bibel schauen. Schon eher, dass immerhin vier Prozent jeden Tag darin lesen. Zu denen gehöre ich jetzt. Dass ich nicht abbreche, liegt an den oft überraschenden Texten, die mich nicht selten verstören oder tief anrühren. Es sind starke Bilder, die sich dann in mir festsetzen. Neulich bin ich darauf gestoßen, dass ich dabei ein System anwende, ohne es gekannt zu haben: POZEK nennt es sich, die einzelnen Buchstaben stehen für Person, Ort, Zeit, Ereignis und Kern.
Ermutigung zur Phantasie
Der Leser soll sich etwa die Kleidung der Figuren im Text vorstellen, die Landschaft, die Straße, die Tageszeit, in der er spielt. Es hilft, auf den Ablauf des Geschehens und die dabei verwendeten Verben zu achten und eine Kernaussage, ein Ziel der Geschichte zu suchen. Es ist eine Methode, wie ich sie vom heiligen Ignatius kenne. Die Bibel mit allen Sinnen lesen, die Phantasie anstrengen, mahnt der strenge Exerzitienmeister und Gründer des Jesuitenordens. Manchmal ist das schwer auszuhalten, weil sich das eine oder andere Bild nicht mehr auflöst. Mich hat die Vorstellung wie die verstoßene Hagar im Buch Genesis mit ihrem kleinen Ismael in der Wüste verzweifelt tagelang verfolgt. Wie sie da in ihren mit Stricken zusammengehaltenen Leinenkleidern zur Mittagszeit zwischen Sand und Steinen sitzen, das Kind vor Durst wimmert und die Mutter weint. Dass Gott sie gegen die Absicht von Abraham und Sara rettet, war eine große Erleichterung, aber leicht gefallen ist es mir nicht, den Kern dieser Geschichte festzuhalten. Aber gerade dadurch krallt sich die Bibel an mir fest, weil es schwerer Stoff ist, immer um große Fragen geht und um Menschen, die Gott unbedingt brauchen.