Krisen und Chancen
18.06.2025

„Himmelwärts“: Berührender Roman über Trauer, Trost und Freundschaft

Ein Mädchen ringt mit dem Verlust der Mutter, ein selbstgebautes Funkgerät wird zur Brücke in den Himmel. Mit großer Feinfühligkeit beschreibt Karen Köhler kindliche Trauer und den Weg zurück ins Leben – ausgezeichnet mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis.

Foto: © BirD – stock.adobe.com (KI-generiert)

Toni ist wütend. Sie liegt mit ihrer besten Freundin YumYum auf der Picknickdecke in ihrem Garten, schaut in den Abendhimmel – und kämpft gegen die Tränen an. „Die Erwachsenen glauben, dass ich dumm bin“, denkt Toni. „Deine Mutter ist jetzt im Himmel und passt dort auf dich auf.“ Oder: „Sie ist jetzt dein Schutzengel.“ Toni trösten diese Sätze nicht. „Ich will keinen Scheißschutzengel“, denkt sie. „Ich will mit Mama im Wohnzimmer tanzen. Ich will, dass sie mit mir wegen irgendwas schimpft. Ich will alles, auch das Schlechte, was ich vorher nie wollte.“ 

Himmelwärts - ausgezeichnet mit Katholischem Kinder- und Jugendbuchpreis

Toni und YumYum stehen im Mittelpunkt des Jugendromans „Himmelwärts“ von Karen Köhler, der jüngst mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichnet worden ist. Die in Hamburg lebende Autorin schreibt Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Essays und Erzählungen. „Himmelwärts“ ist ihr dritter Roman und handelt von Trauer und Schmerz, aber auch von Trost und Freundschaft und der Hoffnung auf einen Neuanfang. Toni leidet seit einigen Monaten unter einer „Vermissung“, wie sie selbst sagt. Ihre Mutter ist an Hautkrebs gestorben.
    

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Ein Funkgerät ins All – auf der Suche
nach der verstorbenen Mutter

Um ihrer Freundin zu helfen, hat YumYum ein kosmisches Radio gebaut, um ins Weltall zu funken. Denn dort im Himmel soll sie ja sein, Tonis Mutter. „Hallo, Mama. Kannst du mich hören?“, „Mama, sag doch etwas“, ruft Toni an einem Sommerabend ins Funkgerät. „Mama? Du fehlst die ganze Zeit. Morgens fehlst du. Mittags auch und abends. Kannst du bitte das Eis, das in meiner Brust wächst, jetzt mit deiner Stimme schmelzen?“

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Vater und Tochter: Zwischen Schweigen
und neuem Vertrauen

Der Eispanzer um Tonis Herz ist dick. Das Buch zeigt, wie Vater und Tochter sich in ihrer Trauer entfremdet haben. Er, der immer sportlich war und Freunde traf, ist nun viel zu Hause, trinkt Wein und kommt mit verquollenen Augen aus dem Badezimmer. Auch Tonis Freundschaft zu YumYum hat gelitten. Toni hat sich zurückgezogen. Es schmerzt sie, wenn die Freundin sich über ihre Mutter ärgert. „Immerhin hat sie noch eine“, denkt sie dann. Die Erinnerung an ihre eigene Mutter ist dauernd präsent – manchmal so stark, als spüre sie ihre Hand auf ihrem Kopf, höre ihre Stimme und ihr Lachen. Eindringlich beschreibt Köhler Tonis Gefühlswelt – so emotional, dass der Leser oft eine Gänsehaut bekommt. 

Köhler, Karen Himmelwärts
HANSER, 2024
19,00 €
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Freundschaft als Anker in schweren Zeiten

Natürlich gelingt es den Mädchen in dieser Nacht im Garten nicht, Kontakt zu Tonis Mutter aufzunehmen. Aber Stück für Stück bricht Tonis fester Eispanzer auf. Ein Brocken fällt ab, als eine Sternschnuppe just in dem Moment über den Himmel saust, in dem Toni ihre Mutter um ein Zeichen bittet. Oder durch ein Gespräch mit der ISS Astronautin Zanna, die auf die Funksprüche der Mädchen reagiert. „Solange du dich an sie erinnerst, wird sie immer da sein, immer ein Teil von dir sein“, sagt sie. Oder als YumYum auf Zannas Frage, ob sie Geschwister habe, antwortet: „Nee. Doch: Toni! Toni haben ist wie Geschwister haben.“ Als sich spät in der Nacht ihr Vater zu ihr legt und die beiden Arm in Arm einschlafen, taut der Eisblock noch ein bisschen mehr. 

Kinderbuch über Tod und Verlust –
nicht nur für junge Leser

Das Buch lässt den Leser eintauchen in Tonis Gedanken und Gefühle. Es ist aber kein Buch, das Eltern oder Großeltern einfach so dem Sohn oder der Enkelin zum Geburtstag schenken sollten. Es ist kein lustiger Roman, kein Buch zum Schmökern am Abend. Zu hart, zu aufwühlend und zu sensibel ist das Thema. Aber wenn es einen Anlass gibt, wenn eine Familie mit Krankheit und Tod im nächsten Umfeld konfrontiert ist, dann ist dieses Buch ein guter Begleiter. Kinder werden sich in ihrer Trauer hier wiederfinden – und Eltern und Großeltern bekommen einen Einblick in die kindliche Gefühlswelt.

Innehalten-Leseempfehlung
Kerstin Ostendorf
Artikel von Kerstin Ostendorf
Redakteurin der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück