Widerstandskämpfer
Wer war Walter Klingenbeck?
Walter Klingenbeck wurde nur 19 Jahre alt. Die NS-Justiz ließ ihn hinrichten, weil er sich gegen das Hitler-Regime auflehnte. Lange vergessen, erinnern seine Heimatpfarrei Sankt Ludwig und die Stadt München seit den 1990er Jahren an den Widerstandskämpfer, über den nun eine Graphic Novel erschienen ist.

Seit einigen Jahren läutet an jedem 5. August um 18.13 Uhr die Totenglocke der Münchner Ludwigskirche. Sie erinnert an die Todesstunde von Walter Klingenbeck, der hier seine religiöse Heimat hatte. 19 Jahre ist er alt geworden und keiner Krankheit oder einem Unfall zum Opfer gefallen, sondern der nationalsozialistischen Mordjustiz. 1943 hat der Scharfrichter mit einer Guillotine das Urteil in der Strafanstalt München-Stadelheim vollstreckt. Klingenbeck war nach damaligem Recht noch nicht einmal volljährig.
Dem Urteil waren rund eineinhalb Jahre Untersuchungshaft, der Prozess
vor dem Volksgerichtshof und ein abgelehntes Gnadengesuch
vorausgegangen. Klingenbeck hatte sogenannte Feindsender gehört und war
einem Aufruf der BBC gefolgt, das V-Zeichen zu verbreiten, das für
Victory, also den Sieg der alliierten Truppen stand. Etwa 40-mal hat er
es laut den Ermittlungsakten auf Wände gemalt – mit Altöl. Zusammen mit
drei Freunden bastelte er an einem Radiosender, um vom Regime gewaltsam
unterdrückte Nachrichten und Meinungen zu verbreiten.
Modellflugzeug sollte Flugblätter abwerfen
Außerdem plante die Gruppe, Flugblätter über die Propagandalügen und Schandtaten des Regimes abzuwerfen – mittels eines ferngesteuerten Modellflugzeuges. In einer demnächst erscheinenden Graphic Novel von Marie Geissler über Walter Klingenbeck ist auf einer Seite zu sehen, wie die Jugendlichen davon träumen, das mit seiner Fracht beladene Flugzeug in der Luft zu sehen. Als angehender Schaltmechaniker im zweiten Lehrjahr hatte Klingenbeck die Kenntnisse dazu. Das Flugzeug ist nie in die Luft gestiegen, eine junge Frau denunzierte ihn.
Die Technikbegeisterung war typisch für Klingenbecks gesamte Generation. Da unterschied er sich nicht von seinen Altersgenossen. Anders war es, wenn es um Politik ging. Den Nationalsozialismus durchschaute er sogar klarer und verurteilte ihn schärfer als viele Erwachsene und wollte ihm etwas entgegensetzen. „Das war nicht nur typischer jugendlicher Widerspruchsgeist oder Trotz“, erzählt Gemeindereferent Hermann Höfler. Der Seelsorger pflegt in Klingenbecks Heimatpfarrei Sankt Ludwig die Erinnerung an den Widerstandskämpfer, für den die katholische Kirche einen Seligsprechungsprozess prüft. Klingenbecks gesamte tiefgläubige Familie war von der Brutalität und Menschenverachtung der braunen „Bewegung“ zutiefst abgestoßen und Walter habe aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus gehandelt.
Starke Verwurzelung im katholischen Milieu
Sein „Schlüsselerlebnis“ war das Verbot der kirchlichen Jugendgruppen 1938: „Darüber war er wegen seiner Religiosität und seiner starken Verwurzelung im katholischen Milieu richtig empört“, so Höfler. Diese Religiosität drückt sich auch in den letzten Stunden vor Stunden vor seiner Hinrichtung aus: Er verlangt die Sterbesakramente, und einen der mitverschworenen Freunde bittet er in einem Brief, für ihn einige Vaterunser zu beten. Klingenbeck übernimmt vor Gericht die volle Verantwortung für die ausgeführten und geplanten Widerstandsaktionen, seine Freunde entkommen dadurch dem Todesurteil.
„Während des Krieges hatten noch alle im näheren Umfeld Mitleid mit
der Familie“, berichtet Klingenbecks Großnichte Carmen Miller. Ihre Oma
war Walters Schwester. Nach 1945 habe sich das laut den Erzählungen
ihrer Oma geändert. Die Familie bemühte sich um eine Entschädigung und
versuchte, die Denunziantin ausfindig zu machen. Die Zeitung „Heute“
druckte 1946 einen der Abschiedsbriefe Walter Klingenbecks ab. Jemand
wie er war damals wohl vielen Deutschen unangenehm, weil sein Widerstand
gegen den NS-Staat an das eigene Schweigen und das Einverständnis
gegenüber einem Regime erinnerte, das einen millionenfachen Mord und
einen unbarmherzigen Krieg zu verantworten hatte.
[inne]halten - das Magazin 20/2025

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Vergessen und Wiederentdeckung
Wahrscheinlich hätte sich Klingenbecks Mutter auch weiterhin für das Gedenken an ihren Sohn eingesetzt, vermutet Carmen Miller. Doch ihre Urgroßmutter ist schon 1949 gestorben, gezeichnet vom bedrückenden Alltag nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Hunger, den zerstörten Städten und dem allgegenwärtigen Mangel. Klingenbeck war fast vergessen, bis Anfang der 1990er Jahre die Öffentlichkeit wieder Kenntnis von ihm nahm, angestoßen durch einen Zeitungsartikel. „Meine Oma hatte jedoch, so lange ich denken kann, Walters Porträtfoto auf ihrem Glasschrank stehen“, erinnert sich Carmen Miller. „Jetzt steht das Foto in meinem Bücherschrank.“
Dass eine Graphic Novel über ihren Großonkel erscheint, scheint ihr gerade jetzt wichtig: „Angesichts einer gesichert rechtsextremistischen Partei in unserem Bundestag braucht es Walters Geschichte, um zu Zivilcourage aufzurufen und ein ,Nie wieder!‘ anzumahnen!“ Daran erinnert auch die Glocke von Sankt Ludwig, die jedes Jahr zu seiner Todesstunde läutet.