Gerechtigkeit
18.09.2025

Ein Demokrat in Zeiten des Hasses  

Seit 2017 ist ein Bundestagsgebäude beim Brandenburger Tor nach ihm benannt: Matthias Erzberger gehört zu den Gründungsvätern der Weimarer Republik, ist aber heute weithin unbekannt. Vor 150 Jahren wurde er geboren. 
    

Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975, anlässlich des 100. Geburtstags von Matthias Erzberger. Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975, anlässlich des 100. Geburtstags von Matthias Erzberger. Foto: © imago/Schöning

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die zehn Opfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU): Seit 1945 fielen in Deutschland mindestens 200 Menschen rechtsextremer Gewalt zum Opfer. Die allermeisten von ihnen Ausländer – meist Zufallsopfer, an denen die Extremisten ihren Hass ausließen. 

Massive rechte Gewalt gab es auch schon in den Anfangsjahren der Weimarer Republik. Doch damals ermordeten völkische und antisemitische Attentäter vor allem prominente Persönlichkeiten des linken Lagers und Symbolfiguren der verhassten Republik: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sowie Bayerns sozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner 1919, Reichsaußenminister Walther Rathenau 1922 und – am 26. August 1921 – auch den Zentrumspolitiker und gläubigen Katholiken Matthias Erzberger, der vor 150 Jahren geboren wurde. 

Kein einfacher Mensch 

Ein Sympathieträger war er nicht, sagte der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, als er im Mai 2017 Erzbergers Büste in einem nach dem Zentrumspolitiker benannten Parlamentsgebäude in Berlin enthüllte: „Erzberger war vermutlich kein einfacher und auch kein unbedingt sympathischer Mensch, aber er hat einen gewaltigen Anteil an der Geschichte des Übergangs vom Kaiserreich in die Republik.“ Deutschland sei bisher aber nicht sonderlich generös mit Erzberger umgegangen. 

Als Spross einer Tagelöhnerfamilie am 20. September 1875 in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb geboren, wird Erzberger Lehrer, Journalist und Mitglied der Zentrumspartei, für die er 1903 als jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt wird. Schon früh zieht der überzeugte Demokrat, der sich für eine Parlamentarisierung des Kaiserreichs starkmacht, den Hass von rechts auf sich: Im Haushaltsausschuss Referent für den Militär- und Kolonialetat, brandmarkt er die deutsche Kolonialpolitik als „Spielwiese der Eliten“ und deckt mehrere Skandale auf. Konservative Kreise verspotten ihn als „Negerfreund“. 
     

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Vom Saulus zum Paulus 

1914 ist Erzberger Befürworter des Krieges. Sein „Kriegszielprogramm“ fordert einen „Siegfrieden“ mit weitreichenden Annexionen. Die Reichsregierung überträgt ihm die Verantwortung für die Propaganda im neutralen Ausland. Gut vernetzt und durch Reisen informiert, wächst in ihm zunehmend die Erkenntnis, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen kann. Er wendet sich gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg, kritisiert die Reichsregierung wegen ausbleibender Hilfen für die christlichen Armenier im Osmanischen Reich. Vergeblich versucht er, den Kriegseintritt Italiens an der Seite der Gegner zu verhindern, wobei er in engem Kontakt mit Papst Benedikt XV. persönlich steht. 

1917 setzt er sich im Reichstag für einen „Verständigungsfrieden“ ohne Annexionen ein. Dass er – und nicht ein Mitglied der Obersten Heeresleitung – am 11. November 1918 das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet und später als Vizekanzler den Versailler Vertrag akzeptiert, macht ihn aus Sicht der Rechten zu einem „Novemberverbrecher“. 

Gerechteres Steuersystem 

In der neugegründeten Republik wird Erzberger 1919 Finanzminister. Er schafft ein bis heute gültiges, einkommensabhängiges Steuersystem und belastet dabei größere Vermögen stärker. Als Vertreter des politischen Katholizismus tritt er für eine Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Liberalen ein, um die junge Demokratie gegen Angriffe von rechts und links zu wappnen. Nach einer Hetzkampagne des deutschnationalen Politikers Karl Helfferich und einem zermürbenden Prozess, in dem er sich gegen Vorwürfe einer „unsauberen Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen“ wehrt, tritt er 1920 zurück. 

Erzberger gelingt es, sich zu entlasten. Gerade als er seine Karriere wieder aufnehmen will, folgt das Attentat. Am 26. August 1921 passen die ehemaligen Marineoffiziere Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz – beide Angehörige der rechten Organisation Consul – Erzberger in Bad Griesbach im Schwarzwald bei einem Spaziergang ab und erschießen ihn. 

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Freikorps und ihr Traum vom mächtigen Reich 

Es waren blutige Jahre: Ehemalige Soldaten, mit Gewalt und mit Waffen vertraut, sahen sich ihres Lebenssinns beraubt. Halt fanden sie in den Freikorps, die die Republik bekämpften und von einem mächtigen Deutschen Reich träumten. Erzberger ahnte, was ihn erwartete: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen“ – das vertraute Erzberger seiner Tochter bereits im Frühjahr 1920 an. 

Christoph Arens

KNA
Artikel von KNA
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