„Israel reagiert auf Terror“
Vor zwei Jahren überfielen Terroristen der Hamas Israel. Im Interview erklärt Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, welche Folgen das Massaker und der Krieg in Gaza für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland haben und warum die deutsche Kritik an Israel einseitig ist.

Das Massaker vom 7. Oktober jährt sich nun zum zweiten Mal. Welche Folgen haben dieser Anschlag und der darauffolgende Krieg Israels in Gaza für Jüdinnen und Juden in Deutschland?
Der 7. Oktober hat alles verändert. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland sowie weltweit ist seitdem in einem Ausnahmezustand. Wir warten auf den Tag, dass es weniger schlimm wird. Aber dieser Tag kommt nicht.
Was heißt das?
Als Chefredakteur bin ich oft in den jüdischen Gemeinden unterwegs, in der ganzen Republik, von Kiel bis Konstanz. Noch nie in meinem Leben habe ich eine so hoffnungslose Stimmung in den Gemeinden erfahren. Die alten Juden sagen: „Wir haben in all den Jahren hier nichts bewirken können.“ Die Jungen spüren eine immer größere Distanz zu Deutschland, zu ihrem Land, zu ihrer Heimat.
Woran machen Sie das fest?
Die Einseitigkeit, mit der in Deutschland der jüdische Staat kritisiert wird, und das Ausmaß der Dämonisierung Israels sind erschreckend. Die Hamas könnte diesen Krieg in Sekunden beenden, indem sie die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Noch immer sind 48 Geiseln in der Gewalt der Hamas. Wie Israel kontrafaktisch mit Vorwürfen überzogen wird, sprengt wirklich jede Vorstellung. Die Geschichte des Antisemitismus ist ja eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen. Hier wird Israel zum Juden unter den Staaten gemacht. Unterdessen explodieren in Deutschland seit zwei Jahren die Antisemitismus-Fallzahlen.
Die bundesweite Recherche- und Informationsstelle RIAS hat im vergangenen Jahr 8627 antisemitische Vorfälle registriert – ein Anstieg um 77 Prozent zum Vorjahr.
In unserer Redaktion bekommen wir täglich Meldungen über verprügelte oder attackierte Juden in Deutschland und Europa. In Frankreich ist der muslimische Judenhass dramatisch gestiegen. Wenn man das weiterspinnt, wird Frankreich irgendwann „judenrein“ sein. Auch in Berlin höre ich immer häufiger von jungen Juden, die überlegen wegzuziehen.
Erleben Sie auch solche Attacken?
Ja. Hass-Nachrichten sind leider an der Tagesordnung. Drohungen wie „Wir wissen, wo du wohnst. Wir kommen, und hacken dir die Hände ab, Völkermörder!“ kommen mittlerweile täglich.
Was macht das mit Ihnen?
Es macht mir Angst. In Bezirken von Berlin mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil bewege ich mich nur noch mit Kappe, weil mein Gesicht in den letzten Jahren bekannter geworden ist. Ich werde auch meine Wohnung in Wedding aufgeben, weil ich mich dort nicht mehr sicher fühle. Zugleich will ich mich aber auch von diesem antisemitischen Mob nicht unterkriegen lassen. Ich werde zum Kämpfer. Ich lasse mir von Extremisten nicht das Wort verbieten
Schauen wir auf den Krieg in Gaza: Je länger er dauert, desto lauter wird die Kritik an Israel auch hier in Deutschland. Wie empfinden Sie das?
Oftmals als sehr selektiv. Verstehen Sie mich nicht falsch: Kritik an Israel muss möglich sein und ist natürlich legitim wie bei jedem anderen Staat auch. Es geht nicht darum, dass man Israel nicht kritisieren dürfe. Und ein Angriffskrieg von Hamas-Terroristen ist kein Freibrief für einen demokratischen Staat, zu tun und zu lassen, was er will. Aber genau das tut Israel ja auch nicht. Israel will diesen Krieg nicht führen, sondern reagiert auf Terror. Jerusalem versucht dabei, so viele Zivilisten in Gaza wie möglich zu schützen. Die Hamas dagegen tut genau das Gegenteil. Und sie hat den Krieg der Bilder schon längst gewonnen. Der Westen wird gerade vergiftet – durch die Akzeptanz der Hamas-Propaganda auch in der deutschen Presse und in der deutschen Politik.
Israel agiert aber auch, etwa mit dem Anschlag auf die Hamas-Führung in Katar. Stimmt also doch die Kritik, die israelische Regierung setze auf Eskalation?
Nein. Die getöteten Hamas-Funktionäre in Katar gehörten zur obersten Führung der Hamas. Ein Video belegt, wie sie in Doha die Massaker vom 7. Oktober live verfolgten, ausgelassen feierten und schließlich Allah dankten. An dem Tag schnitten Hamas-Terroristen israelischen Frauen bei lebendigem Leib die Brüste ab, Eltern wurden vor den Augen ihrer Kinder hingerichtet. Katar finanziert diese Mörder, schützt sie. Dass Israel sich dagegen wehrt, ist keine Eskalation, sondern notwendige Selbstverteidigung. Das sollte jeder verstehen können. Stattdessen wird Israel einmal mehr kritisiert.
Inwiefern?
Warum nehmen Politiker wie Bundeskanzler Merz und Außenminister Wadephul nicht die Hamas in die Pflicht oder den Iran? Warum wird der Druck auf Staaten wie die Türkei nicht erhöht? Sie könnten mit Blick auf die Hamas viel bewirken. Es sind immer noch sieben deutsch-israelische Geiseln im Gaza-Streifen. Aber das scheint dem Bundeskanzler nicht sonderlich wichtig zu sein.
[inne]halten - das Magazin 20/2025

Himmlische Boten
Der Glaube an Engel ist für viele Menschen von großer Bedeutung.
Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.
Besonders umstritten war die Entscheidung, dass Deutschland Israel keine Waffen mehr liefern wird.
Ich war fassungslos, als ich das hörte. Damit hat ausgerechnet ein Unionspolitiker der Staatsräson den Sargnagel verpasst – und zugleich komplett gegen die DNA seiner eigenen Partei gehandelt. Auch Unions-Spitzenpolitiker waren über diesen Alleingang empört. Aber Merz hat in dem Wissen gehandelt, dass 80 Prozent der Deutschen diese Entscheidung richtig gut finden.
Das heißt, die Juden in Deutschland fühlen sich von der Gesellschaft im Stich gelassen?
Absolut! Der Antisemitismus der letzten Jahrhunderte wird jetzt auf den jüdischen Staat projiziert. Früher hieß es, die Juden vergiften das Brunnenwasser. Heute heißt es, die Israelis hungern vorsätzlich die Palästinenser aus und begehen einen Völkermord. Aber das ist eine Lüge, und sie wird nicht wahrer, indem sie fortwährend wiederholt wird: Israel, seine Behörden und die vom Staat und den USA unterstützte Gaza Humanitarian Foundation liefern Millionen Mahlzeiten in den Gazastreifen. Es ist kein Völkermord, wenn versucht wird, die Zivilbevölkerung maximal zu schützen.
Auch in Israel wachsen die Proteste am Vorgehen der Regierung.
Die Kritik an der eigenen Regierung ist in Israel am allerlautesten. Wir sollten in Deutschland zu nichts schweigen, aber die Kritik an Israel hat hier schon obsessive Züge angenommen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Israelis ausgerechnet von uns Belehrungen erteilt bekommen müssen.
Glauben Sie, dass sich das Leben für Juden in Deutschland nach den Ereignissen der letzten zwei Jahre normalisieren kann?
Ich hoffe sehr, dass die Schäden zu reparieren sind. Ich bin aber pessimistisch. Es ist viel Vertrauen zu Bruch gegangen. Jeder ist jetzt gefragt: Wenn eine Minderheit nicht in Frieden und Freiheit leben kann, ist das ein Problem für die Demokratie. Die Leute sollten nicht nur zu Hunderttausenden gegen die AfD auf die Straße gehen, sondern auch an einem Tag wie dem 7. Oktober an das größte Massaker an Juden seit der Schoa erinnern – und vielleicht signalisieren, dass wir nicht allein sind.