Ein Massenmörder aus gutem Hause
Im NS-Regime war Heinrich Himmler nach Adolf Hitler der zweitmächtigste Mann. Der blassgesichtige Brillenträger, der zum personifizierten Bösen wurde, stammte aus der Mitte der Gesellschaft.

„Anfangs hatte er nur die SS, dann kam die Polizei dazu und später wurde er dann auch noch Innenminister.“ Mit tonloser Stimme schilderte Margarete Himmler in einem Verhör im September 1945 die Karriere ihres Gatten. In den rund zwölf Jahren, in denen Adolf Hitlers „Drittes Reich“ Bestand hatte, stieg Heinrich Himmler zum zweitmächtigsten Mann nach dem „Führer“ auf – und war zugleich einer der schlimmsten Massenmörder in der an Verbrechern reichen Riege der führenden Nationalsozialisten.
Ein Prinz als Taufpate
Am 7. Oktober 1900, vor 125 Jahren, kam Heinrich Himmler als zweiter von drei Söhnen des Oberstudiendirektors Gebhard Himmler und seiner Frau Anna in München zur Welt. Die Familie gehört dem britischen Historiker Richard Evans zufolge „dem gefestigten Bildungsbürgertum an, einer im kaiserlichen Deutschland hoch angesehenen und geachteten Gesellschaftsschicht“. Heinrichs Taufpate: Prinz Heinrich von Bayern. Vater Gebhard hatte den Wittelsbacher als Privatlehrer unterrichtet.
Von seinen Söhnen verlangt Gebhard Himmler „Fleiß, Pflichttreue, Sittenreinheit“. Sekundärtugenden wie Moral, Anstand und Disziplin sind es, die Heinrich Himmler früh verinnerlicht – und mit denen er zugleich hadert. Bei vielen sei er nicht beliebt, jammert er 1922. „Warum? Weil ich zu viel rede.“ Ein elender Schwätzer sei er. „Wann werde ich mich restlos in die Hand bekommen?“
Der Parteisoldat
Halt findet der junge Himmler im Soldatischen. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg hat er knapp verpasst – aber die in Bayern aktiven rechten Gruppen bieten offenbar Ersatz. „Am Freitag gehen wir zum Schießen. Ich freue mich furchtbar darauf, besonders wieder einmal Uniform tragen zu können“, schreibt Himmler im November 1919 an seine Eltern.
Der Diplom-Landwirt landet schließlich bei der NSDAP, wo er 1929 den Posten des Reichsführers-SS übernimmt. Die Einheit besteht damals aus gerade einmal 280 Mann – drei Jahre später sind es 50.000. Aus der Leib- und Prügelgarde formen Himmler und seine Gesinnungsgenossen eine Formation, die zur „radikalsten rassistischen Tat- und Täterorganisation des Nationalsozialismus“ wurde, wie Historiker Bastian Hein es formuliert. Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wird, gratuliert ein stolzer Gebhard Himmler seinem Sohn „zu dem Erfolg und Sieg der Bewegung, an dem Du einen so großen Anteil hast. Also endlich in der Festung Fuß gefasst.“
Millionenfacher Mord
Der Fußabdruck, den Heinrich Himmler bis 1945 hinterlässt, wird monströs sein. Das System der Konzentrationslager, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden: Diese und andere Verbrechen setzt Himmler an verantwortlicher Stelle mit in Gang – und das nicht als Automat von Hitlers Gnaden, wie Richard Evans betont: „Es waren gerade seine eigenen Ideen und sein Verlangen, sie umzusetzen, die ihn vorantrieben.“
Das illustriert auch eine Szene, die Klaus Wiegrefe vor einigen Jahren in einem Beitrag für den „Spiegel“ beschrieb. „Sind Sie Jude?“, habe Himmler 1941 bei einem Besuch hinter der Ostfront einen russischen Gefangenen gefragt, dessen blonde Haare ihm auffielen. „Ja“ – „Sind Ihre beiden Eltern Juden?“ Abermals bejahte der Angesprochene. Himmler: „Haben Sie irgendwelche Vorfahren, die keine Juden waren?“ – „Nein.“ – „Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.“ Der Mann wurde erschossen, wie Wiegrefe festhält.
[inne]halten - das Magazin 20/2025

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Recht auf Zweitfrauen
Bizarr wurde es, wenn Himmler über Ehe und Familie fabulierte. „Rassisch einwandfreie“ SS-Männer sollten das Recht auf eine Zweitfrau haben, schreibt Katrin Himmler in ihrem Buch über ihren Großonkel und dessen Brüder. Die „Einehe“ hielt er demnach für ein „Satanswerk“ der katholischen Kirche. Der Reichsführer-SS selbst ging auch hier voran und hatte neben seiner Frau Margarete eine Beziehung mit seiner Sekretärin Hedwig Potthast.
Als klar wurde, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, driftete Himmler „in eine völlig neue Welt von Illusionen ab“, so Richard Evans. „Er glaubte, als ehrlicher Vermittler den Krieg beenden zu können.“ Dem Jüdischen Weltkongress habe er versichert, dass die über die Konzentrationslager in Umlauf befindlichen Gräuelmeldungen nicht der Wahrheit entsprächen. Hitler verstieß daraufhin Himmler am 29. April 1945 – kurz bevor er seinem Leben ein Ende setzte.
Suizid nach Kriegsende
Einen knappen Monat später gerät Himmler in einer Villa in Lüneburg in britische Gefangenschaft. Er gibt seine Identität preis – und beißt anschließend auf eine Giftkapsel. In einem bürgerlich-biederen Zimmer windet sich der Massenmörder am 23. Mai 1945 im Todeskampf. „Es ist exakt jene Umgebung, in der Himmler aufgewachsen ist und die ihn mächtig gemacht hat“, bilanziert Historiker Gerhard Paul.
Joachim Heinz